Kritik an der Kritik

Die Schwarz-Ruhr-Uni Bochum hat eine Kritik am Aufruf der anarchistischen 1.Mai-Demo Dortmund veröffentlicht.

Wir, das sind eine kleine Gruppe Menschen, die rund um die Besetzung des Hambacher Forstes aktiv waren oder sind, möchten hier reagieren. Dies ist nicht die Meinung der gesamten Besetzung. Wenn im Folgenden von „wir“ die Rede ist, ist diese kleine Gruppe gemeint, mit „ihr“ die Schwarze-Ruhr-Uni.

Immer noch binärer Feminismus

Aus unserer Sicht packt die Abkürzung FLINTA Kategorien/Identitäten in eine Kiste, die nicht in eine Kiste gehören.
Am Ende macht es halt wieder eine suuper binäre Unterscheidung auf, nur statt Männer vs. Frauen ist es jetzt cis-Männer gegen alle anderen.
Das wird weder der Realität patriarchaler Unterdrückung gerecht, noch ist es (im Falle von safer spaces) zielführend.

Das von euch zurecht kritisierte cisweibliche Gatekeeping („Wir Arbeiterinnen, Mütter und Freundinnen sind es, die in der Krise den Laden am Laufen halten und die die Macht haben, das System zu verändern.“) exkludiert nicht nur Menschen außerhalb des binären Geschlechtersystems (egal ob sie inter, enby oder agender oder was ganz anderes als Label für sich verwenden), sondern ist genauso Bestandteil der gewaltvollen und -erzeugenden Konstruktion von Männlichkeit, nämlich dem Fakt, dass amab Personen zu oft in Kindheit und Jugend keine Care- und emotionalen Skills lernen.
Eure Kritik wiederum („Trans […] haben den Laden anscheint nicht mit am Laufen gehalten, sondern waren einfach faul.“) spricht implizit trans Frauen ihre Weiblichkeit ab, und nimmt trans Männer von der Kritik wegen Machoverhalten/toxischer Männlichkeit in all ihren Ausprägungen aus. But why? Aus unserer Sicht ist dieser Satz aus eurer Kritik transfeindlicher als das Originalzitat.

Ja, der Begriff „Frau“ in diesem Zusammenhang ist unscharf und trifft nicht ganz das gemeinte. Aber der Begriff „FLINTA“ ist all das auch. Der Langaufruf des Demobündnisses formuliert das eigentlich ganz sinnvoll mit „Frauen und weiblich gelesenen Personen“, noch besser, wenn auch schon wieder noch länger, ist vielleicht „Frauen und mit dem Label Frau konfrontierte Menschen“, wie es in CCC-Kreisen für safer-space-Veranstaltungen verwendet wird.

Hier noch ein Text, der das Problem mit dem T in diesem Sammelsurium etwas ausführlicher aufdröselt. Leider gerade nur in wenig barrierefrei erhältlich. Ein zweiter Text, warum das N da nicht reingehört, folgt evtl.

Der Text "flinta spaces need to split" aus dem Danni Nackt-aber-nicht-erotisch-Kalender.
Der Text „flinta spaces need to split“ aus dem Danni Nackt-aber-nicht-erotisch-Kalender.

Technologische vs Adaptive Ansätze

Einen Punkt, den ihr verpasst habt: Zumindest im Kurzaufruf fokussiert der Klimablock sehr auf technische Lösungen:

– Klimagerechtigkeit, also Forderung nach- und Durchsetzung von- Konzepten, die Schluss machen mit der Überproduktion von Treibhausgasen, ungleicher Abwälzung der fatalen Folgen und dem ganzen zugrundeliegenden kapitalistischen System!

Aber das reicht nicht. Es braucht eine Art emotionale Sicherheit für Menschen, eine Möglichkeit, mit dem Trauma der Pandemie, dem (für die meisten in Mitteleuropa noch) unmittelbar vor der Tür stehenden Trauma der Klimakatastrophe, dem Trauma des autoritären Backlashs, aber ebenso der Verunsicherung, die mit neu gewonnener (hopefully)  Freiheit einhergeht, umzugehen. Das ist die eine Aufgabe von Herrschaft, für die wir eine Alternative schaffen müssen, wenn wir Herrschaft überwinden wollen. Adaptive Leadership ist das, weshalb Menschen immer sich dafür entscheiden, beherrscht zu werden. Es ist der Grund, weshalb so viele der CDU unter Merkel hinterhertrauern, die doch auf der technischen Ebene so viel Unfreiheit und Marginalisierung und Stillstand gebracht hat.

Wir müssen, neben den handfesten Kämpfen gegen das zerstörende autoritäre System, dringend Erzählungen, Geschichten, Lieder finden, die den Menschen die nötigen (technischen und systemischen) Änderungen, die (hopefully) Befreiung, emotional erträglich machen.

Und weil alte Geschichten von Befreiung heute immer noch lehrreich sind, auch wenn sie noch nicht alle Formen von Unterdrückung auf dem Schirm hatten, die wir heute kennen, dazu eine sehr, sehr alte Geschichte von Befreiung und wie sie fast schiefgegangen wäre (mit einer aktuellen Einordnung), und eine fast neue Theorie von Befreiungserzählungen.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Sprachliche Präzision

    Ist halt die Frage, was du eigentlich aussagen willst, wenn du FLINTA sagst:
    Von Misogynie Betroffene?
    Menschen, die gelegentlich/häufig weiblich gelesen werden?
    Menstruierende Menschen?
    Menschen mit Brüsten?
    Menschen mit Östrogenhormonhaushalt? (zB Wenn es um Medikamente oder Drogen geht)
    Oder doch „nur Frauen“? (solange Grundlage die Selbstdefinition ist, ist das auch bei manchen Themen vorstellbar)
    Die bisherigen Kategorien haben eine sehr große, aber nicht 100%ige Überschneidung.

    Betroffene sexualisierter Gewalt/Übergriffen? (Achtung: Auch (cis) Männer können von sexualisierter Gewalt betroffen sein!)

    Je nach Thema kann auch „Menschen, die auf Männer stehen“ oder „trans und genderquestioning“ sinnvoll sein.

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