Ich bin traurig und wütend und wach

Ich bin traurig und wütend und wach. Vergangene Woche ist mein Studienkollege Steffen M. im Hambacher Forst ums Leben gekommen. Ein Text zu seinem Andenken:

oft denke ich, man kann ja nichts richtig machen, weil einfach die ganze welt so falsch ist. und trotzdem muss man es versuchen, zumindest diesen einen widerspruch gilt es auszuhalten, wenn man sonst schon nichts aushält. no way dass es jemals gut sein wird auf dieser welt, da ist nichts zu machen, aber deswegen lehn ich mich doch nicht zurück. ich warte nicht ab, bis das unrecht zündet und das system von alleine einstürzt. so verdrücken sich feige zyniker. umso mehr ich weiss, dass die welt im eimer ist, umso mehr will ich dagegen ankämpfen. steffen hat dagegen angekämpft, unermüdlich. er hat engagement gezeigt ohne naivität, hat friedlich gefightet, ohne verbitterung, ohne hass. er war schlau und witzig und schön. er hat alles richtig gemacht und einen fehltritt.

sich einen fehltritt leisten sagt man, das muss man können. viele aber können sich keinen fehltritt leisten, er kommt sie teuer zu stehen oder sie bezahlen dafür mit ihrem leben. andere wiederum, wenige, können sich fehltritte leisten so viel sie wollen, denn zahlen müssen andere dafür. das ist praktisch, so geht ihnen das geld nie aus und so geht ihnen die macht nie aus. denjenigen, nach deren vorstellungen die welt eingerichtet ist, die sich einfach nehmen was sie wollen. steffen hat sich die dinge nicht einfach genommen, sondern sich der dinge angenommen. er hat sich etwa dem hambacher forst angenommen, diese sache zu seiner sache gemacht. der konzern macht sich die welt untertan, während sich steffen die welt angeeignet hat. spielerisch und behutsam und leidenschaftlich, künstlerisch und dokumentarisch. beim hambacher forst geht es nicht nur um ein stück wald, es geht um ein grundsätzliches in der welt sein, um ein in-beziehung- treten mit dem, was uns umgibt.

engagiert sein, wie steffen, und trotzdem nicht in hysterie geraten, das ist die herausforderung. empört sein und wütend, ohne den hass das kommando übernehmen zu lassen. nicht auf leichte lösungen herein fallen und die schuldigen unter den schwächsten suchen, sondern sich mit denen anlegen, gegen die man keine chance hat. fighten. und sich auf keinen fall rausreden und sich selbst einlullen. auf keinen fall das schwache argument vorbringen: “aber uns geht es doch gut, wir können uns nicht beschweren, wir können nicht klagen.” haha und danke setzen. uns geht es nicht gut. und wir beschweren uns und wir klagen, wir klagen an. nicht trotz, sondern wegen unseresscheiss reichtums geht es uns schlecht, weil wir wissen, dass dieser unser reichtum immer auf kosten anderer geht, auf kosten ausgebeuteter menschen, ausgebeuteter tiere, gewässer und wälder und allem anderen, das sich nur irgendwie ausbeuten lässt. bleibt uns vom leib mit eurer schläfrigen zufriedenheit. wir sind traurig und wütend und wach.

aber ständig werden wir zu komplizInnen, ordnen uns ein und unter. wir gehen einkaufen in supermärkten und modeketten, deren art zu wirtschaften uns ekelt, zahlen steuern an einen staat, den wir so nicht wollen, arbeiten für typen, die uns ausbeuten. das alles muss einem zumindest weh tun, damit man es nicht vergisst. und natürlich, viele halten diesen schmerz nicht aus. beliebter ist es, mitzulaufen. abnicken, durchwinken, sich an die regeln halten. wer gegen menschen vorgeht, die sich in 20 meter höhe befinden, auf bäumen, weiss genau, was dabei passieren kann. steffens tod war nicht gewollt, aber geduldet. er wurde in kauf genommen. er war ein unfall und ein unrecht zugleich.

“wenn wir es nicht machen würden”, so sagen die gehorsamen, “wenn wir es nicht machen würden, würde es halt jemand anderer machen.” und genau das unterscheidet sie von steffen und seinen mitstreiterInnen. denn wenn die es nicht machen würden, würde es eben kein anderer machen. sie sind nicht austauschbar, sie sind unersetzlich. ich selbst hätte das enorme engagement von steffen nicht aufbringen können, hätte dieser belastung nicht standgehalten. ich danke ihm und allen anderen, dass sie das, was sie tun, auch für mich tun. “es lohnt sich nicht, weiterzukommen, wenn man sich selber dabei nicht mitnehmen darf.” (dietmar dath) dich nehmen wir mit, lieber steffen, haben dich bei uns, in gedanken und worten und taten.

rest in power

franz-xaver franz

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Suvi

    Es war wunderschön diesen, sehr persönlichen und direkten Text zu lesen! Danke!

  2. Christoph

    Welch ein Text! Du sprichst mir, und ganz bestimmt so vielen anderen, aus der Seele.
    Und ich habe gerade heute, endlich!, den Mut aufgebracht meinen sicheren Job zu kündigen. Ich will eben nicht mehr der Erfüllungsgehilfe dieses menschenverachtenden, ausbeutenden Systems sein. Neben der Angst, was nun kommt, ist da eine tiefe, unbändige Freude darüber, das Richtige zu tun.
    Grüße von Herzen an Euch alle. C.

  3. Katharina Bauer

    Toller Kommentar. Es wäre so schön, wenn den genauso viele Leute hören würden wie das fürchterliche Lügengeschwafel von Reul uns Co.

  4. Jana

    Wow. Was ein toller Text, schön wie du über deinen Freund sprichst. Mach weiter!! Ich finde diesen Blog hier wahnsinnig wichtig.

  5. Petra Kornelsen

    Dieser Text spricht mir aus der Seele und so wie beschrieben, versuche ich zu leben und etwas zu bewirken. Ich hasse Zynismus, der sich heute breitmacht, dieser feige Zynismus, der sich vor den Zumutungen der Welt heute schützen will, der der Trauer und Wut keinen Raum lässt, und sich damit doch zum Komplizen macht der herrschenden Ordnung. Das System muss fallen und wir müssen es zum Einsturz bringen. Die Erde hat sonst keine Fürsprecher. Und diese wunderbare lebendige und fühlende Erde ist es wert, für sie zu kämpfen. Ich verneige mich vor Steffen. Unendlich traurig.

  6. Sani

    Dieser Text sollte in allen Zeitungen über eine volle Seite gedruckt werden. Als Wecker für alle die immer noch schlafen. Er sagt einfach Alles!

    Danke

  7. Ronja Forbrig

    Danke für diesen berührenden Text!

  8. Christiane

    Dieser Text ist wunderschön, wahr und das Herz berührend! Danke.
    Ich träume den Traum, er ist auf den Titelseiten jeder Zeitung gedruckt….

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