Zwei Jahre später finde ich eine eigene Stimme, verstehe die Wichtigkeit, davon zu sprechen was passiert ist. Ich versuche Muster aufzuzeigen: Diese Machtpositionen sind in vielen Formen in der Bewegung wiederzufinden. Mit einer geschärften Wahrnehmung dafür können sie gesehen, offengelegt, kritisiert und überwunden werden.
Ich war unerfahren. 2Xjährig aus einer behütetten Familie. Als Autist*in war mir von klein auf ungesprochen verständlich gewesen, dass ich nicht zu dieser Welt passt— nein, diese Welt einfach falsch ist. Unterschiedlich Subkulturen habe ich durchwachsen, ihre Häute angenommen und wieder abgestriffen, Immer auf der Suche nach Verständniss und Verstehen, so vieles was ich jetzt benennen kann, was ich bestimmen kann, war früher nur ein unklares Sehnen gewessen. Ein Wissen aus der Tiefe meines Seins, das etwas Anderes möglich sein muss, vielleicht sogar irgendwo Realität ist, nicht nur in meiner Fantasie.
2015 kam ich das erste mal in den Wald. Noch nie hat mich ein Ort gleichzeitig so fasziniert und abgeschreckt. Ich weiß noch genau, wie mich ein Mensch in einer Septembernacht an der Autobahnabfahrt rausließ. Im Dunkeln lief ich der Karte hinterher, die ich auf ein zerknittertes Stück Papier gemalt hatte.
Die Nacht schien dunkler zu sein als sonst, ich schwamm ruhig durch sie hindurch, bis ein Klingeln mich aus dem Moment holte. Ein vermummter Mensch auf Fahrrad hielt an, bot an mich zur Wiese mitzunehmen. Ich setze mich auf den Gepäckträger, war mir unsicher, ob es ok sei, sich an der Person festzuhalten, und schwankte dann lieber etwas mehr hin und her.
Sie setzte mich auf der Wiese ab und verschwand in Richtung Wald. Neben mir die Tür der Library, ein kleines Lehmhäuschen, voller Menschen und Bücherregale, es gab Eintopf. Hier bleibt meine Erinnerung schwammig. Habe ich mit den Menschen gesprochen, hat mich eins rumgezeigt? Eine Eigenheit meines autistischen Seins ist es, dass ich ein präzises Gedächtniss für belanglose Daten und Fakten habe, mich aber oft nur mit Mühen an die Gesichter, Töne und Gerüche der anderen Mensch-Tiere erinnere. Vielleicht ist es auch gut, an dieser Stelle zu erwähnen dass ich damals noch nicht den Begriff „Autismus“ kannte, um das Anders-Sein, welches das Mein-Sein ausmachte, zu benennen.
Ich hatte zu dieser Zeit keine festen Pläne, irgendwo gab es die Idee, sich das hier ein paar Tage mal anzuschauen und dann weiterzumachen. Daraus wurde nichts — nach sechs Wochen verließ ich die Besetzung das erste Mal, für ein Wochenende, um ein paar Winterschuhe aus einem Keller zu holen und kam sofort wieder.
Ich baute mir ein Lager im Gewächshaus. Morgens kochte ich in langwieriger Prozedur ein paar Tassen grünen Tee über naßem Holz, welches wir jeden Tag erneut unter freundlichem Fluchen zusammenlasen. Keins erwartetet hier etwas von mir. In diesen einfachesten Verhältnissen, zwischen schlammigen Wegen und naßem Feuer, fand ich eine Freiheit, die ich zuvor ersehnt und nicht gefunden hatte. Zum ersten Mal spürte ich die volle Bedeutung dieses Wortes, welches zu oft zu leeren Hülle auf Werbungen und Wahlplakaten verkommt.
Vorsichtig und langsam knüpfte ich einige Beziehungen mit anderen Wesen. Immer noch war ich faszininiert von diesem Ort, hätte es nicht für Möglich gehalten, dass so etwas in Dunkelland existieren könnte. Gleichzeitig schreckten mich die Umgangsformen der Menschen untereinander ab, ich spürte viel Misstrauen gegenüber mir als neue Person, viel Erschöpfung, Wut und Zweifel.
Ich war daran gewöhnt, viel Zeit mit mir selber zu verbringen, sah mich oft in der Rolle der stillen Beobachter*in. Die Zeit floß dahin, zwischen den Arbeiten, die nötig waren, um das Leben im Camp aufrechtzuerhalten, den Versuchen sich mit einer Gruppe von vielleicht zwanzig, dreißig Menschen, sich auf die Rodungssaison vorzubereiten. Nichts war hier, wie ich politische Arbeit in den Städten kennengerlernt hatte, keine langen Plenas, alles direkter und gleichzeitig fragiler.
Katz und Maus Spiele mit Sekus in Waldteilen, von denen inzwischen nicht einmal der Boden übrig geblieben ist, nur ein tiefes Loch. Ich renne mit einer Freund*in durch den Wald, wir rufen Tiergeräusche. Irgendwo fliegen Böller. Mehr als stören können wir die Rodungen nicht. Damals war die Polizei noch selten vor Ort. Das meiste spielte sich direkt zwischen den Aktivisti und den Sekus ab. Viele Diskussionen über Militanz. Nachdem die Werkstraße einen halben Tag mit einer brennenden Barrikade und einer Bombenattrape blockiert wurde, kommen die Menschen aus dem Bürger*innen-Verein und bringen viel Unmut mit. Ich verstehe nun, Gewaltfreiheit kann auch ein Privileg sein.
Später sammeln wir Pilze, fragen uns, wieviel von dem Quecksilber, das die Braunkohlekraftwerke ausstoßen sie enthalten. Schmecken tun sie trotzdem, nachdem uns endlich gelungen ist, mit Hilfe von genug Birkenrinde im Regen ein Feuer zu machen.
Es muss bestimmt zwei Monate gewesen sein, dass ich das erste Mal in Kontakt komme mit Menschen, die im Wald leben. Sie wirken auf mich noch verschlossener als die Wiesenbewohner*innen, bleiben vorallem unter sich. Zusammen mit einem Freund lerne ich erste Klettertechniken, schaffe es oben auf das Baumhaus was neben Chillum stand, Bong oder Orca — je nachdem wen du wann fragst. Als erneut das Gespenst einer Räumung rumfliegt, verbringe ich die erste Nacht auf einem Baumhaus was sonst unbesetzt gewesen wäre.
Ich lerne eine neue Dimension kenne, oben in den Kronen, manchmal ist es so kalt, dass das Wasser im Kanister neben mir gefriert, und ich lerne, dass eine gefrorene Decke auch noch gegen die Kälte schützen kann. Wenn die Finger warm genug sind schreibe ich ein paar Zeilen Gedichte. Ich lerne die wenigen Vögel kennen, die nicht über den Winter weggeflogen sind. Kleiber und Baumläufer begleiten meine Träume.
Nach einer Weile verbringe ich mehr Zeit mit einer Gruppe, die darüber redet ein neues Baumhausdorf zu gründen. Hier fühle ich mich aufgenommen.
Inzwischen weiß ich das ich hier auch deswegen willkommen geheißen werde, da es klar ist, dass ich auch der gleichen sozialen Schicht komme. Ich bin nicht zu punkig, halbwegs ordentlich, und habe auch noch nicht so viele Traumatas die ich nur mit Drogen oder Alkohol erträglich machen kann.
Damals denke ich über so etwas nicht nach.
Wir schmieden große Pläne. Wir wollen mobilisieren für die nächste Rodungssaison, damit wir mal mehr als ein paar dutzend Menschen sind. Bessere Öffentlichkeitsarbeit und die Menschen, die neu sind besser integrieren. Damals klang das nach einem neuen Aufbruch, heute weiß ich was am Ende für die Außenwirksamkeit alles geopfert werden wird.
Wir werben aktiv neue Menschen an, der Blick scannt intuitiv: passt du in die Gruppe rein? Haben wir eine geteilte Sprache? Schon von Anfang an werden Menschen sortiert nach dem was ihnen zu getraut wird, was sie leisten können. Unsere Gruppe ist weiß, gebildet, homogen.
Es klappt überraschend gut. Nicht weil wir irgendein magisches Rezept haben, die Zeit ist einfach reif, dass Bewusstsein um Klimawandel und den Irrsinn von Braunkohle kommt langsam in einigen Köpfen an.
In der Gruppe gibt es Gespräche über Strategien. Ich höre meistens zu, habe noch keine Erfahrungswerte mit denen ich das Gehörte messen kann. Ich erinnere mich an eine Diskussion. es geht um Solidarität. Ein Mensch sagt, dass innerhalb der Gruppe die Solidarität uneingeschränkt sein sollte. Zu Menschen außerhalb der Gruppe nur, wenn sie die gleichen Ideale teilen und wenn es sonst passt. Andere stimmen zu.
Ich verstehe erst später, was für einen Bombe sich in dieser Aussage versteckt. Solidarität, Lieblingswort der Linken. Gern genutzt um große Gefühle hervorzurufen. Was in der Realität dann läuft, ist dann doch eher mau. Jetzt wird sie schon eingeschränkt, bevor wir überhaupt wirklich mit ihr angefangen haben?
Zunehmend bekomme ich Probleme mit T., einem anderen Mensch aus der Gruppe. Natürlich betonen wir immer, dass wir keine Hierarchien haben. Aber es reicht ja nicht aus, dass einfach zu erklären.
Er ist der Anführer der Gruppe. Er gibt oft den Ton an und prägt wo die Gruppe sich hinbewegt.
Ihm fällt es sehr sehr schwer, Bedürfnisse anderer Menschen anzuerkennen und zu respektieren, wenn sie ihm nicht logisch erklärt werden (können).
Auf irgendeinem Friedhof finden sie die Reste von zwei Schädeln. Er nimmt sie mit und fängt an sein morgendliches Müsli daraus zu essen. Eine Person die erst seit wenigen Tagen dabei ist verlässt die Runde als ihr das klar wird, was für eine Schale er benutzt. Auch mir ist es ziemlich unwohl dabei. Ich versuche ihn darauf anzusprechen, zu erklären, dass ich mich dabei nicht gut fühle, dass die andere Person sich in ihrem Glauben verletzt fühlt. Er kann und will es nicht verstehen. Er argumentiert, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Knochen und Holz, alles nur Materie. Emotionale Gründe will er nicht ernst nehmen, wischt er beiseite, für ihn zählt nur die „Sachebene“.
So geht es einige Tage weiter, bis ein anderes Mitglied der Gruppe sich traut und ihn anschreit, dass er den Scheiß endlich lassen soll. Ich glaube es gab dann noch eine Aktion, wo ich und ein paar andere die Schädel irgendwo im Wald vergraben haben.
Danach ist unser Verhältnis nicht mehr so einfach. Ich habe zunehmend dass Gefühl, dass mich eine Person auf dem Kicker hat, die in der Gruppe und ihm Wald ziemlich viel zu sagen hat. Ich versuch auf unterschiedlichen Wege, meine Gefühle in der Gruppe zu thematisieren. Er kann es sich leisten, sich damit nicht ernsthaft zu beschäftigen — muss ja nicht mit den negativen Auswirkungen leben.
Immer wieder übergeht er meine Bedürfnisse, verneint sie. Inzwischen sind einige neue Leute im Dorf angekommen. Schnell sind wir dreißig, vierzig Leute allein hier in diesem Dorf. Abends singt er mit den anderen Lieder, trommeln usw. Ich bitte darum, dass sie nach zehn Uhr Abend aufhören. viele Autist*innen sind besonders geräuschempfindlich. Alle haben Verständnis dafür, er nicht und macht immer wieder weiter. Er sagt, dass es wichtiger ist, weil es gut fürs Gemeinschaftsgefühl und die neuen Leute einbindet.
Immer wieder merke ich, dass von ihm und anderen in der Gruppe der Aufmerksamkeit mehr drauf ist, mehr Leute anzuwerben, als sich mit dem auseinanderzusetzen, was Menschen bewegt die bereits Teil der Gruppe sind. Den Verlockungen einer Massenbewegung erlegen.
Jeder Abend, jede Begegnung wird für mich zu Stress. Es sind alles keine riesen Sachen, aber wenn es genug sind machen dich auch viele Mikro-Aggressionen fertig.
Aus anderen Barrios, also anderen Baumhausdörfern oder der Wiesenbesetzung, kommt immer mehr Kritik, an der Art wie Dinge hier organisiert werden. Die Menschen hier haben einige Privilegien, viele Kontakte. Viele Unterstützer*innen kommen zuerst hier her, hier landen viele Spenden, Essen, Werkzeuge, Geld. Das alles fühlt sich für die meisten der Menschen in der Kerngruppe wie ein eigener Verdienst an, und auch ich hinterfrage es noch nicht. Nie wird wertgeschätzt, welche Zeit und Energie andere Menschen hier seit Jahren unter den schwierigsten Bedingungen aufbringen. Im Gegenteil. Wenn über Menschen aus anderen teilen der Besetzung geredet wird geht es viel darum, dass sie unzuverlässig sind, nicht genug arbeiten, Dreck machen und Drogen nehmen. Erst viel später erkenne ich dann, dass hier alle gesellschaftlichen Schichten im kleinen wieder reproduziert worden sind und schön von einander getrennt gehalten werden. Es gibt wenig Kommunikation, wenig Kompliz*innenschaft mit anderen, und so auch wenig Verständnis dafür, wo die anderen sind, was sie beschäftigt, und mit welchem Scheiß sie vielleicht jeden Tag kämpfen müssen.
Irgendwann hängen andere Vorwürfe in der Luft. Von einer FLIT* Gruppe werden T. Grenzüberschreitungen vorgeworfen. Auch hier kann er es sich vorerst leisten, sich nicht ernsthaft damit zu beschäftigen: Er vermutet eine Verschwörung von Frauen* die angeblich alle Cis-Männer hassen. In der Gruppe hat er dafür Unterstützung.
Ich fühle mich immer noch unwohl in seiner Gegenwart. Der Versuch einer befreundete Person zu vermitteln scheitert. Einige Stunden waren dafür eingeplant, am Ende wird es abgebrochen, weil sich um eine Besuchsgruppe gekümmert werden muss. Ich treffe mich einer Person aus der FLTI* Gruppe und frage um Rat. Auf ihr Anregen schreibe ich ihm einen Brief. Er kann damit nichts anfangen, blockt es eher ab, geht in die Defensive. Am nächsten Morgen beim Frühstück versuche ich es ein weiteres mal zu thematisieren. wie unwohl ich mich gerade fühle, dass ich nicht weiß ob ich so hier weiter mitmachen kann, dass ich Unterstützung brauche.
Seine Partnerin kocht Kaffee, eine Besuchsgruppe von Ende Gelände ist angekündigt. Sie sagt, dass sie grad wichtigeres zu tun hat, dass der Besuch bald kommt. Für mich bricht die Welt zusammen. Ich habe als Autist*in oft soziale Zurückweisung erfahren, aber meistens war mir es ziemlich egal.
Jetzt habe ich erfahren wie toll es auch sein kann, gemeinsam organisiert für eine Sache zu kämpfen, lerne es schätzen in Gemeinschaft zu leben und werde gerade wieder ausgeschlossen. diesmal tut es richtig weh. er sagt dass es vielleicht eine gute Idee ist, wenn ich mir nicht sicher bin ob ich bleiben kann , vielleicht mal einen Urlaub zu machen. ich schaffe es noch ihm zitternd irgendeinen Ausdruck hinterherzurufen, „DU ARSCHLOCH!“, bevor ich mich abseile und irgendwie gut unten ankomme. ich renne durch den wald bis nicht mehr kann, breche an irgendeinen baum gelehnt in tränen aus.
Am selbem Tag packe ich und verlasse den Wald. Nach sechs Wochen traue ich mich wieder hin. Ich will mir nicht von einer Person das Leben hier verderben lassen— noch nie habe ich zuvor etwas gefunden was sich so sinnvoll angefühlt hat, wie diesen Wald zu verteidigen und für eine Welt zu kämpfen, in der Ausbeutung und Zerstörung nicht auf der Tagesordnung stehen, in der sich Menschen frei von den Zwängen des kapitalistischen Systems begegnen können. und in den guten tagen hat sich es auch so angefühlt, als könnten wir einen Freiraum aufbauen, indem eine andere Welt — wenn auch nur für einen Moment — Wirklichkeit wird.
Als ich wieder komme ist leider nichts von selber besser geworden. t. tut so als wäre nichts passiert, ist oberflächlich freundlich, ich versuche mich darauf einzulassen, aber schnell wird mir klar dass die Verletzungen zu tief sind, damit ich dort mitspielen kann. Bald wird versucht, mir das Recht auf einen Rückzugsraum abzusprechen, während das bei anderen nie hinterfragt wird. Zum Glück als ein gerichtsentscheid fällt, dass diesen herbst nicht gerodet werden kann, verlaße ich den Wald wieder. Einige Zeit später verlässt auch der Rest der Gruppe den Wald vorerst.
Ein Jahr später.
Ich bin in England und höre, dass im Wald die größte Räumung bis jetzt ansteht. Ich weiß, dass ich es nicht ertragen werden kann, wochenlang zu lesen, wie der Wald zerstört wird, weiß, dass ich hinfahren muss.
Als ich Wald komme ist alles anders und alles so wie immer.
Ich freue mich bekannte Gesichter zu treffen, alles wuselt herum, und bereitet sich auf die Räumung vor.
Das Dorf was wir damals gegründet haben wurde von der Gruppe verlassen. Unter neuem Namen und erweiterter Besetzung haben sie ein neues Dorf gegründet, nehmen hier das gleiche Patentrezept. Kommunikation mit restlichen Teilen des Waldes vermeiden sie jetzt einfach komplett, das ist natürlich einfacher. Hier sehe ich gelegentlich auch T. wieder, der eigentlich aus dem Wald geworfen wurde.
Mir fällt eine subtile Veränderung auf. Im vergangenen Jahr kümmerte es ihn kaum, dass ich nicht mit seinem Verhalten klar kam. Jetzt höre ich auf einmal, dass er sich unwohl in meiner Gegenwart fühlt. Ich bin also zum Problem geworden, dadurch dass ich Bedürfnisse geäußert habe. Die Vorzeichen des Ausschlusses ändern sich, der Rest bleibt das gleiche. So einfach findet manchmal eine Verdrehung von Rollen statt, wenn der Mensch in der Machtposition die Erzählungen prägen kann.
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Nachdem ich geräumt werde und fertig mit den Nerven habe ich keinen Ort wo ich hingehen kann. Weder habe ich groß für diesen Fall vorgesorgt, noch habe ich ein gut vernetzten Freund*innenkreis, bei dem ich Unterkunft finden kann. Ich gehe zu einem der Plena der Gruppe, schildere meine Situation, bitte um Hilfen. Darauf kommt:
Schweigen.
Minutenlang sagt kein Mensch irgendwas.
Als ich den stillen Terror nicht mehr ertrage, renne ich wieder heulend weg. Monate später kommt eine Bekannte auf mich zu entschuldigt, sich dass sie nicht gehandelt hat, fand die Situation schrecklich, und war sich trotzdem so unsicher, darüber was ihre Position in der Gruppe war, dass sie sich nicht getraut hat, dem Groupthink zu widersprechen, Initiative zu ergreifen. Ich verlasse den Wald, finde eine WG wo ich erstmal wieder Kräfte sammeln kann und bin seitdem nur noch ab und zu zu Besuch da. Der kommende Winter ist kalt und dunkel und dreht sich um die Verarbeitung von Traumatas und dem Überwinden von Suizidgedanken.
Ich könnte darüber noch eine Weile weiterschreiben. Meine Begegnungen mit der Gruppe waren im Wald nicht die letzten. Ich denke das Muster ist vielleicht erkenntlich geworden. In der nächsten Zeit will ich noch einen Text fertigstellen, der sich versucht analytischer an bewegungsinterne Konflikte, wie den den ich angeschnitten habe zu Resourcen&Privilegien, anzugehen. Was im Wald passiert ist kein Einzelfall. An vielen anderen Orten treffe ich seitdem die Spuren ähnlicher Konflikte wieder.
Lieben Dank für diesen kritischen, offenen und reflektierten Bericht, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. Mein Gedanke dazu ist, dass die Schützer des Waldes – ich hasse das Wort „Besetzung“ – genau die gesellschaftlichen Konflikte widerspiegeln, die sich auch im sog. „bürgerlichen“ Teil der Gesellschaft wiederfinden. Man nimmt diese ja sicher mit, auch wenn man in den Hambi geht und dort dauerhaft lebt. Ein liebevoller oder zumindest respektvoller Umgang miteinander muss oft erst gelernt werden. Und auch dieses Mann/Frau-Gefälle, sprich Machogehabe, wird eine Rolle spielen, ob man das will oder nicht. Ich als „bürgerliche“ Unterstützerin hatte auch ziemliche Flausen im Kopf, gebe ich zu, und ein romantisches Ideal, was die Hambis angeht. Ich bin jetzt nicht enttäuscht, das wäre dumm. Ohne Täuschung zu leben ist immer vorzuziehen. Aber wie Adorno sagte :“Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Man/frau kann der Gesellschaft nicht so einfach entkommen. Es ist sicher aber ein besserer und effizienterer Lernprozess möglich als im „normalen“ Leben, kann ich mir zumindest vorstellen. Durch diese Konflikte muss man leider durch. Und der immense brutale Außendruck durch ein vollkommen korruptes NRWE macht es nicht besser, hinterlässt Traumata. Ich wünsche Dir viel Kraft!
@ Liebe Petra,
habe den Text in der nacht, nicht mehr ganz Aufnahmefähig gelesen und konnte doch nicht davon lassen.
Habe so viel Zeit damit zugebracht über „Die Themen“ des/im Hambi nachzudenken, nachzugrübeln,
wegen Deiner Aussage“.. ich als „bürgerliche“ Unterstützerin….“ hab ich noch mal das Bedürfniss hier einen Kommentar als Gedankenaustausch mit dir zu hinterlassen. So fängt es für mich mit der Frage von Groß und Kleinschreibung an: wie in der Schule gelernt, weil sich allgemeingültig darauf geeinigt wurde – oder „scheiß auf allgemeingültigkeit und spießertum“ und schreib irgendwie ( wobei ich das Z als s oder ß oder so wirklich gern lese ).
Und dann : mit welchem Recht gebe ich den Worten / Aussagen ein Geschlecht, z. B. der text… ist text männlich, weiblich oder ist text ein „es“; IST „ES“ geschlechtsneutral lebendig oder doch dinglich tot?
Fragen über Fragen! Und was hat das mit dir, der Kohleindustrie, dem Weltklima, mit mir usw. zutun?
Inzwischen denke ich, das das Lebendige auf der Welt an einem Scheidepunkt steht. Nachdem sich das Leben durch äußere naturgegebene Umstände entwickelte und sich oft außerhalb ethischer Überlegungen anpasste ist der (- Entschuldigung .-) ist Mensch inzwischen in der Lage (wieso eigendlich Lage in mänlich) also die Lage ……
meine Gedanken Kuzrum: im Hambi zeigt sich, das ein Teil der Menschheit erkannt hat, wo viele grundlegende Mängel in der Lebensgestaltung der Mehrheit der Menschheit versteckt sind. Ein gangbarer Weg des Überwindens von vielen oder gar allen dieser Mängel aber noch nicht präsent ist, nicht gelebt wird.
Also: die Gesellschaft wird geprägt von den aktiven Lebewesen, der Istzustand lässt sich einfach ablesen (auch im Hambi-wald) und von aktiven beteiligten Menschen gestalten, verändern,weiterentwickeln.
Wo möchtest du hin? Bleib dran!
L. G.
Generell mische ich mich in persönliche Konflikte aus der Ferne nicht ein.
Das regelt Ihr am besten unter Euch.
Das mit dem Müsli essen aus einem Schädel hört sich schon makaber an.
Aber ich finde Drogen nehmen z. B. krasser.
Dass T. dadurch automatisch boshaft sein müsste, sehe ich nicht unbedingt so.
Sicher sieht er das für mich nicht so ganz richtig, wenn er nur mit der Sachebene argumentieren will.
Flugangst oder Angst vor Spinnen zu haben ist ja auch irrational. Nur müssen diese Ängste trotzdem ernst genommen werden, um den Betroffenen helfen zu können.
Allerdings kann den Betroffenen gegenüber trotzdem eine Diskussion mit Bezug auf die Sachebene durchaus hilfreich sein.
Dass T. zu Dir gesagt hat, dass er nicht meint, dass Du einen Rückzugsraum brauchst oder etwas Urkaub nehmen soltest, muss auch nicht zwangsläufig böse gemeint sein, sondern durchaus auch konstruktiv.
Neue Leute zu aquirieren finde ich war insbesondere 2017 absolut wichtig. Da sind Ruhestörungen auch eine Sache, die im Hinblick auf das Ziel, den Hambi zu retten, in den Hintergrund treten.
Gerade auch, wenn z. B. die wochenlangen Belagerungen bei den Räumungen in die Betrachtung mit einfließen.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Du die Situation schon treffend analysierst.
Wahrscheinlich fehlt es T. schon an emotionaler Intelligenz (so wird das glaube ich bezeichnet) und er kann sich nicht so in andere Menschen einfühlen.
Das Problem ist ja auch weiter verbreitet.
Ganz so einfach, wie von dir in der Einleitung dargestellt, ist es sicher nicht, hier eine Lösung zu finden. Emotionale Intelligenz kann einem Menschen genauso wie „normale“ Intelligenz ja nicht einfach beigebracht werden. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, gilt hier meiner Meinung nach nicht. Wenn es einfach wäre, hätte sich ja sicher auch schon längst eine Lösung gefunden.
Ds grundsätzliche Problem ist ja auch weiter verbreitet. Ich möchte nicht wissen, wie viele Frauen sich ein Leben lang von ihren Männern missverstanden fühlen und ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt sehen. Ist sicher auch ein Gender-Problem, jedenfalls sehe ich das so.
Dass Du Dich so im Stich gelassen gefühlt hast (müssen sicher mit die bittersten Momente in Deinem Leben gewesen sein), ist aber sicher kein Gender-Problem. Du gibst in Deinem Text die Antwort auch irgendwie ein bisschen schon selbst. Hierarchien lassen sich nicht einfach wegreden. Sie sind immer da und im Zweifelsfall haben die mehr Einfluss, die sich gut auskennen, schnell an Ressourcen kommen können, viele Kontakte haben, gut improvisieren können, sich gut unterhalten können usw.
Ich bin ja gespannt, auf welche Sachen Du noch in Deiner weiteren Analyse kommst, aber das ist schon eine Mammut-Aufgabe, die Du da angehen möchtest.
Auf der einen Seite ist Dein Autismus dabei sicherlich hinderlich, weil es schon auch vieler Leute bedarf, die mitmachen, und Du Dich bisher ja Deinem Text nach zu urteilen schon auch eher etwas abgekapselt hast. Auf der anderen Seite ist Dein Autismus sicher aber auch förderlich, weil Du gut Sachverhalte rational betrachten kannst, Aspekte siehst, die andere vielleicht nicht sehen und Du Dich gut und lange konzentrieren kannst.
Einen Grund, dass Du allzusehr mit Deinem Autismus hadern müsstest, sehe ich nicht. (Nur für den Fall, dass dem auch so wäre.)
danke für die geteilten erinnerungen! sie können eine auseinandersetzung anstoßen, was wir alles verändern wollen in unserer zukunft. da hilft uns kein merkwürdiges relativieren (peter!), da hilft nur wenn sich alle auch mal selber fragen wo sie genau solche beschriebenen ausschlüsse mitverantworten. Anfangen können eigene Überlegungen ja damit was hierarchien und geschlecht miteinander verbindet und was uns noch ungleich macht. wo stehe ich? achtung realität tut weh. wo stehen andere (wahrscheinlich)? wo steht der, der andere relativiert? und in was für einer welt wollen wir leben?
hoffentlich regen deine erinnerungen und gedanken viele menschen an, auch in deinem wirkungskreis. ich werd ihn weiter zeigen.
ich wünsche uns allen viel kraft diese gemeinsame mammut-aufgabe zu erkennen und anzugehen.
Alle Menschen, die in den Wald gehen, nehmen sich und damit die eigene Geschichte mit sich.
Der Wald hilft, sich darüber klar zu werden – aber er hilft nicht, vor sich selbst davon zu laufen.
Der Wald hilft, Kraft zu finden für den Menschen in Dir selbst.
Ein sehr interessanter und intensiver Bericht über das Leben im Wald. Danke für diesen Einblick.
Deine ausführliche Geschichte spiegelt genau das wieder, was ich gestern auf dem Waldspaziergang erlebt und im Gespräch mit Bewohnern des Waldes gehört habe.
Nämlich daß es nicht die heile Welt ist, die sich wir „Auswälder“ vorstellen. Die Meinungsverschiedenheiten, der unterschiedliche Umgang mit Menschen innerhalb und außerhalb des Waldes, und noch so einiges mehr, aber auch, sei es politisch, spirituell oder wie Du geschrieben hast, die Einordnung nach der Herkunfts(klasse)… Man spürte in den Gesprächen, den Frust darüber, daß es nicht so Friede, Freude, Eierkuchen ist, wie erwartet. Und doch war die Entschlossenheit da, deswegen nicht aufzugeben.
Diese Differenzen tagtäglich zu erleben, sind ganz sicher sehr aufreibend, und zermürben auf Dauer. Ich wünschte, daß das gemeinsame Ziel, nämlich die Rettung des Hambis, Euch alle in Frieden vereint, und Ihr wieder ganz viel miteinander und untereinander redet und handelt.
Ich wünsche Dir und auch allen anderen Bewohnern des Hambis ganz viel Kraft, Euren Kampf für den Erhalt des Waldes weiterzuführen.
Danke, für den artikel!!! Bin so froh, dass das alles mal öffentlich geschrieben ist! Muss verdammt hart gewesen sein das zu schreiben, respekt!
Es ist wie in der Steinzeit oder in der Grundschule oder im Team auf der Arbeit: Es bilden sich Gruppen mit Anführern, Mitläufern, Außenseitern, manchmal Sündenböcken. Leider war T. offensichtlich kein guter Anführer, sonst hätte er dich miteingebunden und dir zugehört.
@Malte: warum sollten wir danach streben gute Anführer zu haben/ sein zu wollen statt danach zu streben eine Gesellschaft aufzubauen in der wir transparente, veränderbare und durchlässige Hirachien haben, in der niemand Sündenbock oder Außenseiter sein muss, und niemand eingebunden wird, sondern Entscheidungen für sich selbst treffen kann?
Zum Post: es scheint für den_die schreibende Person ein guter Prozess gewesen sein das alles aufzuschreiben, aber ich frage mich ob ein öffentlicher Blog tatsächlich der Ort sein sollte um einen Konflikt einseitig und scheinbar ohne Absprache mit den in den Konflikt involvierten Personen darzustellen? Eine Auseinandersetzung rund um Privilegien, Umgangsformen, Diskriminierung, Schutzbedürfnissen wird so zu einem öffentlichen Pranger, in dem Menschen, die andere Menschen noch nie erlebt haben, anderen fehlende emotionale Intelligenz Bescheinigen wollen (siehe Kommentar von Peter). Was würde es mit euch machen wenn ihr t. wärt und diesen Post lesen würdet?
Was wäre wenn die Gruppe rund um T. nun einen Gegenartikel schreiben würde? Wenn plötzlich im Internet zu lesen wäre, wie sich Einzelne vielleicht von dir verletzt gefühlt haben, wann sie sich diskrimiert gefühlt haben, wann ihre Grenzen überschritten waren? Ist das die Art von solidarischen polititischen Auseinandersetzungen, die wir führen wollen?
Du schreibst, dass es dir um die Auseinandersetzung mit Privilegien geht und nimmst dir gleichzeitig ein sehr großes selber heraus indem du detailreich und wirkmächtig einen Konflikt beschreibst ohne die anderen Menschen zu Wort kommen zu lassen, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben sich selbst zu beschreiben.
Nimm z.B. deine Zuschreibung von T. als Anführer der Gruppe: was ist wenn die Gruppe das selbst nicht so sieht? Du schreibst jemanden eine Rolle zu, sperrst ihn öffentlich darin ein und der einzig mögliche Widerspruch wäre eine für dich ebenso schmerzhafte öffentliche Auseinandersetzung.
Ich glaub es dreht sich vieles um Erfahrung und Ego im Leben. Hier und überall. Danke für den gefühlvoll klaren Brief! Ich verstehe gut wie es sich anfühlt von der Gruppe nicht ausreichend wahrgenommen zu werden, weil andere dominieren bzw. sich dominieren lassen. Autismus ist sehr vielschichtig und individuell unterschiedlich. Ich hoffe du kannst die positiven Kräfte deiner Sonder-Begabungen weiter intensivieren und uns allen damit in Zukunft weiter helfen. Mir geht es aufgrund der „Gruppenproblematik“ auch oft so wie dir. Man zieht sich schon auch zurück von den anderen „unempathischeren“ Menschen. Der Wunsch nach einer gerechteren und faireren Welt wird durch persönliche Konflikte aber natürlich nicht kleiner. Und unsere Welt beginnt bei uns und unserem Umfeld. Es wäre schön diese „Gruppen-Umfeld-Hierarchie“ Diskussion tiefergehend in unserer Gesellschaft verständlich zu machen.