Erlebnisbericht und Gedanken zur Räumung des Tripod bei der Kraftwerksblockade Niederaussem vom 15.09.2018

[Gefunden auf Indymedia: https://de.indymedia.org/node/24690]

Das tödliche Ereignis im Hambacher Forst am 19.09.2018 hat mich zu meiner bereits bestehenden Traurigkeit und dem reiz überfluteten Nervenkostüm der letzten Tage noch zusätzlich schockiert und beinahe eingefroren. Um dem Einfrieren zu begegnen, versuchte ich mit folgendem Ausschnitt aus meinem Gedächtnisprotokoll meine Erlebnisse zu verarbeiten, das Glück welches ich hatte zu begreifen und diese Erfahrungen zu Teilen. Ich selbst bin nur wenige Tage zuvor in eine lebensbedrohliche Situation gebracht worden. Und zwar durch Polizeibeamte und RWE-Mitarbeitende Hand-in-Hand. Ich möchte versuchen, mit diesem Stückchen Text alle Menschen zum Nachdenken anzuregen, die sagen: „Die machen doch einen super Job“ oder „Die Aktivist*innen bringen sich doch alle selbst in Gefahr“. Allen Polizist*innen, ob am Aktionsort oder in der GeSa, welchen ich Zweifel ansehen konnte: Hört doch einfach auf damit, nur den Befehlen zu folgen und eure Situation zu verteidigen. Macht euch Gedanken und ändert was.

Ich bin euch allen dankbar, die ihr mir in dieser Situation nahe ward. Über Funk und Handy beruhigende Worte für mich hattet. Ganz besonders meinen Supporter*innen vor Ort, welche immer wieder ruhig oder auch schreiend versuchten, diese unprofessionelle und gefährliche Räumung zu verhindern.

Kraftwerkblockade Niederaußem, 15.09.2018

Ich sitze in der Spitze des Tripods, welches eine Höhe von ca. 5 Metern hat. Das Tripod steht auf den beiden Bändern, welche nochmals eine Höhe von ca. 2.5 Metern haben. Bei einem Fall hätte ich somit eine Höhe von mindestens 7 Metern bis zum Boden. Nicht nur ein Aufprall am Boden würde mich lebensbedrohlich verletzen, auch die auf mich fallenden Gerüststangen des Tripods würden mich verletzen oder gar töten. Das Tripod ist mit Seilen so gesichert, dass es stabil steht solange es nicht bewegt oder manipuliert wird. RWE-Mitarbeitende stellen Leitern an die Bänder, Polizei steigt behelmt hoch und nähert sich dem Tripod. Sie fordern die Supportmenschen, welche unmittelbar an den Tripodstangen stehen, auf, freiwillig das Band zu verlassen. Ansonsten würden sie unter Gewalteinwirkung vom Band entfernt. Support und ich weisen die Polizeikräfte immer wieder darauf hin, dass es gefährlich ist, das Tripod auf irgendeine Art und Weise zu bewegen. Ich fordere den Einsatz einer technischen Einheit, welche die Tripod-Konstruktion einschätzen und sicher räumen kann. Keine Reaktion darauf seitens der Polizist*innen. Ich sage den Supportmenschen, dass es für mich ok sei, wenn sie freiwillig das Band verlassen, da ich mir nicht vorstellen kann, wie die Menschen über Leitern oder Baggerschaufeln verletzungsfrei unter polizeilicher Gewalteinwirkung von dem Band kommen. Sie diskutieren noch mit den Polizist*innen, dass sie bleiben wollen, da sie für meine Sicherheit hier sind. Die Diskussion bringt nichts und sie gehen freiwillig mit und können gefahrenfrei die Leitern herab steigen. Sie werden ca. 30 Meter weiter zu den Wannen gebracht und es wird mit den Personenkontrollen begonnen.

Tripod zu „NiederAUSmachen“ am 15.09.2018

Nun besteigen RWE-Mitarbeitende ebenfalls die Bänder. Sofort fangen sie an, die Abspannseile, welche die Tripod-Beine auf Position halten, zu befummeln. Einer der Banner wird demonstrativ energisch heruntergerissen. Ich schreie zu ihnen herunter, dass sie mein Leben gefährden. Ein Polizist bremst die eigenständigen Aktionen der RWE-Leute. RWE und Polizei tauschen sich über die Konstruktion aus. Die erste (schlechte) Idee ist, die Beine des Tripods gleichzeitig auseinanderzuziehen, um mich so dem Boden näher zu bringen. Ich schreie sie erneut an, diese Art von Räumungsversuch zu unterlassen, dass sie keine Ahnung haben von dieser Konstruktion und das Risiko nicht einschätzen könnten. Die zweite (mindestens genauso schlechte) Idee ist, die Beine des Tripods von unten her zu kürzen. Erneut fordere ich die Einsatzkräfte auf, eine technische Einheit kommen zu lassen. Mit dem Kommentar, ich könne ja selbst runter kommen, wird meine Aufforderung abgetan. Nach ca. 20 Minuten stellen sich jeweils zwei Personen an jede Tripod-Stange, RWE-Mitarbeitende und Polizist*innen gemeinsam in Aktion. Sie heben die Beine an und tragen den Tripod mit mir darin hängend ca. 10 Meter weiter zur Konstruktion der Förderbandumlenkung. Ich schreie, sie sollen es endlich unterlassen. Auch die Supportmenschen schreien aus der Entfernung in meine Richtung. Das Tripod wird aber bis zur Bandumlenkung getragen, in welcher sich bereits mehrere Polizeibeamte auf Laufstegen befinden. Das Tripod ist in unsicherer Aufstellung, da ein Bein in viel zu steilem Winkel zu den anderen beiden Beinen steht. Immer noch habe ich eine Sturzhöhe von über 7 Metern. Ein Polizist auf einem der Laufstege geht mich verbal ruppig an, ich soll sofort zu ihm auf den Steg steigen. Ich versuche mich zu beruhigen und die Gefahr einzuschätzen, da wird er dann ungeduldig und greift nach mir. Ich fordere ihn auf mich in Ruhe zu lassen, da mir die Situation sehr gefährlich erscheint. Da ich Angst habe, bei seitlicher Bewegung stürze der Tripod zusammen, entschließe ich mich für abzuseilen. Ich räume zuerst alles lose Material zusammen, nehme meinen Rucksack auf den Rücken und steige ab. Auf dem Trittgitter unten wartet ein Bulle. Ich habe keine Nerven und Adrenalin mehr, um passiven Widerstand zu leisten. Löse mich selbst aus dem Seil und gehe mit.

Niedersächsische Hundertschaftspolizei bringt Tripod zum Sturz beim Versuch der Räumung ohne Technische Einheit.

Nachtrag

Schon in der Vergangenheit versuchten Bereitschaftspolizist*innen aus Niedersachsen ein Tripod tragend zu räumen, die Konstruktion fiel um. Dieses Foto müsste jede*r Polizist*in einmal sehen, um deutlich zu haben, was passiert wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten. Glücklicherweise konnte damals die Person im Tripod aufgefangen werden. Ein Auffangen der Person in der Aktion NiederAUSmachen wäre aufgrund der Höhe und baulichen Gegebenheiten der Förderbandanlage unmöglich gewesen.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Bin die älteste poetry slamerin,geb. 1937.. mit dem Text Waldspaziergang Hambacher Forst unterwegs,morgen bei Attac in Bremen
    der ist lang,dauert 6 Minuten falls ihr ihn haben möchtet bitte mailen
    möchte aber den Schluß des Textes bringen…..poetry slam Text
    Ein Baum spricht mich an:
    “ Das ist mein Standpunkt“ sagt er
    „ich bin hier verwurzelt
    das ist mein Baumstamm
    das sind meine Jahresringe
    die sind mein Archiv
    ich schreibe Geschichte
    12 000 Jahre Geschichte
    das sind 100 Generationen Baumriesen
    das hier ist ein Friedhof
    die Kohle sind unsere Toten
    die Kohle gehört uns
    wir verzeihen viel und vergessen nichts
    ich fordere Respekt
    ich will hier nicht erschlagen
    und vermöbelt werden
    das ist mein Standpunkt“
    Jetzt ist er meiner ….. Gruß von marlene

    1. Mandy

      Der Bürgewald insgesamt kann nicht 12000 Jahre alt sein, weil durch die Archäologie seit 1978 eine dichte römerzeitliche Besiedlung mit landwirtschaftlichen Gutshöfen seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. nachgewiesen wurde. Zuvor gab es in der Bürge bereits die jungsteinzeitliche Bauernkultur der sog. Bandkeramiker ca. 5000 Jahre v. Chr., nachgewiesen u. a. durch die Befunde von Arnoldsweiler und Morschenich. Später folgten eisenzeitliche Siedler. Erst im 4. Jahrhundert n. Chr. treten römische Glashütten auf, die dort angelegt wurden, wo der am meisten benötigte Rohstoff, das Feuerholz für die Glasöfen, vorhanden war.

      1. Nöll

        Vor dem Mittelalter war tatsächlich die Römerzeit in Europa die Periode mit der größten Bevölkerungsdichte, auch nördlich der Alpen. Aber das war nichts in Vergleich mit beispielsweise Südgallien oder gar Italien. Sogar Köln ist immer eine militärisch geprägte Grenzstadt geblieben, die römischen Villen waren übers Land verteilt und waren gleichzeitig Gutshöfe und militärische Verstärkungen. Dazwischen lagen Dörfer der einheimischen Bevölkerung und vor allem: Wald. Das war auch noch zur Zeit Karls des Großen so, in der die Legende des Rittes um den Bürgewald spielt. Relativ dichte Besiedlung in einem größtenteils von Wald bedeckten Land finden wir überall auf der Welt bei Völkern, die es verstehen, rücksichtsvoll mit ihren Ressourcen umzugehen. Die Städte der Maya und Ankor Wat beispielsweise waren in ähnlicher Weise von Feldern und Urwald umgeben. Sogar im Amazonasbecken war die Bevölkerung vor der Ankunft der Conquistadores aus Europa wesentlich dichter als heute, dank der Erfindung der Schwarzerde. Auch die Bandkeramik-Kultur lebte in Siedlungen, die zuerst von Feldern und da herum von Wald umgeben waren. Erst die großen Rodungen im Mittelalter änderten das bei uns. Die Bürge blieb aber von diesen Rodungen verschont. Wie die Legende sagt, durch eben besagten Ritt. Das ist zwar unbewiesen aber vermutlich im Kern richtig. Gesichert ist, dass er ein Almendewald war, also mit Nutzungsrecht für die Dorfbevölkerung, zum Sammeln von Holz etc, aber es durfte dort nicht gefällt werden. Das ist der Grund, warum er überlebt hat, obwohl er auf dem fruchtbarsten Boden steht, den es weit und breit gibt. Das ist auch der Grund für die Einmaligkeit seiner Flora und Fauna. Und das sind nicht allein die stolzen Baumriesen oder die kleine Bechsteinfledermaus. Es ist auch der Boden, der in solchen alten Wälden eine wahre Arche Noah von kleinsten Lebewesen ist. Das ist unvergleichlich wertvoller als aller Braunkohle dieser Welt. Es ist ein Naturerbe, das wichtig werden wird wenn die WiederaufBäumung weiter geht. Auch RWE spricht von Renaturierung. Dann muss der Wald aber stehen bleiben, als Sauerteig inmitten eines wiedeaufgeforsteten Landes. Die Arche ist eine Geschichte, die wir ernst nehmen sollen.

  2. Ute Netterscheid

    Ein wunderschönes Gedicht. Danke Marlene
    Es ist einfach nur traurig, wie Menschen mit unserer Umwelt umgehen. Kein Mensch könnte so etwas fantastisches wie einen Wald bauen!! Ich denke oft, der Mensch ist eine Fehlentwicklung in der Evolution ….
    Schön , dass es auch Ausnahmen gibt

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