Hambi-Rede auf dem Waldspaziergang 30.09.2018
UPDATE: Inzwischen wurde vom Oberverwaltungsgericht in Münster die diesjährige Rodungssaison untersagt. Schlagartig scheint auch die Präsenz von Polizei „zur Gefahrenabwehr“ nicht mehr nötig zu sein. Natürlich hat das aber nichts miteinander zu tun.
30.09.2018 – Beim heutigen Waldspaziergang wurde unter anderem diese Rede von einem Menschen aus dem Wald gehalten. Wie schön, endlich mal wieder viele nicht-uniformierte Menschen auf der „Secu-Straße“ (aka L276) zu sehen! Vielen Dank auch allen anderen Redner*innen für die bunte Vielfalt an Beiträgen. (Und auch danke an einige andere Hambi-Aktivisti*, von deren spontaneren Beiträgen wir leider kein Videomaterial haben.)
Ihr könnt die Rede anschauen und/oder hier lesen:
Seit 16 Tagen räumt die Polizei die Besetzungen im Hambacher Forst.
16 Tage lang war dieser Wald ununterbrochen von zig Hundertschaften, Räumpanzern, Hebebühnen und dem SEK belagert. Seit 16 Tagen fährt der Staat seine ganze Übermacht auf, um ein Paar hundert Anarchas die Botschaft einzuprügeln, dass ein widerständiges, wildes und freies Leben hier nicht toleriert wird.
16 Tage Räumung haben die Besetzung noch lange nicht klein gekriegt. In den letzten Tagen ist in Ghosttown nahe des Wiesencamps ein neues Baumhausdorf entstanden. Und um das letzte alte Baumhaus, Paragraph11, wachsen in diesem Moment die Barrikaden.
Diese Räumung hat eine Aufmerksamkeit her gebracht, die noch vor zwei Jahren unmöglich erschienen wäre. Die Welt schaut dem deutschen Staat auf die Finger. Und sie sieht, was der angebliche Musterschüler in Sachen Umweltschutz, was die angebliche „Klimakanzlerin“ für einen Dreck am Stecken haben. Das allein ist ein riesiger Erfolg.
Aber die Räumung ist noch nicht zu ende. Und wenn sie dieser Tage zu ende gehen sollte, dann fängt der Kampf erst richtig an. In der kommenden Rodungssaison will RWE mit dem Wald kurzen Prozess machen. Dafür war die Räumung nur eine Vorbereitung. Wenn sie anfangen zu roden, dann ist es für uns Hambis natürlich viel schwieriger einzugreifen, weil wir nicht mehr im Wald wohnen, sondern erstmal an der Polizei vorbei müssen, um das Rodungsgebiet überhaupt zu sehen.
Deshalb werden wir, um den Wald retten zu können, jeden erdenklichen Einsatz von der ganzen Bewegung brauchen. Viele von Euch waren vielleicht dieser Tage die ersten Male im Wald und haben die ersten Male mitbekommen, was es bedeutet, wenn der Rechtsstaat seine Zähne zeigt.
Ich hoffe, dass Ihr noch Atem habt, denn der Überlebenskampf, den wir für diesen Wald führen müssen, fängt Mitte Oktober erst richtig an.
Dieser Wald ist ein Symbol des Widerstands geworden. Unser Protest ist eine Aussage: Wir lassen uns von den Machteliten in Politik und Wirtschaft nicht mehr eine Wirtschaftsweise vorsetzen, die unseren Planeten zu Grunde richtet! Dieser Wald, und der Widerstand zu seiner Rettung, ist das Ausrufezeichen hinter dieser Aussage. Ich hoffe Ihr habt noch Atem, im Oktober immer wieder zu kommen – auch unter der Woche! – und Euch vor das Ausrufezeichen zu stellen. Wir brauchen den Wald, und jetzt braucht der Wald uns!
Ich komme bei Großdemonstrationen leicht in Feierlaune, in einen emotionalen Höhenflug nach dem Motto: Wir sind so viele, wir haben doch fast gewonnen, das können sie nicht ignorieren. Falls es euch ähnlich geht, tut es mir Leid, da stören zu müssen: Doch, sie können uns ignorieren. Armin Laschet und Herbert Reul interessieren sich leider einen Scheißdreck, wie viele Menschen für die Rettung des Waldes auf die Straße gehen. Sie werden uns -wie immer- so lange ignorieren, bis wir sie zum Einhalten zwingen.
Es tut mir Leid, wenn ich irgendwem die Feierlaune stören muss, aber wie gesagt, der Kampf fängt gerade erst an, und wir sollten ehrlich darüber reden, was uns erwartet.
Ich will hier nicht mehr Panik verbreiten als nötig – auch in der kommenden Rodungssaison werdet Ihr meistens einen gewissen Einfluss darauf haben, wieviel Repression Ihr zu spüren bekommt. Aber manche haben auch Pech, sind zur falschen Zeit am falschen Ort und treffen auf den falschen Bullen, der Spaß daran hat, sich mal austoben zu können.
Wir brauchen den Wald, und der Wald braucht jetzt uns – aber wir müssen dabei auch wach sein, auf uns aufpassen, und aufeinander aufpassen.
Ich störe nur ungern eine Party, aber ehrlich gesagt ist mir persönlich noch gar nicht so richtig nach Feiern zumute. Diese Räumung läuft noch, und sie wird in den letzten Zügen wahrscheinlich nicht freundlicher werden. Und diese Räumung, und das Vorgehen der Polizei, haben mich unglaublich wütend gemacht.
Sie haben Abgase in besetzte Tunnel geleitet. Sie haben gedroht Seile zu kappen, an denen Menschenleben hingen. Sie haben Tripods mitsamt Besetzer*innen durch die Gegend getragen. Sie haben ganze Gruppen von Aktivist*innen gegen Barrikaden geschubst; gegen Barrikaden, in denen teilweise Menschen am Hals fest gekettet waren. Sie wurden immer wieder davor gewarnt, dass ihr rücksichtsloses Verhalten Menschenleben gefährdet. Sie haben alle Warnungen in den Wind geschlagen. Und diese Liste ist noch lange nicht vollständig.
Aber wir – sind immer noch im Wald.
Sie haben geprügelt, Platzverweise erteilt, Brillen zertreten, geprügelt, die Presse fern gehalten, Gefangene nicht aufs Klo oder telefonieren lassen, geprügelt, Arme gebrochen, eingesperrt, und von vorne angefangen.
Aber für unsere Gegner – ist immer noch unsere Gewalt das Hauptproblem.
In vielen Solidaritätsbekundungen und freundlich gesinnten Presseartikeln ist vom „gewaltfreien Protest“ im Hambacher Forst die Rede. Wie gesagtm ich störe nur ungern – aber das ist ein Bisschen Unsinn. Was stimmt ist: Die Gewaltexzesse der Polizei standen nie in irgendeinem Verhältnis zur teilweise militanten Gegenwehr, die es im Wald immer wieder gab.
Der Punkt ist: Wenn die Besetzungen von Anfang an konsequent friedlich gewesen wären, dann hätten sie die ersten drei Jahre nicht überlebt. Ihr habt gesehen, wozu die Polizei und die RWE-Sicherheitsdienste fähig sind – und das war von Anfang an so.
Die Besetzungen im Hambacher Forst hatten bewusst nie einen gewaltfreien Aktionskonsens. Die letzten Wochen haben hoffentlich allen hier den Grund dafür verdeutlicht:
Wir leben ja auch nicht in einem gewaltfreien Staat.
Wir leben nicht in einem funktionierenden Rechtsstaat, wenn es so etwas denn geben kann.
Wir leben nicht in einem Staat, der auch nur versucht, sich seinen Anspruch auf ein „Gewaltmonopol“ würdig zu verdienen.
Zu diesem Zeitpunkt sind vier von unseren Freund*innen und Weggefährt*innen in Untersuchungshaft, und eine weitere [rechtskräftig zu neun Monaten verurteilt] wegen „rhytmischer Unterstützung“ von Böllerwerfer*innen [mit einem Tamburin].
Mit ihrer Einknastung sind wir alle gemeint! Also lasst uns unsere Gefangenen nie vergessen: Bitte schaut auf den Blog von abc-rhineland, findet ihre Knastadressen und schreibt schreibt schreibt Briefe!
WIR SIND NICHT ALLE – ES FEHLEN DIE GEFANGENEN!
Was im Hambacher Forst in den letzten Wochen passiert ist, ist kein versehentlicher Ausrutscher. Die massive Gewalt, die viele von Euch am eigenen Leib erlebt haben; die Einschränkungen der Pressefreiheit; das Gelächter über die Erinnerung an Menschenrechte; die Verlogenheit und der abgrundtiefe Zynismus ihrer Verlautbarungen; die erfundenen und überzogenen Anschuldigungen, mit denen sie Freiheitskämpfer*innen in den Knast stecken; die völlige Blindheit für Augenmaß und Deeskalation;
All das sind wir in den Besetzungen seit sechs Jahren gewohnt. Das ist der Standard dieses Staates für die, die nicht nur bitten, sonder fordern. Die nicht nur protestieren, sondern sich effektiv in den Weg stellen.
All das ist übrigens auch schon immer der Standard dieses Staates für Geflüchtete, insgesamt für nicht weiße Menschen, Sexarbeiter*innen, Leute die als psychisch krank abgestempelt werden, Obdachlose und andere mit sehr wenig Geld, Punks, und viele andere diskriminierte Gruppen.
Dieser Staat kennt keine Rücksichtnahme. Nicht einmal nach dem tödlichen Absturz unseres Freundes Steffen hat die Staatsmacht auch nur einen Tag Ruhe gegeben. Es wurde behauptet, der Räumungseinsatz sei gestoppt – aber selbst in Beechtown, wo der Unfall passierte, liefen noch in derselben Nacht die Generatoren und Flutlichter.
Stellt Euch vor, die Polizei ist gerade dabei, Euch aus Eurem zu Hause zu schmeißen. In dieser Situation stirbt ein Freund, woran auch immer – und dann stellen die Bullen Flutlichter vor jedes Eurer Fenster, und lassen sie die ganze Nacht durchlaufen.
Das ist nur ein kleiner, vielsagender Ausschnitt des Psychoterrors, mit dem sie schon seit Wochen versuchen, die Menschen im Wald mürbe zu machen.
Wenn es ein Gutes geben soll an der Brutalität dieses Einsatzes, der immer noch läuft, dann ist es dies: Die alltägliche Brutalität der Polizei ist um Einiges sichtbarer geworden. Das Vertrauen in den Staat ist bei Vielen ins Wackeln gekommen.
Und vielleicht gärt bei Vielen auch die trotzige Einsicht: Diesen Staat, der mit solch einer Gewalt an seinem rasanten Kurs auf den Abgrund festhält, werden wir nicht allein mit untertänigen Appellen zum Umdenken kriegen.
Dieser Staat erlaubt relativ viele Demonstrationen einzig deshalb, weil sie ihn nicht allzu sehr stören. Aber dieser Staat wird nur dann seinen Kurs wechseln, wenn wir ihn mit Entschlossenheit, langem Atem, und allen sinnvollen Mitteln dazu zwingen.
Wir sehen uns in der Rodungssaison!
WIR SIND HIER, UND WIR SIND LAUT, WEIL MAN UNS DEN HAMBI KLAUT!