Offener Brief der Angehörigen von Steffen Meyn

Wir fühlen mit den Angehörigen von Steffen/ Sonne, welche in diesem Offenen Brief an Ministerpräsident Armin Laschet und Innenminister Herbert Reul Ihre Gedanken und Gefühle zu Ihren Erlebnissen zum Ausdruck bringen.

„Familie Meyn, Familie Fritsche

Staatskanzlei NRW
Herrn Ministerpräsidenten Laschet, Herrn Innenminister Reul
Horionplatz 1
40213 Düsseldorf

Offener Brief der Angehörigen von Steffen Meyn

Steffen Meyn arbeitete seit einiger Zeit im Rahmen seines Studiums an der Kunsthochschule für Medien Köln an einer filmischen Dokumentation über das Leben der Baumhausbewohner*innen im Hambacher Forst. Das Ziel der Bewohner*innen ist die Verhinderung der Rodung des Waldes zum Zwecke der Gewinnung von Braunkohle. Als die Baumhäuser polizeilich geräumt wurden, waren auch diese Geschehnisse Teil seiner filmischen Beobachtungen.

Steffen sympathisierte mit den Zielen der Baumhausbewohner*innen, teilte er doch deren Einstellung eines ressourcenschonenden Lebens. Er war gläubiger Christ, lebte konsequent vegan mit großem Respekt vor der Schöpfung. Als Student der KHM Köln hatte er einen Presseausweis. Da die Pressearbeit während der Räumung, nach seiner Aussage und der anderer Journalist*innen, zunehmend durch polizeiliche Absperrungen behindert wurde, stieg er als versierter Kletterer auf eines der Baumhäuser, um von dort störungsfrei das Geschehen zu filmen. Um bessere Sicht auf die Räumung eines Nachbarbaumhauses zu bekommen, wollte er eine Hängebrücke überqueren, dabei stürzte er in die Tiefe und erlag seinen schweren Verletzungen.

Der Schmerz und die Trauer für uns Angehörige sind unermesslich.

Warum wir uns nun öffentlich dazu äußern, hängt damit zusammen, dass Aussagen von Landespolitikern und das Verhalten von Behörden unsere Trauer und unseren Schmerz verstärkt haben. Und wir möchten nicht stehen lassen, was im Zusammenhang mit Steffens Tod von Seiten der Landesregierung veröffentlicht wurde.

Das Unglück ereignete sich gegen 16 Uhr. Gegen 19 Uhr erhielten die Angehörigen durch Freund*innen von Steffen die Nachricht, dass er der Gestürzte und wohl tödlich verunglückt sei. Erst viele Stunden nach Steffens Sturz, kurz vor Mitternacht, erschienen zwei Polizeibeamt*innen in Steffens Elternhaus und bestätigten seinen Tod offiziell, obwohl an seiner Identität durch seine Papiere kein Zweifel bestand. Es waren quälende Stunden, während wir Angehörige die Hoffnung hatten, dass er vielleicht noch lebt.

Gegen den Willen der Eltern wurde sein Leichnam ohne Begründung obduziert. Dabei zeigten seine Rundum-Helmkamera und die polizeiliche Untersuchung ganz klar, dass keine Fremdeinwirkung stattgefunden hatte. Das Wissen um diese in unseren Augen völlig überflüssige und rechtswidrige Störung der Totenruhe belastet uns sehr. Die Obduktion führte auch dazu, dass wir ihn erst mehrere Tage nach seinem Tod sehen und Abschied nehmen konnten. Wieder eine quälende Zeit des Wartens.
Unerträglich empfinden wir die für uns aus der Luft gegriffen Schuldzuweisungen des Innenministers Reul, dass die Erbauer*innen der Hängebrücke Schuld an Steffens Tod seien. Auch seine Behauptung, Aktivist*innen hätten hämische Bemerkungen über seinen Tod gemacht, stellt eine unerhörte und nachweislich falsche Aussage dar. Wir empfinden, dass der Innenminister den Tod Steffens benutzt, um gegen die Baumhausbewohner*innen zu hetzen. Selbst Wochen nach dem Ereignis wiederholt Innenminister Reul diese Aussagen trotz inzwischen klarer Beweislage, dass diese Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen. Diese Instrumentalisierung seines Todes für eigene Zwecke löst Empörung und Wut in uns aus und lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Herr Innenminister Reul, unterlassen Sie bitte dieses unwürdige Verhalten und gönnen Sie der Familie und Freunden von Steffen Meyn endlich Ruhe von Ihren unqualifizierten Äußerungen.

Auch die Behauptung staatlicher Stellen, es habe in der Nähe des Unfallortes keinen Polizeieinsatz gegeben, entpuppte sich als unwahr.

Als die ersten Angehörigen die Unglücksstelle besuchen wollten, war die Räumung, nur fünf Tage nach Steffens Tod, wieder aufgenommen worden. Wir wurden unter Begleitung sehr freundlicher und rücksichtsvoller Kontaktbeamt*innen und Waldbewohner*innen zur Unglücksstelle gebracht. Durch das große Polizeiaufgebot, die Kampfausrüstung der Polizist*innen, die schweren zum Teil gepanzerten Räumungsfahrzeuge, die SEK-Einheiten, die Schreie aus den Räumungsgebieten in der Nähe kamen wir uns vor wie in einem Kriegsgebiet. Das hat den Besuch sehr belastet, unsere Trauer massiv gestört und vor allem Steffens Eltern zutiefst schockiert.

Einen Tag später erfuhren wir, dass die Gedenkstätte im Wald abgebaut werden musste, weil auch hier geräumt werden sollte. Unsere gepflanzten Blumen hatten also kaum 24 Stunden stehen dürfen. Wir haben das als ungeheuer rücksichtslos und pietätlos empfunden, zumal auch noch nicht alle Angehörigen angereist waren, um die Gedenkstätte und den Unglücksort zu besuchen. Erneut wurden wir in unserer Trauer behindert. Die unter den geräumten Bäumen wieder aufgebaute Gedenkstätte zeigte dann ein ganz anderes Bild des Unglücksortes. Dass die Gedenkstätte nun von RWE-Mitarbeitern geräumt wurde, macht uns fassungslos.

Uns treibt die Frage um, warum die Landesregierung nicht das Gerichtsurteil und die Ergebnisse der Kohlekommission abwarten konnte, bevor die Räumung angeordnet wurde. Auf Brandschutz- oder Baumängel hätte man auch mit Gesprächen reagieren können. Für uns sind das vorgeschobene Gründe, um RWE die Rodung zügig zu ermöglichen. Und das, obwohl die Räumung hochriskant war, nicht nur für die Baumhausbewohner*innen, sondern auch für die Polizeibeamt*innen. Nächtelang wurden die Menschen im Wald mit Flutlicht und Beschallungsanlagen um den Schlaf gebracht. Eine gefährliche Strategie, die uns an Berichte und Dokumentationen über psychologische Kriegsführung erinnert, denn das sich Bewegen in großer Höhe erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Wir fragen hier nach der Verantwortlichkeit der Landesregierung. Warum diese Eile, warum dieses harte Vorgehen?

Herr Laschet meinte kurz nach der Veröffentlichung des Rodungsstopps, nun sei die Zeit zum Dialog. Herr Laschet, die Zeit für Gespräche wäre vor der Räumung gewesen. Statt die Baumhausbewohner*innen zu kriminalisieren, hätten Sie und Ihr Innenminister das Gespräch suchen sollen, abwarten sollen, was das Gericht zur Rodung beschließt und was die Kohlekommission entscheidet.

Die Aufgabe der Landesregierung NRW wäre es, intelligente Konzepte zu erarbeiten, um den Beschäftigten im klimaschädlichen Braunkohletagebau eine berufliche Perspektive zu liefern. Stattdessen benutzt der Innenminister, so stellt es sich für uns dar, den Tod von Steffen, um gegen die Braunkohlegegner*innen Stimmung zu machen. Dagegen verwehren wir uns mit aller Entschiedenheit.

Familie Meyn und Familie Fritsche

Langenfeld, Wien, Hannover, Neuschönau/Schönanger, 26. November 2018

Steffen auf unserer Website

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. Petra Kornelsen

    Ich verneige mich vor Ihnen. Man kann nur erahnen, wie groß der Schmerz sein muss und dann dieser fantastische Brief. Einfach nur beschämend für die Verantwortlichen der Räumung. Wir trauern mit Ihnen. Unendlich traurig.

  2. Ich schließe mich Frau Petra Kornelsen an!
    Viel Kraft und gut dass das an die Öffentlichkeit gekommen ist
    Von Herzen …

  3. Theresia Lanfermann

    Liebe Familie,
    seitdem ihre Danksagung auf dieser Seite steht, habe ich oft Steffens freundliche, offene Lächeln betrachtet und ihre liebevollen Worte gelesen.
    Wie groß muss ihr Schmerz und die Trauer sein?
    In diesem Brief wird das unmenschliche, kalte Verhalten von Politik und Behörden sehr deutlich. Vielen Dank für diese offenen Worte und meinen allergrößten Respekt für ihren Mut und ihre Kraft.
    In stiller Verbundenheit,
    Theresia Lanfermann

  4. Martin Steigerwald

    Liebe Angehörige der Familie Heyn!

    Vielen Dank für ihren Mut, mitten in ihrem Trauerprozess so offen über ihre Gefühle zu schreiben. Steffen kann sich glücklich schätzen, solche wunderbaren Angehörigen zu haben.

    Ich habe Herrn Reul und Herrn Laschet gerade via Mail darum gebeten, ihre Wünsche zu beachten und auf weitere Lügen bezüglich dessen, was geschehen ist, zu verzichten.

    Mögen sie nun endlich die Zeit bekommen, in Ruhe und Frieden um Steffen zu trauern.

  5. waldzwei

    Ich habe selbst zwei Kinder in diesem Alter. Als ich von Steffens Tod erfuhr, habe ich natürlich sofort an sie gedacht. Schon vorher, wenn ich von Polizei in oder am Wald angehalten wurde, habe ich sie jedes Mal gefragt: „Haben Sie eigentlich Kinder?“
    Ich will die Antwort auf diese Frage an die Herren Laschet und Reul lieber gar nicht erst wissen und bin statt dessen ganz bei Steffens trauernden Angehörigen.

  6. Antonio Breil

    Vielen Dank für die offenen Worte!

    Ich trauere mit Ihnen.

  7. Claudia

    Liebe Angehörigen von unserem Steffen,

    vielen lieben Dank für die klaren Worte.
    Es macht auch mich immer noch betroffen, wie rücksichtslos der Staat und RWE mit der Trauer von uns Allen umgeht.

    Vieles ist in der Zeit der Räumung passiert, was nicht an die Öffentlichkeit gelangt ist.

    Auch die brutalen Maßnahmen der Räumungen der Hausbesetzer in Manheim sollte erwähnt werden.

    Ich habe den Glauben in den Staat komplett verloren. Ich selbst war Opfer einer Polizeiattacke. Im Zuschlagen waren die eingesetzten Beamten*innen sehr schnell. Und ich war eine „normale“ Zivilistin/Demonstrantin auf einer angemeldeten Demo am Waldrand.

    Es war von Herrn Reul clever insziniert, dass keiner der eingesetzten Polizeibeamten*innen weder ein Namensschlid, noch eine Identifizierungsnummer trug.

    Es ist ein Unding, wie Steffen und alle anderen Aktivisten in den Medien dargestellt werden! Unverschämt und Entwürdigend! Und der Staat und RWE sollten sich schämen!

    Denn die Aktivisten sind es, die für uns alle friedlichen Widerstand leisten! Die für unser Aller Zukunft kämpfen! Sie haben es sowas von verdient, gelobt zu werden! Sie leben in Baumhäusern in Deutschland! Sind jedem Klima ausgesetzt.
    Sie lassen alles, von Staatsseiten über sich ergehen! FRIEDLICH!

    Jeder Besucher*in, der zu ihnen kommt, wird offen und ehrlich empfangen.

    Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr diese jungen Menschen meinen Respekt haben! Chapot vor jedem Einzelnen!

    Das die Gedenkstätte von Steffen nun endgültig von RWE-Mitarbeitern entfernt worden ist, ist ein weiterer trauriger Höhepunkt in diesem, vom Staat und RWE inszinierten Theater! Und die Entschuldigung von RWE verhöhnt unseren Steffen noch! Natürlich war es nicht ersichtlich (Sarkasmus), das es sich um eine Gedenkstätte oder Müll handelt! Ich bin immer noch entsetzt über diese Aussage!

    Ich habe für dieses ganze Schmierentheater vom Staat und RWE keine Worte mehr! Null Respekt! Wenn schon nicht vor den Aktivisten, dann sollten sie doch wenigstens vor den Angehörigen Respekt zeigen!

    Es wird nichts mehr in der Öffentlichkeit erwähnt, dass dort ein junger Mensch zu Tode gekommen ist!

    Und immer noch werden friedliche Aktivisten in den Medien als Kriminelle dargestellt.

    Sie kämpfen für unsere Zukunft! Für IHRE Zukunft! Für die Tiere und Bäume!

    Auch ein Reul, auch RWE-Mitarbeiter müssen atmen! Dafür kämpfen diese jungen Menschen! RESPEKT ist das Mindeste, was sie erhalten sollten!

    Auch ich werde mit meinen Mitteln weiter kämpfen! Auch im Gedenken an Steffen! Er ist im Herzen immer dabei! Und so denken Viele von uns! Die Familie von Steffen ist nicht alleine. In Gedanken stehen wir an ihrer Seite!

    Und ich glaube daran, das es ein Karma gibt!

    HAMBI BLEIBT! HAMBI BLEIBT! HAMBI BLEIBT! HAMBI HAMBI HAMBI!

    Für Steffen! Für die Aktivisten! Für die Zukunft! HAMBI BLEIBT!

    Mein aufrichtiges Mitgefühl für die Familie…. WIR werden Steffen niemals vergessen!

    1. helm renz

      Liebe Claudia,
      Deinem Kommentar ist nichts hinzuzufügen.
      Danke dafür !!!

      P.S. Ehemals Lehrender des
      Modellstudiengangs ‚Designs‘
      an der ‚Cologne University of Applied Sciences‘,
      (KISD)

Schreibe einen Kommentar