Folgende Einladung erreichte uns:
„Das dortige Amtsgericht will einen Strafprozess gegen mich führen, weil ich im Oktober 2015 (!) die Hambach-Kohlebahn blockiert haben soll. Der Betrieb dieser Kohletransportstrecke blockiert die sozial-ökologische Transformation und jedes Bemühen um Klimagerechtigkeit. Außerdem behauptet 1 Polizist, von mir beleidigt geworden zu sein. Als junger Mensch finde ich es hingegen beleidigend, wie rücksichtslos RWE und der Staat mit dem Klima und damit meiner zukünftigen (Über)Lebensmöglichkeit auf diesem Planeten umgehen.
Gegen den Strafbefehl habe ich Einspruch erhoben, weswegen es nun am Freitag, den 29. Juni um 09:00 Uhr im Sitzungssaal 110 am Amtsgericht Kerpen (Nordring 2- 8, 50171 Kerpen) zum Prozess kommt. Dabei ist klar: Hier soll es darum gehen, durch nervige und potentiell teure Repression der Bewegung für Klimagerechtigkeit Steine in den Weg zu legen. Diese Repression soll vereinzeln, einschüchtern und Ohnmacht provozieren. Sie wollen, dass wir aufhören das zu tun, was wir tun müssen um ein gutes Leben für Alle aufbauen zu können. Das schöne ist aber, dass wir so viele, so solidarische und so entschlossene Menschen sind, dass dieser Versuch scheitern wird. Im Gegenteil: Ende Juni werden wir in Kerpen die juristische Auseinandersetzung gewinnen und im Herbst im Hambi die politische!
Ich freue mich über ein aktives und solidarisches Publikum! Zur Anreise möchte ich vorschlagen, um 08:00 ab Köln Hbf mit der S 19 nach Sindorf (!) zu fahren und dort um 08:30 mit Bus 911 bis Möderath Abzw., Kerpen. Wenn ihr eine längere Anreise plant, kann ich euch gerne Übernachtungsplätze besorgen.
Das Verfahren gegen mich ist zwar ärgerlich, aber nichts im Vergleich zur Härte mit der andere Klimaaktivist*innen – insbesondere im Globalen Süden – angegangen werden. Aber auch hier eskaliert der Rechtsstaat, am Liebsten auch in NRW mit einem neuen Polizeigesetz (das den Hambacher Forst zum Testgebiet für Elektroschocker bei der Polizei erklären will), mit abgedrehten Busentführungen (beim letzten Klimaprozess in Kerpen wurde ein Linienbus von der Polizei ‚umgeleitet‘) oder vermehrter Untersuchungshaft.
Daher wird es vor dem Gericht eine Kundgebung geben! Dort wollen wir unsere Solidarität mit der Unbekannten Person #3 – UP III – aus dem Hambacher Forst ausdrücken, die seit längerem in isolierter U-Haft sitzt. Außerdem muss – theoretisch – die freie Anreise zu Versammlungen durch die Polizei gewährleistet werden.
Das Ergebnis des Gerichtsprozess können wir natürlich nicht vorhersagen. Aber falls es uns spontane, politische Reaktionen entlockt könnten wir doch nach dem Prozess die Demokratiefestigkeit der Kerpener Polizei unter Beweis stellen und weitere, spontane Versammlungen abhalten.
Gerichtstermine werden manchmal kurzfristig abgesagt. Das ist hier auch der dritte Versuch des AG Kerpen, diesen Prozess zu führen (sie haben im Juni 2017 und Juni 2017 schon Termine angesetzt und abgesagt). Bitte informiert euch vor eurer Anreise nochmal auf http://antirrr.blogsport.de oder bei mir, ob der Prozess stattfindet.
Es kann sein, dass es im Gericht Ausweiskontrollen gibt, die definitiv in aktuellen Ermittlungsverfahren – insb. gegen unbekannte Personen – herangezogen werden können. In den Sitzungssaal passen nur ca. 20 Zuschauer*innen. Außerdem solltet ihr keine illegalisierte oder gefährliche Gegenstand mit in’s Gericht nehmen.
Danke an die Antirepstrukturen für ihre grandiose Arbeit!
Wir werden gewinnen.
Kontakt zum Angeklagten via
hambacherforst@nullriseup.net „
Am und im Amtsgericht gab es ein großes Polizeiaufgebot, dazu viele interessierte solidarische Menschen. Der große Saal 112 war brechend voll.
Vorgeworfen wurde mögliche Beleidigung während einer Schienenblockadenräumung im Oktober 2018. Es gab nur 2 Polizeizeug*innen. Der Erste konnte sich an nichts erinnern und wollte nicht aussagen, der Zweite konnte die Beleidigung nicht genau zuordnen. Hinter ihm wurde während einer gewaltsamen Räumungsaktion geschrien, er drehte sich um und sah dem Angeklagten direkt ins Gesicht. Es standen dort allerdings noch recht viele andere Menschen, die gerufen haben könnten, so dass dies ein typischer Knallzeuge war. Nun blieb dem Angeklagten die Wahl, für einen gut möglichen Freispruch ein zweites Mal vor Gericht zu erscheinen, oder direkt einzuwilligen, 150€ an eine Umweltorganisation (nimm gerne uns!!!) zu spenden. Er entschied sich für Letzteres.
Ein weiterer Prozessbericht:
„Der Prozess wurde von 35 Polizisten in voller Montur gesichert, ca 20 Menschen begleiteten ihn solidarisch. Die Verhandlung selber brachte für die Anklage wenig positives zu Tage: Zeuge 1 war – nach Meinung der Verteidigung – ein sogenannter Knallzeuge, sprich: Er hat etwas gehört und sich dann erst umgeguckt, wer das denn war. Dadurch konnte er es logischerweise nicht selber gesehen haben. Außerdem soll es um 6 Uhr morgens Mitte Oktober gewesen sein (ergo: dunkel), bei der Hambachbahnblockade wo die Beleidigung gefallen sein soll, waren ca 40 Menschen, viele hatten wegen der Kälte ihre Schals im Gesicht. Er war sich aber sicher, dass die Person, die er dann vor Ort angesprochen hatte, die gleiche Stimme wie der Beleidiger hatte. Allerdings konnte er
sich im Prozess weder an Stimme, noch an Aussehen oder Kleidung des angeblichen Täters erinnern und ihn auch nicht identifizieren.
Zeuge 2 wusste gar nichts mehr und wollte sich auch nicht so recht an irgendetwas erinnern.
Die Verteidiung hatte spannende Beweisanträge vorbereitet
(#Videobeweis), doch dazu kam es gar nicht mehr. Alle Beteiligten
stimmten einer Einstellung des Verfahrens gegen eine Spende von 150€ an einen Klimaschutzverein zu. Die Verteidiung nahm dies an, obwohl sie der Überzeugung ist, dass ein Freispruch angemessener wäre. Aber: Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung kann die Richterin faktisch machen was sie will und auch mit schwachen Argumenten verurteilen. Außerdem hätten weitere Prozesstage mehr Fahrtkosten, Stress und Zeitver(sch)wendung bedeutet. Mit der Einstellung nach §153a StPO ist explizit kein Schuldeingeständnis verbunden und wir verbuchen die Einstellung als Freispruch 2. Klasse.
Die Richterin wollte – zu unserer aller Überraschung -, dass das Geld sofort und in bar gezahlt wird. Da die Verteidigung aber keine 150€ dabei hatte, wurde im Publikum ein Hut rumgegeben und das Geld gesammelt. Starke Solidarität, danke dafür!!
Eine spannende juristische Einschätzung noch:
Laut Staatsanwaltschaft Köln (die für Hambi-Sachen oft zuständig ist) ist die ‚reine Sitzblockade‘ (also ohne technische Hilfsmittel) keine Störung öffentlicher Betriebe (§316b StGB) und auch keine Nötigung. Für ersteres muss die Sachsubstanz der Anlage (hier: Hambachbahn) laut Gesetz „zerstört, beschädigt, beseitigt, verändert oder unbrauchbar [ge]macht“ werden. Dies ist durch reines Draufsitzen nicht gegeben (anders wohl bei Lock-Ons unter der Schiene, Betonpyramiden oder Schottern). Hierzu hat auch das OLG Celle und der BGH entsprechende Urteile gefällt. Auf den Lokführer wird durch die Anwesenheit von Menschen „nur“ psychisch eingewirkt, anzuhalten. Dies reicht allerdings nicht für – juristisch gesehen – ‚Gewalt‘ aus, die aber für Nötigung
gegeben sein muss.
Ich finde das sehr interessant, da es die Möglichkeit eines straffreien massenhaften Blockierens der Hambachbahn eröffnet. Legaler ziviler Ungehorsam? Why not!
Danke für alle, die da waren oder auf anderem Weg solidarisch waren.
Wenn der Staat euch nervt: Ihr seid nicht allein, gemeinsam kommen wir da durch. Love AntiRRR, Hate PolGNRW.
„