Fremdkörper im Wald- Barrikadenräumung 22.01.18

Dies sind Schilderungen eines* Aktivsti, welche*r die Barrikadenräumung aus luftiger Höhe erlebt hat.

Was für ein System, was für eine Gesellschaft, was für eine Rechtsprechung? Auf dem Tripod, eine mich vor Regen schützende, rissige orangene Plane zu Seite ziehend, beoachte ich, wie Scharen gleichförmiger, weiß behelmter Menschen, die transparenten Wälle vor sich herstreckend, mit einer Attitüde zwischen Stolz und Langeweile, die Straßen füllen, auf denen ich täglich wandel. Dies tue ich mal im Eilschritt, trainiert die Gruben überspringend und den am wenigsten matschigen Weg, vorbei am Geäst, das die Wege ziert, suchend. Mal träumerisch schlendernd, versunken im Anblick der Baumwipfel oder der Spuren die der Matsch auf dem Boden zeichnet. Manchmal schweißgebadet und völlig entnervt, wenn schwere Dinge wie Wasser, Essen oder Material ihren Weg durch den Wald finden. Ich muss lächeln, wenn ich daran denke, wie wir einmal zu viert knapp eine Stunde gebraucht haben, bis wir zwei Fenster zu dem Baumhaus gebracht hatten, wo es gebraucht wurde. Oder wie wir mit einem Bollerwagen Wasser aus dem Nachbardorf holen waren, und sich bei jeder zweiten Wurzel das hintere Rad abgelöst hat. Mensch macht schon so einige Erfahrungen im Wald.

Doch heute blicke ich von oben herab auf ein Meer von Fremdkörpern, die in den gesunden Organismus, unser Zuhause namens Hambacher Forst eingedrungen sind. Sie gehören nicht hierher. Sie sind nicht willkommen. Zumindest nicht solange sie ihrer Uniform treu sind.

Der Wald selber ist natürlich längst nicht mehr gesund. Die vielen mächtigen, jahrhundertealten Bäume, die besonders nahe der Kante während der vergangenen Stürme zu Boden fielen, entwurzelt und riesig groß, sind nur eine sichtbare Folge des niedrigen Grundwassers, dass RWE abpumpt, um die Kohle abbauen zu können. Manche dieser Bäume sind selbst zu Barrikaden geworden, haben sich quer über Wege gelegt, um die unpassierbar zu machen. Fast so, als wollten sie in ihrem Tod noch den Wald beschützen.

Es ist für die den Wald ihr  Zuhause nennenden Menschen nötig die Wege zu beschützen, denn die Wege führen dorthin wo Menschen leben, lachen, sich organisieren und widerständig sind. Die Ausrede, lediglich Rettungswege freizuräumen, um die Sicherheit der Aktivistis zu gewährleisten, ist eine schnell enttarnte Lüge. Es hat RWE noch nie interessiert, ob es den Menschen im Wald gut geht. Sie sind störend und teuer. (Mensch bedenke die ganzen Kosten für die Securities, die hier rund um die Uhr ihre Streife fahren.)

Das Meer der weiß Behelmten beginnt den Einsatz am Waldeingang, beim Baumhaus namens Deathtrap. Doch davor – oder haben sie sich geteilt? – wird ersteinmal gemütlich durch den Wald spaziert. Systematisch wird das Gelände durchkämmt, Fotos von Strukturen gemacht, Gegenstände sichergestellt. Das war nicht abgemacht. Die Polizei trampelt durch den geliebten Wald und tut so also wäre das alles ganz normal. Ich fühle mich hilflos, kann ich doch von hier oben nicht verhindern, dass die Hundertschaften Informationen sammeln. Den Weg kann ich blockieren, aber sobald die Polizist*innen die Wege verlassen, ist meine Position nutzlos. Wütend werde ich, als ich von Hambis, die vorbei kommen, höre, dass sich der Erkundungstrupp ganz in der Nähe des  Baumhausdorfes aufhält, indem ich wohne.

Von Norden her bahnen sich Räumfahrzeuge den Weg. Stück für Stück werden die dicken Baumstämme und Äste mit einem Greifer aufgenommen und auf die Ladefläche eines anderen Fahrzeugs fallen gelassen. Ein Bagger schüttet die Gräben zu. Es dauert ein bissschen, aber die Maschinen erledigen ihre Aufgabe ohne Probleme. Das liegt wohl auch an den Menschen, die sie bedienen. Was sie wohl von dem Ganzen halten? Ob sie sich überhaupt Gedanken darüber machen, warum wir hier sind? Ich wünsche mir, dass die Menschen aufhören würden, einfach nur das zu machen, was ihnen gesagt wird, sondern selber entscheiden und moralische Urteile fällen. Die Position, aus der heraus ich das sage, ist jedoch auch schwierig, fühle ich mich doch im Recht und lasse kein Raum für andere Sichtweisen. Aber über die Folgen des Klimawandels kann mensch nunmal nicht streiten!

Der Tripod ist mittlerweile locker umstellt von Polizist*innen. Sie haben ihre Helme abgenommen. Die uniformierte Anonymität ist aufgebrochen. Ich blicke in viele junge Gesichter. Manche mit Bärten, manche mit Zöpfen. Je später es wird, desto lockerer stehen sie in Grüppchen herum und schwatzen.

Der Weg zum ersten Monopod ist freigeräumt, Polizist*innen umringen ihn, wie genau er geräumt wird, vermag ich nicht zu sagen. Ich und die anderen Menschen auf dem Tripod bereiten uns darauf vor, unsere Positionen einzunehmen. Doch nachdem der*die Aktivist*in vom Monopod geholt wurde, und der Stamm aus dem Boden gerissen wurde, kommen die Kletterpolizist*innen nicht zu uns. Sie schlagen eine Schneise durch den Wald, zum westlichen Monopod. Es werden keine großen Bäume gefällt, aber kleinere dünnere. Es ist kein schöner Anblick. Das Heulen der Kettensäge klingt unheilvoll durch den Wald.

Die Polizist*innen brauchen einige Zeit, um den Menschen vom Monopod herunterzuholen, sie benutzen dafür eine knallorangene Hebebühne. Parallel werden die Barrikaden um den Tripod herum abgetragen. Mehrere Male schwankt der Tripod bedrohlich, wenn Äste losgerissen werden, die an ihm  befestigt sind. Unser lautes Rufen mit dem Hinweis, dass dies gefährlich für uns ist wird ignoriert. Mir geht es gut, aber ich begreife, dass ich den Entscheidungen anderer Menschen ausgeliefert bin. Ich hoffe einfach, dass sie nichts wirklich Dummes tun, um uns zu gefährden, und vertraue, dass es ihr Anliegen ist, mich hier sicher herunterzukriegen. Die Menschen, mit denen ich dort oben bin, geben mir Halt. Ich bin mittlerweile nicht mehr auf der Plattform verborgen hinter den Planen sondern stehe oben auf dem Tripod und kann alles gut überblicken. Nachdem die Hebebühne kurz geentert wird, dann nach langer Inspektion von ratlos um das Gerät herumlaufenden Polizist*innen für nicht funktionsfähig (das ist aber nur eine Vermutung) erklärt wird, kommen sie durch die frisch geschlagene Schneise hinaus aus dem Wald. Was jetzt? Die Kletterpolizist*innen stehen in einem Grüppchen zusammen und beraten sich. Dann macht sich einer von ihnen namens Pauli, den wir schon von der letzten Barrikadenräumung kennen, an einem schwarzen Kran fest. Dieser ist nach links und rechts sowie oben und unten beweglich. Er wird hinaufgezogen und es wird schnell klar, dass er als erstes den Skypod räumen möchte. Dies, sowie die Räumung der Person auf der Plattform des Tripod, die angelockt ist, geschieht unter Anwendung von Schmerzgriffen.

Dies sind meine Gedanken und Gefühle gegenüber dem Kletterpolizisten: Dein Recht ist es, weil du eine Uniform trägst, jedem der nicht das macht, was du ihm sagst, mit Gewalt dazu zu zwingen. Ich sehe, wie du Menschen, die mir am Herzen liegen packst, nur ein Funken Widerstand, wie Arme die nach oben gehalten werden, anstatt herunter, und schon zwingst du die Menschen mit Schmerzgriffen, sich zu beugen. Sich dir zu beugen. Du übst Gewalt aus. Du bist ein Vertreter eines Systems, dem nichts Besseres einfällt, als Menschen durch autorisierte Gewalt zu zwingen. Das Ausmaß dieses bekannten Gewaltmonopols erfasse ich ganz neu, als ich sehe, wie die Menschen mit schmerzverzerrtem Gesicht um mich herum geräumt werden. Und Traurigkeit erfasst micht, und Wut. Wer ist denn die Person, die hier gewaltbereit ist? Was ist der Unterschied? Ich und alle Menschen auf dem Tripod haben sich absolut friedlich verhalten. Vielleicht haben wir nicht kooperiert, aber das müssen wir auch nicht. Es sind einmal nicht die Ökoterroristen die Krawall machen, stattdessen strahlt die sonst subtile, versteckte Polizeigewalt hell  auf an diesem grauen Wintertag. Ich möchte gern so leben, dass keine staatliche Instanz das Recht hat, mich mit Gewalt zu bezwingen. Ich halte es für eine große Ungerechtigkeit, Menschen als „Hüter*innen von Recht und Ordnung“ abzustellen, die dafür da sind,  Menschen zu brechen, die sich aufbäumen. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen.

Ich werde schließlich auch geräumt. Es dauert einige Zeit, gibt einige Probleme. Die hauptsächlich darin bestehen, dass es schwer ist mich umzusichern, da mein Gurt dafür nicht geeignet ist. 2 Bandschlingen werden als Brustsicherung um meinen Oberkörper geschlungen. Sie schneiden unangenehm in meine Kehle. Als das Umsichern geschafft ist, haben die zwei Probleme mich, aus meiner alten Sicherung rauszuhebeln. Nach 2 vergeblichen Versuchen schlägt Pauli vor die Traverse in der ich hänge einfach durchzuschneiden. Sie ist zwischen Tripod und einem Baum gespannt. Glücklicherweise stoppt ein Kollege diesen Vorschlag, und auch vom Monopod gegenüber weht eine Stimme herüber die dem Polizisten davon abrät. Kappt er die Traverse, könnte der Tripod umfallen und den noch darauf verbliebenen Menschen gefährden. Die zwei Polizisten sind freundlich zu mir (warum eigentlich?), keine Schmerzgriffe, dafür probiert mir Pauli ins Gewissen zu reden. Mir ist schwindelig von der unbequemen Position kopfüber. Ich möchte, dass es bald vorbei ist und sie mich hier runter holen. Ich wehre mich nicht, aber mithelfen tue ich auch nicht. Es wundert mich, dass sie es nicht schaffen, mich aus der Sicherung zu hebeln, das sind doch ausgebildete Kletterpolizisten! Jede*r der im Wald retten lernt, beherrscht diese Technik. Egal, Pauli schafft es mithilfe des Krans, mich hochzuheben, meine Sicherung wird gelöst, ich werde heruntergelassen. Ich nehme alles wie durch einen Schleier wahr. Unten angekommen werde ich auf dem Boden abgelegt. Ich bin von Polizist*innen umringt. Mit schnellen Bewegungen wird meine Vermummung entfernt, meine Hände mit Kabelbindern gefesselt. Ich möchte sitzenbleiben, weise auf die Gefahr eines autostatischen Schocks hin. Ich werde von Uniformierten zu den Sanis getragen. Meine Augen werden gecheckt, ich werde gezwungen, mich zu fokussieren und somit die Situation zu erfassen. Ich werde gefragt ob ich aufstehen kann. Ich weiß es nicht. Ich probiere es. Ich stehe, wenn auch wackelig. 2 Polizist*innen geleiten mich zur Wanne. Auf dem Weg wird mir erklärt, was mir vorgeworfen wird. Auf Rückfrage werden mir beflissen die dazugehörigen Paragraphen zitiert. Ich werde durchsucht, und dann – immer noch gefesselt – in eine Zelle der Wanne gebracht. In den zwei Zellen vor mir sind die Menschen, die vor mir geräumt wurden. Wir können miteinander sprechen und singen. Ich fühle mich immer noch ein bisschen durcheinander. Irgendwann fahren wir los. Das wir uns anschnallen wollen, es aber in gefesseltem Zustand nicht können, wird 2mal übergangen. In der Gesa in Aachen angekommen, scheint es völlig klar zu sein, dass wir dort übernachten werden. Einzeln werden wir herausgeholt, uns werden die Kabelbinder abgenommen und in Einzelzellen geführt. Es wäre sicherlich spannend und nötig, genau zu beschreiben wie die Zeit in der Gesa ablief, aber dafür fehlt mir gerade die Kraft.

Fest steht, dass alles was im Folgenden passiert ist, bis hin zum Urteil der Haftrichterin, dass jemensch, der nicht seine Personalien angibt, in U-Haft kommt, Teil des Repressionsapparats sind, der uns einschüchtern soll. Manchmal gelingt das, und ich überlege, ob ich wirklich bereit bin, die Konsequenzen zu tragen, wenn ich in eine Aktion gehe. Aber alles in allem hat mich diese letzte Erfahrung einfach nur bestärkt und mir die Angst genommen. Es gibt unglaubliche Strukturen, einen Anwalt, Menschen, die da sind wenn man in der Gesa sitzt und wenn man herauskommt. Und der bundesweite Support für Hambi9 ist ein gewaltiges Zeichen von Solidarität. Denn so ist es: Unseren Widerstand könnt ihr nicht brechen. Je härter die Repression, desto enger rücken wir zusammen. Und damit erreicht der Staat genau das Gegenteil, denn anstatt dass Menschen abgeschreckt werden, radikalisieren sie sich.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Ink

    vielen lieben Dank für diesen anschaulichen … Bericht

  2. Peter

    Sehr anschaulich rübergebracht, danke.
    Meine Gedanken sind bei Euch!

  3. katja

    Danke, dein bericht beeindruckt mich sehr. Ich und so viele andere denken an euch, versuchen mitzufühlen und euch mit offener solidarität zu unterstützen.

  4. Möhre

    is doch geil wenn müll rumliegt

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