Die Rheinische Post (RP) hat am Samstag einen Artikel veröffentlicht, in dem sie über angebliche Tunnelentdeckungen im Hambacher Forst berichtet (1). Unter Berufung auf interne Dokumente von Polizei und NRW-Innenministerium skizziert sie ein Bild von einem Tunnelsystem kaum vorstellbaren Ausmaßes. Ein anonymer „leitender Polizist“, der in dem Artikel zitiert wird, fühlt sich „an die unterirdischen Anlagen während des Vietnamkriegs“ erinnert. Die Polizei dementierte per Twitter, die RP bekräftigte die Aussagekraft ihrer Quellen. Der Vorgang hat viel Spott für die RP ausgelöst und auf Twitter den Hashtag #Tunnelgate in Umlauf gebracht. Er wirft aber auch zwei wichtige Fragen auf: 1. Was sind die Fakten? und 2. Woher kommen die Fehlinformationen?
Im RP-Artikel wird ein Bild von einem Tunneleingang gezeigt. Dabei handelt es sich um einen Tunnel, der schon während der ersten Waldbesetzung im Sommerhalbjahr 2012 gegraben und im darauf folgenden November geräumt wurde. Er war ca. 15 m lang und 6 m tief. Am seinem Ende lag ein Aktivist (2), der durch seine bloße Anwesenheit die Räumung sehr erfolgreich (3) verzögert hat (4). Er wurde nach vier Tagen von der Polizei trotz regelmäßigen Warnungen (5) seitens der Aktivist*innen auf höchst fahrlässige Weise (6) gewaltsam geräumt (7). Anders als die Polizei damals behauptete wurde während der Situation nur seine eigene Gesundheit gefährdet (8) – und das auch nur durch das unbesonnene Vorgehen der Einsatzkräfte.
In einem aktuellen Bericht des WDR (9) werden Bilder von der Betonverfüllung von an diesem Tag insgesamt zwei Kellern und einem Tunnel am 28. August gezeigt. Dabei handelt es sich um:
1) Einen verlassenen Kühlkeller. Die so genannte „Tofumine“ aus der Anfangszeit der Wiesenbesetzung wurde nicht mehr genutzt, seit es einen besser ausgebauten Lagerraum in der neuen Küche gab. Der ältere, sehr kleine Keller war knapp 2 m tief und 1,50 m kurz. Von der Tofumine gingen keine weiteren Gänge ab.
2) Einen Wohnkeller. Der Keller unter dem „Hotel Fuchsbau“ war keineswegs versteckt – der Einstieg war und ist im Erdgeschoss gut sichtbar, genau wie das Gebäude selbst im Wiesendorf. Auch vom Keller des Hotel Fuchsbau gingen keine weiteren Gänge ab.
3) Ein aufgegebener Blockadetunnel unter der Bibliothek. Dieser Tunnel war eine Sackgasse und wurde ebenfalls in der Anfangszeit des Wiesencamps angelegt, als dessen rechtlicher Status noch unsicherer schien. Deshalb enthält er zur Blockade einer eventuellen Wiesenräumung ein Beton-Lock-On. Wäre er benutzt worden, dann wäre sein Einsatz im Prinzip ähnlich verlaufen wie die Tunnelblockade im November 2012.
Da dem Wiesentunnel inzwischen weniger strategische Bedeutung beigemessen wurde, war er schon seit längerer Zeit nicht mehr ausgebaut oder gepflegt worden. Er war tatsächlich etwa 4 m tief. Die Polizei entdeckte ihn allerdings bereits bei einer früheren Razzia der Wiese am 11. April 2016 (10). Schon damals wurde versucht, eine Betonverfüllung auf Kosten des Wieseneigentümers durchzusetzen, was dieser aber gerichtlich abwehren konnte (11). Bei der Verfüllung dieses Tunnels wurde die Bibliothek des Wiesencamps widerrechtlich und völlig unnötiger Weise zerstört.
Die RP schreibt „Unsere Redaktion konnte die Tunnel selbst nicht in Augenschein nehmen.“ Jede*r Besucher*in des Wiesencamps kann auf freundliche Nachfrage bei den Bewohner*innen die Überreste der Eingänge gezeigt bekommen.
Die rheinische Post zitiert den bereits erwähnten Polizisten: „[Die Tunnel] dienen den Aktivisten als Rückzugsort, als Schlafstätte, Versteck und vermutlich auch Schmuggelroute, um Waffen und Krawallmacher in den Forst zu bringen“. Was steckt hinter diesen Behauptungen?
Das Hotel Fuchsbau ist, wie sein Name vermuten lässt, eindeutig ein Rückzugsort und eine Schlafstätte – allerdings in einem viel herkömmlicheren Sinne, als das Zitat vermuten lässt. In der Tofumine haben Aktivist*innen gelegentlich Bierkästen und andere rare Güter gekühlt und voreinander versteckt. Ebenfalls versteckt im aufgegebenen Blockadetunnel unter der Bibliothek lebte zeitweise eine Kröte namens Gollum, die sich von verirrten Käfern ernährte. Wir hoffen sehr, dass Gollum entweder in Frieden verstorben oder rechtzeitig vor der Betonverfüllung umgezogen ist.
Als „Schmuggelroute“ war keine der drei Sackgassen auch nur im entferntesten geeignet, und das wissen auch die Polizei und das Innenministerium. Wenn die Polizei irgendwo Anzeichen von längeren Stollen entdeckt hätte, dann hätte sie diese vor der Betonverfüllung abfotografiert und veröffentlicht. Bei der kostenaufwändigen Verfüllung der Keller ging es also offenbar lediglich um mutwillige Zerstörung und pressewirksame Bilder.
Im RP-Artikel heißt es außerdem: „Wie viele solcher Tunnel es gibt, weiß die Polizei nicht. Die Sicherheitsbehörden vermuten aber eine höhere Zahl, da die Besetzer sechs Jahre Zeit gehabt hätten, diese anzulegen.“
Nun, was die Sicherheitsbehörden vermuten mögen, können wir nur ahnen. Das Gleiche gilt für die Räumungsvorbereitungen, die verschiedene autonome Kleingruppen innerhalb von sechs Jahren möglicher Weise im Geheimen getroffen haben. Aber klar ist: In der bisherigen Geschichte der Waldbesetzung haben Tunnel, Gräben und Erdlöcher nur als defensive Blockadeaktionsform eine größere Rolle gespielt. Das bedeutet, Aktvist*innen waren bei ihrer Räumung in der Regel angekettet und haben sich währenddessen passiv verhalten. In so einer Situation zu eskalieren, ist niemals im Interesse der Angeketteten, weil sie wehrlos sind und nicht fliehen können.
Wenn also der ominöse hochrangige Polizist im RP-Artikel spekuliert „Dadurch können wir wie
aus dem Nichts angegriffen werden“, dann ist das entweder unseriöse Panikmache oder eine bewusste Fehlinformation der Öffentlichkeit – und seiner eigenen Kollegen.
Das führt zur zweiten größeren Frage dieses Artikels: Woher kommen die Fehlinformationen? Derzeit wird viel Häme über die RP-Redaktion ausgeschüttet. Aber es liegt doch nicht so nahe, dass sie die dargestellten Informationen frei erfunden hat. Das im Artikel gezeichnete Bild ist ja auch nicht so weit entfernt von den Behauptungen des Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach (B90/ Die Grünen) vor laufender Kamera (9), dass „diese Tunnel ganz offensichtlich dazu da sind, um unerkannt aus dem Wald ins Wiesencamp und [zurück] zu kommen“ – wie oben gezeigt wurde, ist das eine bewusste Lüge. Vielleicht war ja er einer der „leitenden Beamten“, die im RP-Artikel Falschmeldungen verbreiten?
Nach einer Analyse auf wdr.de (12) kommt auch das NRW-Innenministerium unter Herbert Reul (CDU) als Quelle der Fehlinformationen in Betracht. Immerhin war der RP-Redaktion eine interne Power-Point-Präsentation aus dem Innenministerium zugespielt worden, die sie in einer Stellungnahme (13) als eine Quelle ihres Artikels anführt.
Sowohl das Innenministerium unter Reul als auch die zuständige Aachener Polizei unter Weinspach haben ein Interesse daran, dass die Medien überzogene Darstellungen über die Gewaltbereitschaft der Widerständler*innen im Wald verbreiten. Das hilft ihnen bei der Rechtfertigung der völlig maßlosen Gewalt, mit der sie ihre Einsatzkräfte auf den Protest loshetzen. Es hilft auch im denkbaren Fall einer weiteren Tunnelblockade, wenn sie vielleicht wieder zu gewalttätigen und womöglich lebensgefährlichen Räumungsmethoden greifen wollen. Mit der Tunnelblockade von 2012 jedenfalls war die Polizei maßlos überfordert. Bestimmt wäre es Weinspach und Reul lieber, eine eventuelle neuerliche Tunnelblockade mit unprovozierter massiver Gewalt aufzulösen. Zu deren Rechtfertigung käme ihnen das absurde Schreckgespenst von einem riesigen Netz von getarnten Kampftunneln, aus denen jederzeit Bewaffnete hervorstürzen könnten, natürlich sehr recht.
Jedenfalls hat diese Form von Desinformationspolitik nichts zu tun mit Respekt vor der gesellschaftlichen Bedeutung, die den Medien im sogenannten demokratischen Rechtsstaat angeblich zukommt. Aber das kann uns im Wald nach Jahren der systematischen Polizeibrutalität kaum noch überraschen.
Eine einseitige Verurteilung der RP-Redaktion scheint daher ungerecht. Sicherlich wäre eine gründlichere Recherche der Fakten ihres „Enthüllungsberichts“ angemessen gewesen. Aber in der Schnelllebigkeit des modernen Jounalismusbetriebs sind einseitige Quellen und zu wenig Zeit für Recherche leider Alltag – oft zum Nachteil von legitimen Protestbewegungen und notwendigem Widerstand. Jedenfalls sind Recherchepannen nicht ausschließlich die Schuld einer einzelnen Lokalredaktion, sondern auch und vor Allem ein Systemproblem.
Trotzdem hat die RP eine gewaltige Ente produziert, die ihrer Glaubwürdigkeit nachhaltig schaden könnte. Sie ist dabei verschiedenen „Informanten“ aus Polizei und Innenministerium auf den Leim gegangen und hat sich für deren Eskalationsstrategie rücksichtslos instrumentalisieren lassen. Solche bewussten „Desinformanten“ verdienen jedoch keinen journalistischen Informantenschutz. Insofern wäre der RP-Redaktion sehr zu empfehlen, ihre Quellen noch detaillierter und vor Allem namentlich aufzudecken, um den entstandenen Schaden an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit zumindest teilweise zu reparieren.
(1) https://rp-online.de/nrw/panorama/hambacher-forst-polizei-entdeckt-tunnel_aid-32786277
(2) http://www.aachener-zeitung.de/lokales/region/interview-der-maulwurf-vom-hambacher-forst-1.498720
(3) http://www.taz.de/!5079374/
(4) https://hambacherforst.org/blog/2012/11/19/raeumung-im-moment-2/
(5) https://hambacherforst.org/blog/2012/11/15/pressemeldung-zur-sicherheit-im-tunnel/
(6) https://hambacherforst.org/blog/2012/11/16/rutsch-im-tunnel-glueck-fuer-aktivisten/
(7) http://www.taz.de/!5079245/
(8) https://hambacherforst.org/blog/2012/11/21/statement-von-herrn-zimmermann-zur-pressekonferenz/
(9) https://www1.wdr.de/nachrichten/bilanz-polizeieinsatz-hambacher-forst-100.html
(10) https://hambacherforst.org/blog/2016/04/11/pressemitteilung-zur-heutigen-razzia/
(11) https://hambacherforst.org/blog/2016/06/17/kreis-dueren-knickt-ein-blockadetunnel-bleibt/
(12) https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/hambacher-forst-tunnel-innenministerium-polizei-100.html
(13) https://rp-online.de/nrw/hambacher-forst-polizei-sind-tunnelsysteme-nicht-bekannt_aid-32828151
Verdammt, die Rheinische Post hat entdeckt wie wir Wasserpistolen in den Forst bringen.
Hallo Leute,
was man dringend braucht sind Video´s von den Aktionen der Polizei und auch der Waldarbeiter die durch Deutschland gehen und fleißig geteilt werden! Nur so wird der Druck auf die Politik erhöht!
ja.. gute recherche benötigt zeit
…zeit kostet und wird deshalb in quantität gemessen anstatt in qualität.
…deshalb gibt es in unserer mediengesellschaft wenig gute recherchearbeit
besser wäre es, für eine gute recherche ebensoviel qualitative zeit zu nutzen, wie z.b. lauch für ein gelungenes wachstum braucht..
dann hätte man wenigstens eine gute ernte
und im ergebnis wird sich jeder über einen gelungenen lauchkuchen freuen:-)
besser als eine miese ente
Das Dementi kam ja von der Aachener Polizei, wieso sollte sie sich selbst ins Knie schiessen, von daher ist die Fake News-Quelle wohl eher im Innenministerium zu verorten.
Dass das Innenministerium – wenn wir dieser Hypothese folgen – etwas so leicht Widerlegbares in die Welt setzte, hat Züge von Verzweiflung. Der Polizei Aachen war diese Desinformation wohl zu heiss und deshalb spielte sie nicht mit. Das ist meine Interpretation.
Erstens: Der Chefreporter der Rheinischen Post hat eine eherne Grundregel der journalistischen Recherche missachtet, die da lautet: Zwei-Quellen-Prinzip. Lass dir etwas IMMER von einer (mindestehs) zweiten Quelle bestätigen, die UNABHÄNGIG von der ersten Quelle ist. Es wäre sehr leicht gewesen, die Behauptungen der Polizei vor Ort prüfen. Das, was die RP gemcht hat, war ein Anfängerfehler.
Zweitens: Das Copy-and-paste-Verhalten vieler andererer Medien verdeutlicht den desaströsen Zustand besonders der Online-Redaktionen. Auch diese hätten Zeit genug gehabt, die Angaben der Rheinischen Post selbst zu überprüfen, und sei es durch Telefonate. Überdies waren sie alle mit der Verbretung der RP-Nummer schnell dabei, aber brauchten hinterher viele Stunden für die Richtigstellung.
Drittens: Die inzwischen deutlich sichtbare Eskalations- und Vernebelungs-Taktik offizieller Stellen ist demokratiegefährdend. Eine Polizei, deren ranghohe Vertreter die Öffentlichkeit wiederholt bewusst hinters Licht führen, verliert in den Augen der Bürger den Anspruch der Seriosität und der Neutralität. Das aber wäre die Grundvoraussetzung, um das Gewaltmonopol des Staates zu akzeptieren.
Viertens: Herbert Reul ist ekelhaft.
Besonders lustig fand ich die Behauptung, das man auch unterirdische „Waffenlager“ gefunden hätte, die unter anderem auch mit Molotow Cocktails bestückt gewesen wären.
Wenn die Waldbewohner irgendelche Hohligans wären, könnte man das ja sogar glauben. Von den Bewohnern, die ich aber bisher kenngelert habe, wäre keiner auch nur annähernd so blöd, aus einem Baumhaus einen Molly auf einen furztrockenen Waldboden zu werfen, um sich dann selbst zu grillen.
Desweiteren würde mich interessieren, wie man in einem Waldboden, der mit tiefwurzelnden hunderte Jahre alten Laubbäumen ohne schweres Gerät ein Tunnelsystem graben soll.Liebe Leute: „erst denken, dann schreiben.“
Ich habe darüber nachgedacht, den Presserat zu informieren. Die Darstellung der RP ist aus meiner Sicht nicht so einfach zu entschuldigen, wie es diese ja sogar gutmütige Stellungnahme tut.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die RP da wirklich „auf den Leim gegangen“ ist. Die wissen doch, dass sie Bullsh*t schreiben – „Vietnam“ und „Angriff“ kann doch kein ansatzweise vernünftig denkender Mensch ernst meinen. Insofern schätze ich das als vorsätzliche Hetze ein, die gerügt werden muss.
Daher: habt Ihr Kenntnis von einer entsprechenden Information des Presserats? Was haltet Ihr von der Idee? (Bitte antwortet mir per Email. Danke.)
Wenn es Tunnelsysteme mit der Wirkung der Tunnel der Vietcong in Dien Bien Phu (Vietnam) gegeben hätte, hätte der Vorstand der RWE Power AG schon längst kollektiven Selbstmord begangen haben müssen.
Da dies nicht geschehen ist, kann es – nach den Gesetzen der Logik – keine derartigen Tunnelsysteme im und um den Hambacher Forst gegeben haben.
Dien Bien Phu soll in Vietnam jedes kleine Kind kennen. Anfang der 50er Jahre hatten der Vietcong diese Tunnelsysteme um Dien Bien Phu gebaut. In Dien Bien Phu hatten Fremdenlegionäre mitten im Dschungel eine Festung gebaut, die als uneinnehmbar galt. Die Dschungelfestung war nur aus der Luft erreichbar, durch den Dschungel gab es keine Straßen, so dass schweres Geschütz nicht in Stellung gebracht werden konnte. Dachte man …
Als der Vietcong trotzdem wie ein Blitz aus heiterem Himmel – zuschlug, beging der Kommandeur Selbstmord, er erschoss sich, Frankreich als seinerzeitige Kolonialmacht erlitt eine vernichtende Niederlage.
Was war geschehen? Die Vietcong hatten die Schwergeschütze ihrer Artellirie in Einzelteile zerlegt, diese Einzelteile durch Tunnelsysteme in die Nähe der Dschungelfestung gebracht, dort wieder zusammengebaut und dann mit geballter Kraft zugeschlagen.
14.09.2018
Kurt Claßen