Anti-Atom-Prozess in Hamburg: Urteil findet sich schon vorab in den Akten

Hier eine ein Text von Anti-Atom Hamburg zu einem doch bemerkenswerten
Fund in einer Ermittlungsakte: einem Urteilsentwurf schon vor Beginn der
Beweisaufnahme.

Anti-Atom-Prozess am AG HH-Harburg: Urteilsentwurf existiert vor Prozessbeginn
Im Prozess vor dem Harburger Amtsgericht wegen der Blockade eines
Urantransportes im Hamburger Hafen 2014 machten der Angeklagte und seine
Verteidigung in der Akte eine bemerkenswerte Entdeckung: Neben einem
vorgeschriebenen Prozess-Ablaufplan fanden sie dort auch schon eine
stichpunktartige Urteilsbegründung, versehen mit dem Vermerk „Bitte vor der
Akteneinsicht alle Unterlagen dringend entfernen“. Und das vor Beginn der
Beweisaufnahme.
Der Angeklagte beantwortete dies mit einem Befangenheitsantrag wegen des
Verdachts der Voreingenommenheit. Darin beschreibt er den beanstandeten
Akteninhalt wie folgt:

“Bei Durchsicht der Unterlagen fand ich u.a. einen exakten Ablaufplan für
meinen Prozess. In diesem Ablaufplan waren an einigen Stellen noch Lücken zum
Ausfüllen gelassen, beispielsweise für Notizen zum Plädoyer. Unter der
Überschrift „Urteil“ jedoch war keine Lücke gelassen. Dort steht zu lesen
„Nötigung in Tateinheit mit Störung öffentlicher Betriebe“. Schwarz auf weiß
steht hier also in den Unterlagen schon, dass ich verurteilt werden soll. Ich
kann nicht recht fassen, dass mir dieser Zettel tatsächlich in die Hände
gefallen ist und blättere gespannt um. Was jetzt folgt ist an Absurdität kaum
zu überbieten: Es ist das handschriftliche Konzept der Urteilsbegründung.
Allesamt geschrieben noch bevor die Beweisaufnahme überhaupt begonnen hat.“

Es bestehen zwar Gründe zu der Annahme, dass nicht Richter Azizy, sondern
seine Vorgängerin Frau Richterin Stolter, die hier gegenständlichen Papiere
angefertigt hat, jedoch ist das aus den vorliegenden Unterlagen nicht mit
abschließender Sicherheit zu sagen.

Schon oft hatte der Angeklagte die Vermutung, dass insbesondere bei
politischen Prozessen das Urteil bereits vorher feststünde: „Wenn ich das
anderen berichte, so ernte ich zunächst Zweifel. Doch spätestens nach dem
Besuch der dritten oder vierten Gerichtsverhandlung entsteht bei vielen
Prozessbesuchenden das Gefühl, dass ein ehrliches Interesse an einer
Sachaufklärung überhaupt nicht vorhanden ist und es vielmehr darum geht, die
Form halbwegs zu wahren um am Ende ein ohnehin schon feststehendes Urteil zu
verkünden.“ (aus dem Befangenheitsantrag).

Jetzt bestätigte sich diese Vermutung gleich doppelt schwarz auf weiß: Nicht
nur durch die zufällig gefundenen Unterlagen sondern noch einmal mehr, als der
Befangenheitsantrag von Richter Khan abgelehnt wurde. Er findet es völlig
normal, dass Urteile vorab geschrieben werden und sieht keinerlei Problem
darin. So schreibt er in seiner Ablehnung des Befangenheitsantrags:

„Es ist dem Tatrichter unbenommen, sich schon vor der Hauptverhandlung durch
die Fertigung eines Urteilsentwurfs entsprechend dem jeweiligen Ermittlungs-
bzw. Verfahrensstands auf die Hauptverhandlung vorzubereiten. Dies kann zum
einen der Richtigkeitskontrolle dahingehend dienen, dass die Beweisaufnahme
alle erheblichen Tatsachen und Beweismittel umfasst, und kann überdies der
Verfahrenskonzentration nützlich sein. Den Schluss auf eine Vorverurteilung
des Angeklagten oder einer Befangenheit eines Richters lässt dies nicht zu.“

Zu behaupten, ein vor Prozessbeginn allein aufgrund der Akte angefertigter
Urteilsentwurf sei keine Vorverurteilung ist realitätsfern und absurd. Die
Bezeichnung „Verfahrenskonzentration“ wirkt, als sei damit gemeint, möglichst
fließbandmäßig arbeiten zu können – eben genau das Gegenteil dessen wofür
angeblich eine Hauptverhandlung da ist. Aber wie so oft, wenn Angeklagte
versuchen, Richterverhalten zu kritisieren, sind es andere Richter oder
Richterinnen, die dieses Verhalten decken. Das ist ein Grund, warum der
Angeklagte nicht glaubt, von Gerichten Gerechtigkeit erwarten zu können.

Weitere Informationen zu Repression gegen Anti-Atom Aktivist*innen, sowie im
Volltext der Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter, dessen
dienstliche Erklärung und die Ablehnung des Befangenheitsantrages:

nirgendwo.info

Weitere Informationen zu Atomtransporten durch Hamburg:

atomtransporte-hamburg-stoppen.de

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Hambi bleibt!

    Was ist der Unterschied zwischen der Gerichtsbarkeit einer „Bananenrepublik“ und der in Deutschland?
    Díe Gerichtsbarkeit der Bananenrepublik ist ehrlicher. Dort weiß man, dass man keine GeRECHTigkeit erwarten kann und erwartet diese auch gar nicht.

    In Deutschland erzählen uns unsere Volksvertreter, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben und die Gerichte neutral sind. De facto werden die Bürger nur verarscht und die Urteile politisch gesteuert. Wer sich beschwert, dem wird entgegengehalten, dass unsere Richter „unabhängig“ sind und damit unantastbar. Selbst offensichtliche Rechtsbeugungen der Richter werden von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt. Es gibt Schätzungen, dass bis zu 50% aller Urteile in Deutschland glatte Fehlurteile sind. Da wäre es für alle Beteiligten billiger, ehrlicher und schneller eine Münze zu werfen. Es hat einen Grund, warum große Teile der Zuwanderer eine eigene Paralleljustiz entwickelt haben und der deutschen Justiz nicht trauen.

  2. Sieglinde

    Gerichte sind zum Essen da!

Schreibe einen Kommentar