Prozessbericht 24.01. Landgericht Stuttgart

Zur Vorgeschichte: Es war der Berufungsprozess eines Verfahren das in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10€ (Also insgesamt 1.200€) nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurde. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft legten Berufung ein. Prozessberichte zur ersten Instanz gibt es hier (erster Verhandlungstag) und hier (zweiter Verhandlungstag).

Der Prozess begann um 09:00 morgens mit der Vereidigung der Schöffen (das sind quasi ehrenamtliche Richtis ohne Jurastudium, die Kammer bestand aus einer vorsitzenden Richterin und zwei Schöffen). Offenbar war es ihr aller erstes Verfahren als Schöffen. Danach wurden ohne Komplikationen die Personalien der Prozessbeteiligten festgestellt. Direkt darauf stellte der Angeklagte einen Antrag auf Zulassung seines Wahlverteidigers. Da die Richterin offensichtlich nicht mit den Grundlagen der Strafprozessordnung vertraut war (nach der so eine Zulassung quasi erfolgen muss, wenn keine konkreten und schwerwiegenden Bedenken gegen seine Vertrauenswürdigkeit oder seine Sachkunde bestehen) benötigte sie um darüber zu entscheiden erstmal 25 Minuten Pause. Nach der Pause lehnte sie den Antrag ab, weil sie aus der Tatsache, dass der Antrag erst in der Verhandlung gestellt wurde vermutete, dass der gewählte Verteidiger die Position für verfahrensfremde Zwecke missbrauchen würde. Was das für Zwecke sein sollten wurde nicht erläutert. (Laut StPO-Kommentar und Rechtsprechung reicht alleine der Verdacht einer nicht-Eignung nicht für eine Ablehnung aus).

Der Angeklagte versuchte daraufhin eine Beschwerde einzulegen und einen Befangenheitsantrag zu stellen, beides wurde von der vorsitzenden Richterin abgewürgt und auf später vertröstet. Danach wurde die Anklage verlesen. Wie üblich laß die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft so schnell, dass der Inhalt kaum verständlich war, aber im Prinzip ging es um eine mehr oder weniger unspektakuläre Hambachbahnblockade. Der genaue Vorwurf war Nötigung (§240 StGB) sowie die Störung öffentlicher Betriebe (§316b StGB). Insgesamt soll die Strecke etwa 7 Stunden blockiert gewesen sein und der finanzielle Schaden bei der RWE-AG sich auf über 70.000€ belaufen (good job). Danach wurde für weitere 20 Minuten unterbrochen.

Danach stellte der Angeklagte einen Befangenheitsantrag wegen der rechtswidrigen Ablehung des Wahlverteidiger. Die Entscheidung darüber wurde verschoben.

Als die Richterin die Beweisaufnahme eröffnen wollte war noch ungefähr eine Stunde Zeit bis der erste Zeuge geladen war. Der Angeklage stellte daraufhin den Antrag den juristisch-pädagogischen Lehrfilm „unter Paragraphen“ zu zeigen um die Wartezeit zu überbrücken und das Gericht über die Grundlagen der Strafprozessordnung aufzuklären, da die Richterin sich offenbar für die Formalien Aufruf zur Sache, Feststellung der Personalien, Zulassung der Verteidigung, und Einlassung des Angeklagten ausreichend Zeit nehmen wollte, darüber unwissend, dass diese Formalien normalerweise nur wenige Minuten dauern. Die Entscheidung über den Antrag wurde auf später verschoben, was darauf schließen lässt das der Antragsinhalt nicht richtig verstanden wurde.

Danach wurde die Beweisaufnahme eröffnet und ohne den unverteidigten Angeklagten (Stichwort richterliche Fürsorgepflicht) über die rechtliche Grundlage auf der das passierte aufzuklären oder die Möglichkeit zu geben juristisch dagegen vorzugehen, wurden verschiedene Aussagen aus dem erstinstanzlichen Verfahren verlesen. (Die Verwendung von früheren Aussagen, schriftlichen Aussagen oder Urkunden als Beweismittel ist ein hochkomplexes Rechtsgebiet zu dem es für Rechtsanwältis eigene Fortbildungen gibt). Danach wurde für weitere 15 Minuten unterbrochen.

Anschließend wurde der Zeuge Hoß vernommen. Er arbeitet bei der „Ermittlungskomission Hambacher Forst (EK Hambach)“ und hat dem Gericht erzählt, dass er zwar nicht bei der Blockade vor Ort war, aber in der Feuerwache, wo die Lock-Ons später entfernt wurden (für RWE ist es anscheinend einfacher die Gleise aufzuflexen und die Menschen noch in den Lock-Ons zu entfernen, als die Lock-Ons direkt dort zu entfernen). Dort soll er den Angeklagten anhand eines Tattoos erkannt haben. Danach durfte er sich einge Bilder aus der Akte anschauen und diese beschreiben (welche Person der Angeklagte ist usw). Dabei konnte er quasi frei in der Akte herumblättern, wogegen die Richterin nichts sagte. Als er eins der Lock-Ons beschrieb, fragte ihn die Richterin ob er sich denn sicher sei, dass dieses Lock zum Angeklagten gehört hatte. Der Angeklagte versuchte diese rechtswidrige Suggestivfrage zu beanstanden, das wurde von der Richterin mit einem „ja, ja“ abgewunken und auch nicht ins Protokoll aufgenommen.

Nach der Vernehmung wurde für weitere 20 Minuten unterbrochen.

Danach stellte der Angeklagte verschiedene Beweisanträge. Wir fassen hier die Tatsachen die bewiesen werden sollten kurz zusammen:
-Die Verbrennung von Braunkohle sorgt für erheblichen CO² Ausstoß, CO² ist einer der hauptsächlichen Treibhausgase, die zum Klimawandel beitragen, der Klimawandel verursacht eine zunehmende Häufigkeit und Stärke von Wirbelstürmen, Überschwemmungen und anderen Wetterkatastrophen, der Klimawandel trägt erheblich bei zur weltweiten Vernichtung von Ackerböden. Das ist relevant für das Verfahren zur eventuellen Anwendung von §34 StGB der Straftaten straffrei stellt wenn ein so genannter „rechtfertigender Notstand“ vorliegt für das Verfahren zur eventuellen Anwendung von §34 StGB der Straftaten straffrei stellt wenn ein so genannter „rechtfertigender Notstand“ vorliegt
-Durch die Kohleförderung entsteht Feinstaub, durch den Feinstaub gelangen radioaktive Isotope in die Umwelt, Feinstaub ist schädlich für die Gesundheit. Ebenfalls aufgrund von §34 StGB relevant.
-Der Strom aus den Kraftwerken, die durch den Braunkohletagebau Hambach mit Braunkohle zur Stromerzeugung versorgt werden, ist ausschließlich zum Verkauf in das Ausland bestimmt. Das ist für das Verfahren relevant weil sich der Strafbestand der Störung öffentlicher Betriebe nur anwenden lässt wenn eine Anlage gestört wird die der öffentlichen Versorgung dient.
-An der Bahnanlage entstanden durch den Angeklagten keine Schäden. Relevanz sollte hier für alle Lesis offensichtlich sein.
-Ziviler Ungehorsam schafft Öffentlichkeit, ziviler Ungehorsam ist wirkungsvoll, legaler Protest allein bleibt wirkungslos. Für das Verfahren relevant weil §34 StGB (siehe oben) nur angewendet werden kann wenn das Mittel ein geeingnetes war.
-Fehlender Schotter unter den Gleisen beeinträchtigt den Schienenerkehr nicht. Auch hier sollte die Relevanz offensichtlich sein.

Da inzwischen 12:00 Uhr war entschied die Richterin erstmal zwei Stunden Mittagspause zu machen und dann über die Anträge zu entscheiden.

Nach der Mittagspause entschied die Richterin über sämtliche bisher gestellten Anträge:
-Der Befangenheitsantrag wegen der Ablehnung des Wahlverteidiger wurde von der Richterin selber(!) abgelehnt da er offensichtlich nur der Prozessverschleppung diene (wenn Richtis selber über Befangenheitsanträge gegen sich selbst entscheiden wird Rechtsbeugung Tür und Tor geöffnet).
-Alle Beweisanträge außer dem zu zivilen Ungehorsam wurden abgelehnt weil sie für das Urteil ohne Bedeutung wären.
-Der Beweisantrag zu zivilem Ungehorsam wurde abgelehnt da er keine gültige zu beweisende Tatsachen enthielte. Der Antrag auf das zeigen des Filmes „unter Paragraphen“ absurderweise mit der gleichen Begründung obwohl er nie als Beweisantrag gestellt war.

Danach wurde noch das Bundeszentralregister des Angeklagten verlesen, da es sich hier um eine ziemlich beeindruckende Liste an Vorstrafen handelt die auf ein sehr großes und ungebrochenes Engangement für die eigenen Überzeugungen schließen lassen dauerte das ein Weilchen. Danach wurde die Jugendgerichtshilfe um eine Stellungname gebeten. Sie sagte das es eigentlich keine Argumente für die Anwendung von Jugendstrafrecht gäbe. Danach wurde weitere 20 Minuten unterbrochen.

Endlich waren die Plädoyers dran. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft sah die Schuld des Angeklagten als erwiesen an, forderte Erwachsenenstrafenrecht und eine Haftstrafe von einem halben Jahr die auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt werden sollte, plus 80 Sozialstunden.

Danach wurde für weitere 15 Minuten unterbrochen.

Nach der Unterbrechung ging die vorsitzende Richterin nochmal in die Beweisaufnahme um die Ablehnung eines Beweisantrag leicht zu ändern, die Begründung war immer noch „irrelevant“, aber etwas besser begründet.

Danach kam es erneut zu den Plädoyers, die Staatsanwaltschaft bezog sich auf ihr vorheriges Plädoyer.

Der Angeklagte forderte in seinem Plädoyer einen Freispruch weil erstens wie in der Beweisaufnahme dargelegt ein rechtfertigender Notstand nach §34 StGB vorliegen würde, zweitens keine Störung öffentlicher Betriebe vorliegt da, wie in der Beweisaufname dargelegt, die vom Tagebau Hambach betriebenen Kraftwerke nicht der öffentlichen Versorgung dienen und drittens auch keine Nötigung vorlag weil es kein physisches Hindernis für den Zug gab sondern lediglich ein psychisches (das Gewissen des Lokführers). Danach gab er noch eine Erklärung zur allgemeinen Fragwürdigkeit des Konzeptes Strafe ab wofür die Öffentlichkeit applaudierte. Im letzen Wort bedankte sich der Angeklagte noch bei der solidarischen Öffentlichkeit.

Nach 25 Minuten Pause kam es endlich zur Urteilsverkündung. Die Richterin erklärte den Angeklagten für schuldig und verurteilte ihn zu 150 Sozialstunden nach Jugendstrafrecht. Gegen 16:30 war die Verhandlung dann endlich beendet.

Noch ein paar Gedanken einer Prozessbeobachterin zum Urteil: Es ist davon auszugehen dass dieses verhältnismäßig milde Urteil allein dadurch zustande kam das die Richterin aufgrund zahlreicher Rechtfehler (man könnte auch von Rechtsbeugung reden) unbedingt eine Revision vermeiden wollte. Bei Zweitinstanzlichen Urteilen nach Jugendstrafrecht ist nach der zweiten Instanz kein Rechtsmittel mehr möglich. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Jugendgerichtshilfe plädierten auf die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht, der Angeklagte äußerte sich dazu nicht und anders als mit Revisionsvermeidung ist die Entscheidung der Richterin kaum zu erklären.

Wenn weitere Nachfragen zu juristischen Details bestehen können diese gerne in den Kommentaren gestellt werden. Strafverteidigis die teilweise auch als Prozessbeobachtis anwesend waren werden sie gerne nach bestem Wissen beantworten.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Hambi bleibt!

    Höchsten Respekt vor dem Aktivisten, seinem wachen Verstand und seiner Schlagfertigkeit. Der Bericht zeigt einmal mehr, dass Recht nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat.

    Ich hatte selbst einen Richter wegen Rechtsbeugung angezeigt, der mir sogar ganz offen schriftlich bestätigte, dass er sein Urteil „ganz bewusst“ und „gewollt“ entgegen der Beweislage gefällt hatte.
    Der Staatsanwalt schrieb mir daraufhin:
    „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst der Tatbestand der Rechtsbeugung nicht jede unrichtige – auch nicht jede unvertretbare – Rechtsverletzung, sondern setzt einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege voraus. Derartige Rechtsverletzungen zu Ihrem Nachteil sind nicht zu erkennen.“

  2. Johannes Hansen

    Was war das denn fūr eine Jugendgerichtshilfe.
    Voll daneben mit Erwachsenenstrafrecht Herr oder Frau Kollegin.

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