Zu den Gefahren einer vereinfacht geführten Gewaltdebatte

Dies sind die persönlichen Überlegung einer Person aus dem Umfeld, des Waldes, welche den Widerstand im Revier seit Jahren aktiv begleitet & währenddessen unzähliger dieser Debatten miterleben durfte.

Erneut scheint in den Berichten um den Hambacher Wald eine Debatte um Gewalt ausgebrochen zu sein. Anlass dafür sind Brandstiftungen an Pumpstationen & Fahrzeugen in den letzten Wochen. Ich würde gerne einige Überlegungen dazu beitragen, vor allem dazu, wie diese Debatte geführt wird. Ich wende mich in diesem Text vor allem an Menschen, die sich der Bewegung zurechnen oder sie unterstützen.

In der Vergangenheit sind bereits zahlreiche Texte dazu veröffentlicht worden, ihr könnt sie über die Suchfunktion an der Seite finden.

Leider wird diese Debatte, wie so viele dieser sogenannten öffentlichen Debatten, stark vereinfachend & dualisierend geführt:
Es werden zwei Kategorien aufgetan, die nicht genauer definiert werden. Beide Begriffe werden einander in klassischer schwarz-weiß Manier gegenübergestellt, als sich gegenseitig ausschließend und gegenteilig begriffen.

Solche dekomplexifizierende Analysen sind ein guter Baustein um Populismus zu betreiben (wir vs. die anderen). Dazu, eine eine zunehmend komplexe Welt zu verstehen, eignen sie sich derweilen leider nicht.

Strukturelle Gewalt

Was ist eigentlich Gewalt? Wie in vielen Fällen ist eine Betrachtung des Wortstammes und seiner Herkunft hilfreich: Wurzel von ge-walt ist das walten; als wirkende Kraft o. Ä. vorhanden sein, herrschen.

Gewalt ist also schon im Wort mit Herrschaft verknüpft. Das diese Verknüpfung nicht nur eine theoretische ist, zeigt bereits ein oberflächlicher Blick:
Wer übt hier im Rheinland, in Sibirien, auf dem ganzen „Rest der Welt“ Gewalt aus? Seit Jahrhunderten werden hier und in den ehemaligen Kolonien Menschen, Tiere und Natur im gigantischem Maßstab ausgebeutet, nur als austauschbare Waren begriffen. Menschen verlieren ihre Heimat, werden verschleppt, umgebracht. Lebensräume von vielfältigen Gemeinschaften von Tieren, Pflanzen & Menschen werden für sog. Ressourcen zerstört. Für kurzfristige Gewinne wird in Kauf genommen, dass das Klima für die kommenden Jahrhunderte ruiniert sein wird, jeden Tag sterben weitere Arten aus, wird mehr Boden versiegelt, mehr Gifte produziert. Das ganze Geschehen wird gesichert von einem System, welches diese Gewalt normalisiert und unsichtbar macht.

Wer hier wirklich Gewalt ausübt, sind diejenigen, die in einem System, welches Profite und Machterhalt über das Wohl von Mensch & Natur, in führenden Positionen sitzen.

Diese Form der Gewalt, auch strukturelle Gewalt, die es erst möglich macht, dass Menschen „ganz normale Jobs“ haben, in denen sie über die Zerstörung der Lebensgrundlage anderer verfügen, wird auch strukturelle Gewalt genannt. Gewalt ist demnach das Mittel mit dem Herrschaft ausgeführt wird, und mit die Herrschenden ihre Herrschaft stabilisieren.

Nun soll dieser Begriff dazu herhalten, um eine Reihe von Sachbeschädigungen an Firmenbesitz zu bezeichnen. Wie kann diese kalte, berechnete & tödliche Form der Gewalt die von Herrschenden vergleichbar sein mit mehr oder weniger spontanen Akten der Sachbeschädigung?

Schon hier könnte Mensch stutzig werden, und sich Fragen, wie hilfreich dieser Begriff jetzt in der aktuelle Diskussion um Taktiken ist, oder ob das ganze nur eine Nebelkerze, mit der verschleiert wird, wer Macht & Gewalt ausübt.

Gewalt vs. Frieden?

Das WDR berichtet darüber, das Linksextreme die Klimaschützer*innen aus dem Wald vertreiben würden. Ein Sprecher einer lokalen Initiative behauptet, dass solche Menschen nicht aus dem Wald kommen würden, sondern aus dem Ausland.

In beiden Fällen werden wieder schwarz-weiß Gegensätze gezeichnet, die völlig ungeignet sind, um eine komplexe Realität zu verstehen. Es gibt keine Gruppe von (gewaltvolle) Linksextreme und eine von ihr abgetrennte Gruppe (gewaltfreie) Klimaschützer*innen. Was es gibt ist eine Bewegung von Menschen, die unterschiedliche Taktiken benutzen, unterschiedliche Aktionen planen.

Wenn wir uns einander anfangen, damit öffentlich zu für unterschiedliche Aktionsformen zu kritisieren und dabei auch noch die Sprache der Herrschenden benutzen, profitieren davon nur die herrschenden Verhältnisse. Warum halten es Menschen bei diesem Thema immer für nötig, sich von anderen abgrenzen zu müssen?

Wer die Geschichte von erfolgreichen politischen Bewegungen betrachten, kann eins lernen: Sie alle haben mit militanten Aktionen Aufmerksamkeit auf das Thema gebracht und mit großen zivilen Protesten ihre Forderungen durchgesetzt. Die Schwulen- und Lesbenbewegung hat mit einem spontanen Riot außerhalb einer Schwulenbar, als die Menschen genug von der ständigen Diskriminierung, Verhaftungen und Razzien durch die Polizei hatten, begonnen. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA,
die Märsche um Martin Luther King wären nie so erfolgreich gewesen, wären die Herrschenden nicht angesichts der Bedrohung durch die militanteren Teile der Bewegung, wie die Black Panthers, dazu gezwungen worden, die Forderungen der zivilen Bündnisse zu akzeptieren und die Segregation aufzuheben.

Gewaltfreie Aktionen schließen militante Taktiken nicht aus, beide sind immer wieder erforderlich, die letzteren, um die Herrschenden dazu zu zwingen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, die ersteren um in großen Protesten auszudrücken, dass das Thema für die größere Bevölkerung von belang ist und um einen Partner zu bieten mit dem verhandelt werden kann.

Beide Aktionsformen schließen sich also nicht aus, sondern werden beide gebraucht, um unseren Forderungen Gehör zu verschaffen. Vor allem die Herrschenden haben ein Interesse hier einen falschen Gegensatz zu erkennen. In dem wir diese Argumente übernehmen, spielen wir nur in die Hände von RWE, Polizei & NRW.

Wer gegen Gewalt ist, wende sich gegen Herrschaft, gegen Polizei, gegen Umweltzerstörung, gegen Kapitalismus, gegen Sexismus. Das ist die Gewalt die unsere Gesellschaft, unsere Welt prägt.

Dieser Beitrag hat 13 Kommentare

  1. Jupp Flassbeck

    Der Bagger steht ganz nah an der Abbruchkante. Jeder Mensch kann und sollte dort hingehen und die Grube mal auf sich wirken lassen. 20, 30, 40 Minuten lang. Und dann, dann können wir nochmal über „Gewalt“ diskutieren

    (aus meinem Leserkommentar bei https://rp-online.de/35318205)

  2. ich

    Es ist immer wieder faszinierend:
    Die Einleitung wendet sich gegen Vereinfachung:

    „Solche dekomplexifizierende Analysen sind ein guter Baustein um Populismus zu betreiben (wir vs. die anderen). Dazu, eine eine zunehmend komplexe Welt zu verstehen, eignen sie sich derweilen leider nicht.“

    Aber anscheinend Doppeldenk in Reinform, denn das war nur auf „die anderen“ bezogen.
    Denn wer das schreibt:

    „Wer hier wirklich Gewalt ausübt, sind diejenigen, die in einem System, welches Profite und Machterhalt über das Wohl von Mensch & Natur, in führenden Positionen sitzen“

    … macht genau das. Grobe Vereinfachung. Wir (die Guten) gegen die anderen (die Bösen). Also die Bonzen, Kapitalistenschweine und so.

    Dummerweise nutzen wir aber alle, direkt oder indirekt – die Vorteile von Kohle und co.
    Auch wer nur per Anhalter unterwegs ist und von Containern lebt – er wird trotzdem von diesem System ernährt und gewärmt. Irgendwo schläft er auch mal in einem beheiztem Haus und die Sachen die er hat, wurden wohl meist konventionell hergestellt. (Ich kenne jedenfalls niemanden mit selbst hergestelltem Schlafsack)

    Es sind nicht nur die Bonzen – es sind auch die einfachen Menschen die Kohle kaufen. Oder aus finanziellen den günstigeren Stromanbieter wählen, der auch mit Kohle stromt. (fast alle)

    Also ja, her mit einer anderen Wirtschaft, die nicht auf Ausbeutung beruht. Aber solange es diese noch nicht gibt und die aktuelle Wirtschaft auf fossile Brennstoffe beruht … sind es eben nicht nur „die anderen“. Das ist zu einfach und eigentlich Heuchelei.

    Und das ist nicht hilfreich, wenn man eben die Heuchelei „der anderen“ aufdecken will, wie eben dass die Kohle unter dem Hambacher Forst eben NICHT benötigt wird für Versorgungssicherheit. Darum war und ist der Widerstand gut.

    Wenn aber tatsächlich die Kohle knapp wäre und sonst die Menschen frieren würden – dann gäbe es keine Unterstützung in der Bevölkerung, dann wäre der Wald längst weg. Nicht wegen den Bonzen – wegen den Menschen.

  3. Hambi bleibt!

    Neben der körperlichen Gewalt gegen Menschen und Sachen, sollte man gerade im Kampf um den Hambi die psychische Gewalt nicht vergessen. Auch Worte können können Leben zerstören. Direkt, in dem Sie die Selbstachtung eines anderen zersetzen oder durch Hetze, die andere zu Gewalt anstacheln. Es gibt viele Menschen, die trauen sich nicht mehr ihre Meinung zu äußern aus Angst, sie könnten verbal angegriffen werden. Der bekannteste Hetzer ist sicher unser Reuler, der keine Gelegenheit ausgelassen hat, mit Unwahrheiten die Stimmung aufzuheizen und die Aktivisten und Demonstranten zu diffamieren. In den diversen Foren wird sein Geschwafel gerne und hasserfüllt weitergereicht.
    Besonders perfide ist die psychische Gewalt, die von der Polizei und RWE in Form von Schlafentzug durch Flutlicht und Lärm auf die Aktivisten ausgeübt wird. Dieses ist eine Art von Folter und kann im schlimmsten Fall zu schweren psychischen und körperlichen Schäden (z.B. durch Herabsetuung der Widerstandkraft) führen.
    Aus meiner Sicht ist psychische Gewalt gegen Menschen schlimmer zu werten als Gewalt gegen Pumpen.

  4. Simon Genten

    Niemand denkt in Schwarz-weiß, nur weil er die von Dir generell für gut befundenen militanten Aktionen verurteilt. Ich kann hier nur für mich sprechen, aber die ganz ganz große Mehrheit der Bewegung lehnt diese ab und sieht sich etwa nach den Aktionen zu Weihnachten mit einer Öffentlichkeit konfrontiert, die sich zu Recht empört. Ich habe selbst Herrn Reul in einer Diskussion vorgeworfen, Gewalttäter zu sehen, wo keine sind! Und dann sowas.
    Der Hinweis auf die strukturelle Gewalt der andren Seite ist entbehrlich, da hinlänglich bekannt. Diese Gewalt empört uns und einigt uns !
    Dies rechtfertigt jedoch eben nicht militante Aktionen, bei denen auch Menschen zu Schaden kommen oder kommen könnten.
    Gewaltfreiheit war und ist unser Trumpf und war der Trumpf der von Dir aufgeführten Bewegungen.
    Vielleicht hier mal Grundsätze der endegelaendeaktionen :“Wir werden uns ruhig und besonnen verhalten, von uns wird keine Eskalation ausgehen, wir gefährden keine Menschen. Wir werden mit unseren Körpern blockieren und besetzen. Wir werden dabei keine Infrastruktur zerstören oder beschädigen. Wir werden uns nicht von baulichen Hindernissen aufhalten lassen Absperrungen von Polizei oder Werkschutz werden wir durch- oder umfließen und uns auf keine Provokationen einlassen. Unsere Aktion wird ein Bild der Vielfalt, Kreativität und Offenheit vermitteln. Unsere Aktion richtet sich nicht gegen die Arbeiter*innen von RWE, die von RWE beauftragten Firmen oder die Polizei. Die Sicherheit der teilnehmenden Aktivist*innen, der Arbeiter*innen und aller Beteiligten hat für uns oberste Priorität.“. Damit gewinnt man Sympathien, da nur die Gegenseite Gewalt ausübt.
    Ich schließe Militanz auch für mich nicht absolut aus. Aber in einer Situation, in der wir die Trümpfe in der Hand haben, die Bewegung stark dasteht und dann noch zu Heiligabend derartige Aktionen auszuführen, ist kontraproduktiv und läßt bei mir ernsthaft den Verdacht aufkommen, dass hier Leute am Werk waren, die das Geschäft der Gegenseite besorgen, warum auch immer ! Mit gerd Schinkel sage ich : nein, ich lasse mich für derartige Aktionen nicht vereinnahmen.

    1. der inbeugsame

      sie hören auch nie auf den selben mist zu verzapfen, er wird dadurch aber nicht richtiger!

  5. Michael Rüttgers

    Eine sehr spezielle Sicht der Dinge.
    Wie wäre es wenn alle dem Wald fernbleiben bis die Entscheidung getroffen ist. Was hier Recht ist liegt wohl im Auge des Betrachters. In Hambach wird meiner Meinung nach seit Jahren Recht gebrochen. Hier geht es auch nicht mehr um die 200 ha Wald, es geht darum ein System zu bekämpfen.

  6. Nöll

    Jeder Vergleich hinkt natürlich irgendwie.
    Die Gegenüberstellung: Hier die Friedlichen und da die Gewalttätigen wurde tatsächlich auch bei der Bürgerrechtsbewegung in den USA erfolgreich von der Staatsmacht angewandt und ist in sofern ein guter Vergleich. Weil es diesen Gegensatz gar nicht gab. Der Unterschied ist: die noch weit repressivere Gewalt durch die US-Rassisten, staatliche wie private. Es waren längst viele Panthers umgebracht worden, als sie sich noch auf humanitäre Programme und das bewaffnete Eskortieren von Polizeistreifen durch die schwarzen Viertel beschränkten. So mörderisch ist die Repression hier zum Glück (noch?) nicht.
    Am Ende war die Black Panther Party physisch ausgelöscht. Das ist wörtlich zu nehmen! Ausgerottet, zumindest die namhaften Personen. Die Panthers wurden zu einem Krieg gezwungen, den sie militärisch nur verlieren konnten. Aber moralisch haben sie natürlich gewonnen: die schwarze Gemeinschaft ist trotz dieses schrecklichen Endes selbstbewusster geworden. Die Reste der Bewegung haben sich aber an der Gewaltdiskussion aufgerieben. Hoffentlich passiert uns das nicht.
    Vielleicht ist darum der Vergleich doch ganz gut. Wir sollten uns durch die ständigen Repressionen nicht zu Dingen verführen lassen, die den Kohlesüchtigen eher nutzen als schaden. Dazu zähle ich beispielsweise wenn verächtlich von zivilem Ungehorsam gesprochen wird, als hätte sowas keine Wirkung. So etwas spaltet.
    Damit meine ich nicht den obigen Artikel, der ja vor Schwarz-Weiß-Denken warnt.

  7. ich

    Ein Mensch wurde von einem Steinewerfer am Kopf verletzt, und zwar erheblich. Und Ihr distanziert Euch einfach nicht davon, sondern redet von „Formen des Widerstands“. So ein … .

    Und der Stein wurde geworfen von jemandem, der in diesem Moment nicht bedroht wurde, der sozusagen völlig ohne emotionale Ausnahmesituation war.

    Und ich finde, das ist es, worum es hier gehen sollte. Die ganzen theoretischen Ausführungen da oben sind für mich nur eine Verdrängung. Es wird verdrängt, dass ein Stein auf einen Menschen geworfen wurde, von dem in diesem Moment überhaupt keine Bedrohung ausging.

    Da seid Ihr doch nicht besser als Reul und Co., wenn diese mit irgendwelchen Phrasen von der Wirklichkeit ablenken wollen.

    Das da oben sind Eure Sätze, mit denen Ihr von der Tatsache, dass es einen völlig unveranlassten Angriff auf einen Menschen gegeben hat, ablenken wollt.

    Das überzeugt mich einfach nicht.

  8. Birke

    Mir scheint es, dass nicht die Aktivistis, die sich von Gewalt abgrenzen, sondern du hier ein vereinfachendes Schwarz-Weiß Bild malst: Die Menschen, die die Zusammenhänge (so wie du) verstanden haben vs. die naiven Spalter*innen.

    Zuersteinmal: Du sprichst am Anfang von Sachbeschädigungen von Pumpstationen und Fahrzeugen. Anlass für die Diskussionen, das worum es den meisten Unterstützer*innen der Bewegung mit denen ich darüber gesprochen habe (und auch mir) geht, wenn sie Gewalt kritisieren, waren aber konkret die Angriffe auf Menschen, die sie bewusst körperlich verletzen oder einschüchtern wollen. Warum nennst du das nicht beim Namen sondern wirfst Sabotage und Angriffe auf Menschen in einen Topf?

    Mit deinem Text scheinst du zu unterstellen, dass Menschen, die Gewalt gegen andere Menschen ablehnen, einfach die Welt nicht verstanden haben, nicht sehen, dass es strukturelle Gewalt gibt. Das stimmt aber nicht: Die Menschen, an die du dich richtest wissen sehr genau um die strukturelle Gewalt, den Rassismus, die Ausbeutung, etc., haben vielleicht auch (wie du wahrscheinlich) viele Bücher dazu gelesen und sie konkret erlebt, im Alltag oder bei der letzten Räumung. Den Aktivistis ist allen klar, dass es strukturelle Gewalt gibt. Aber warum muss ihr unbedingt mit physischer Gewalt begegnet werden, bzw. warum legitimiert strukturelle Gewalt, physische Gewalt gegen andere?

    Eine Erklärung, die du anführst, ist die Geschichte von anderen Bewegungen, wie die Schwulen- und Lesbenbewegung oder die Black Power Bewegung. Ich finde es sehr wichtig, sich mit der Geschichte radikaler Bewegungen zu beschäftigen, aber nicht nur, um Gemeinsamkeiten, sondern auch um Unterschiede zur heutigen Situation zu beleuchten. Wie Nöll weiter oben schon sagt, der Kontext ist da ein ganz anderer. Die strukturelle Gewalt war sehr viel offensichtlicher, sehr viel direkter und konkreter. Dieser Kontext, in dem sich eine Bewegung bewegt, gegen den sie kämpft hat sich verändert: Die Gesellschaft ist toleranter (aber immer noch ausgrenzend), die strukturelle Gewalt unsichtbarer (aber natürlich immer noch da), der Kapitalismus anpassungsfähiger (aber dadurch nicht weniger ausbeuterisch) geworden. Und diese Gesellschaft beschäftigt sich doch schon längst (und spätestens seit letztem Sommer) mit der Thematik, auf die du durch Gewalt aufmerksam machen willst. Eine solche Gesellschaft braucht, um die Repression und Bekämpfung ihrer Gegner*innen zu legitimieren genau die Gewalttätigkeit, die du ihr lieferst. Warum willst du mit der strukturellen Gewalt unbedingt legitimieren, dass du stur genau das machst, was „das System“ von dir erwartet, um die repressive Gewalt rechtfertigen zu können?

    Ich habe speziell im Hambi-Kontext viele Menschen getroffen, die sehr krasse Erfahrungen mit (Polizei-)Gewalt gemacht haben, und trotzdem daraus nicht folgern, Leute anzugreifen, die vielleicht das Logo von RWE oder des Staates auf ihren Klamotten tragen, aber für sich auch nur Menschen sind, die halt in dem System so rumgurken. Warum fallen Menschen, die doch so kritisch und differenziert sind, auch auf diese Teile-und-herrsche-Erzählung des Systems herein?

    Ich kann natürlich niemensch davon abhalten, unmenschliche (oder allzu menschliche?), naja menschenverachtende Dinge zu tun. Die Bewegung ist ja schließlich divers und jemensch macht was jemensch will, nicht wahr? Ich habe nur immer wieder das Gefühl, dass dieses Argument: lass doch alle machen, was sie wollen, oft einseitig genutzt wird, um Angriffe auf Menschen zu legitimieren und Menschen, die das ablehnen zum Schweigen zu bringen, zu delegitimieren, als Spalter*innen, Naivlinge, die die Welt nicht verstanden haben. Meine Aktionsform besteht zumindest darin, dagegen zu argumentieren (und das wenn nötig auch alle Jahre wieder).

  9. Peter

    Die Schwarzweißseherei beim Thema Gewalt in vielen Kommentaren hier, aber noch mehr in den sozialen Medien, geht mir auch auf den Senkel.
    Äußerungen sind ja leicht zu finden, wo Leute aufgrund ihrer tollen Menschenkenntnis genau zu wissen meinen, dass sie nur liebe Hambis kennen und alle Berichte über Gewalt frei erfunden sein müssen oder Gewalt konsequent ablehnen, weil sie mit einer pazifistischen Lebensweise selbst in ihrem Leben super zurecht gekommen sind.

    Diese Äußerungen sind für mich umso unverständlicher, als dass es jetzt ja auch nicht so wäre, dass das Thema Gewalt von den Aktivistis im Hambi nsgesamt stärker verheimlicht würde.
    Also viel mehr, als hier im Blog, auf Transparenten und nicht zuletzt auch vor laufenden Kameras von Sendern mit großer Reichweite darauf hinzuweisen, dass es Gewalt (von einer kleineren Minderheit) gibt und diese in Grenzen geduldet oder sogar auch befürwortet wird, kann ja kaum erwartet werden.

    Den Artikel und auch den Kommentar von Birke empfinde ich da in der Debatte als sehr wohltuend.

    Wie das in dem Artikel besonders am Ende schon richtig beschrieben ist, leben wir nicht in einer gewaltfreien Gesellschaft.
    Es gibt zahlreiche Hürden in der Gesellschaft, etwa zwischen Frauen und Männern, Reichen und Armen, „Einheimischen“ und Migranten usw., die auch ständig mit Gewalt ausgetragen werden, z. B. durch sexuelle Belästigungen, Diebstahl oder polizeiliche Grenzabsicherungsmaßnahmen, ohne dass sich da großartig jedes Mal noch wer drüber aufregen würde.

    Auch kann niemand, der nicht komplett die Augen verschließt, behaupten, dass Gewalt keine positiven Effekte nach sich ziehen könnte und nutzlos wäre.
    Ein Kind, das quengelt und aggressiv ist, bekommt nicht selten öfters seinen Willen als ein zurückhaltendes,
    Gewerkschaften, die mit den Muskeln spielen und große Teile des Gesellschaftslebens lahmlegen können, bekommen einfacher ihre Forderungen durchgesetzt und so lange Frieden haben wir ja auch eher wegen der Atomwaffen und nicht wegen politischer Bestrebungen.

    Plädoyers für Gewaltfreiheit haben für mich trotzdem absolut ihre Berechtigung. Ich finde die auch, solange sie realistisch begründet sind, eher hilfreich als schlecht.
    Wenn es Menschen gibt, die ihre Unterstützung für Aktivistis von der Gewaltfreiheit abhängig machen möchten, habe ich da nichts gegen einzuwenden.

    Gewalttätigen Widerstand mit gewaltlosen Aktionen in einen Topf zu werfen, wie das im Artikel schon auch so gemacht wird, ist mir so aber zu leichtfertig.
    Molotow-Cocktails werfen und Transparente malen oder Lieder komponieren sind schon andere Sachen bzgl. der allgemeinen Akzeptanz.

    Also ich gehe schon davon aus, dass die Polizei, wenn sie Gewalttäter*innen im Hambi unbedingt schnappen wollte (also z. B. wenn der Sachschaden noch größer wäre), das auch schafft.

    Wahrscheinlich hat letztes Jahr auch das Sauwetter mitverhindert, dass es da Fahndungserfolge gegeben hat. Dieses Jahr halte ich das noch für möglich, dass Leute geschnappt werden könnten, und spätestens nächstes Weihnachten glaube ich kaum, dass da noch alle entkommen werden.

    Ich sehe das so wie Birke, dass die historische Betrachtungen nicht so hilfreich sind, wie es der*die Artikelverfasser*in vielleicht vermitteln möchte. Die Gewaltdiskussion ließe sich sogar auch unabhängig von jeder historischen Betrachtung durchführen bzw. besser sogar anhand der aktuellen Gegebenheiten.
    Dass Gewalt schon auch Beachtung findet, ist ja einfach daran zu erkennen, wann die Rodungsstopps verkündet worden sind. Das war in der vorletzten Rodungssaison, als die ersten Baumhäuser hätten geräumt werden müssen (und es dann gleichzeitig Räumungen und Rodungen gegeben hätte [und wo sich im Vorfeld Aktivitis und Polizeipräsident auf einen „Kampf um jeden Meter“ verständigt hatten]) und dieses Jahr einen Tag bevor die Großdemo anstand, die gut aus dem Ruder hätte laufen können, wenn es da zu gewalttätigen Aktionen gekommen wäre und sich „zivile Bürgerinnen“ sympathisierend gezeigt hätten. Das hätte Bilder geben können, die weltweit für Aufsehen gesorgt hätten.

    Ob jetzt gewalttätige Aktionen zukünftig überhaupt was bringen können, muss aber sicher im Einzelfall beurteilt werden.
    Je mehr die öffentliche Diskussion ja stattfindet, umso mehr könnten sie ja schon auch in den Hintergrund treten.
    Realistisch gesehen kann das kein Mensch auf der Welt sagen, ob jetzt z. B. die letzten Aktionen für Respekt gesorgt haben könnten und vielleicht auch deshalb mit dazu beigetragen haben, dass die nächsten Räumungen jetzt auf unbestimmte Zeit abgesagt wurden.

    Das Einzige, was für mich sicher ist, ist, dass sich kein Staat der Welt auch nur im Ansatz von Gewalttäter*innen erpressen lässt und dass alle, die bei solchen Aktionen erwischt werden, hart bestraft werden, und ein trübes Dasein haben, wenn sie sonst keine positiven Ansätze verfolgen.

  10. hutzlibu

    „Das Einzige, was für mich sicher ist, ist, dass sich kein Staat der Welt auch nur im Ansatz von Gewalttäter*innen erpressen lässt “

    Das wiederum ist sehr leicht zu widerlegen.
    Die damaligen Terroristen konnten sehr wohl den Staat erpressen, nicht immer, aber etwa beim Olympiaanschlag hat das sehr gut geklappt.

    Oder die aktuelle Gelbwestenbewegung: Macron wäre sicher nicht so schnell eingelenkt wenn die Bewegung nicht so militant aufgetreten wäre.

    Die Frage ist natürlich, was will man erreichen?
    Eine saubere, gerechte Welt?
    Mit Gewalt herbeibomben?

    Bin Skeptisch.

    Also ich bin zwar sicher das man mit Bomben die Kohleförderung in Deutschland beenden könnte … aber der Preis wäre eventuell zu hoch. Denn Bomben haben übrigens auch die anderen.

    Und es geht nach wie vor um die normale Bevölkerung.
    Manche von denen heizen noch mit Kohle. Ich zum Beispiel. Kann mir nämlich leider noch kein Brennstoffzellenkraftwerk im Keller leisten, welches mir meinen mit Sonne erzeugten Wasserstoff in Strom und Wärme umwandelt.

    Die Preise dafür sinken aber – ohne Bomben.

    Heißt ich setze auf technische Entwicklung anstatt Zerstörung.
    Zerstörung macht nämlich keine Häuser warm (außer kurzfristig vielleicht).

  11. Native7

    Eine wichtige und gute Diskussion! Militanz und Sabotage waren vielleicht in den letzten Jahren auch immer ein Teil der Waldbesetzung und konnten diese mit erhalten, als noch nicht so viele Menschen hinter dem Hambi standen.

    Auch weiss ich um die Gefühle von Wut, Traurigkeit und Traumatisierung durch 5 Monate Baumhausräumungen, Polizeigewalt, Repression, RWE-Security Schikane, Zerstörung der neuen Bodenstrukturen u.v.m.! Diversity of tactics als Dogma ohne Intelligenz, Strategie und Relevanz gefährdet(e) wichtige Bündnisarbeit u. Solidarität bei vielen Menschen und führt in Zeiten wie diesen zu noch mehr Repression, Gewalt u.Verfolgung.
    Gewalt ist wie der Beitrag sehr anschaulich macht ein Teil des Systems und manifestiert Herrschaft. All dieses lehne ich ab und meine gewählte Aktionsform ist Friedlicher und kreativer Widerstand – ohne mich von anderen distanzieren oder entsolidarisieren zu müssen.

    Das es nach Weihnachten und Sylvester zu erhöhter Kontrolle, Polizeigewalt, Menschenjagden u.Repression mit angekündigter grosser Räumungsbedrohung kam, gehört in diese Debatte genauso wie die 2-3 Jahre alten fake-Videos aus RWE-Kreisen, welche bei facebook rumgeistern und selbst schon vom WDR (Aktuelle Stunde) als "Beweis" für sonstwas angeführt wurde.

    Psychological Warfare von Steuergeldern finanzierten "freien Medien" gegen überwiegend friedliche Klimaschützer zu kritisieren hat jedenfalls nichts gemein mit rechter GEZ-Kritik und gehört -meiner Meinung nach – auch reflektiert!

    Ich habe viele Jahre Erfahrungen durch politischen Aktivismus in grossen u.offenen Bewegungen sammeln dürfen und glaube, das ein gemeinsamer Aktionskonsens a la EndeGelände & Aktion Unterholz dem HambiBleibt-Bündnis gar nicht schaden würde, denn mittlerweile sind wir Teil einer weltweiten Klimabewegung und nicht mehr "nur" eine lokale Waldbesetzung!

    Und es geht doch auch jetzt um so grosse Ziele wie Kohleausstieg uvm.

    Ein Stellvertreterkrieg mit RWE-SECUS und Polizei bringt uns jedenfalls genausowenig weiter wie Spaltungsdebatten.

    Auf ein widerständiges und solidarisches Jahr 2019! HambiBleibt!

  12. Waldfrieden

    Es ist jedenfalls mehr als aufschlussreich, mit welcher Intensität einer der obigen Kommentator*innen sich dem Versuch hingibt, einerseits FÜR aber dann doch sehr deutlich GEGEN militante Aktionen zu argumentieren und darüberhinaus auch noch hellseherisch-ähnliche Fähigkeiten zu besitzen scheint (oder evtl. beruhen diese gewagten Prognosen auf anderen Erkenntnissen wie z.B. Jobhintergründen, sonstigen Kontakten/ Verbandlungen?)!

    Wirklich gelebte echte Solidarität wird eine Herausforderung bleiben und ist offensichtlich nicht jedes Menschen Ding! 😉

    SYSTEM CHANGE! NOT CLIMATE CHANGE!

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