Gestern vor einer Woche.

Note: Folgendes wurde geschrieben von einem Menschen aus der Bewegung und spiegelt daher die Wahrnehmung dieser einer Person, nicht der ganzen Bewegung.

Rückblick zu dem Danach und dem Wie-auch-immer-weitermachen (müssen).

Steffens Unfall traf uns mitten in der so klinisch neutral klingenden “Räumung”. Tagelang berichteten wir über die Zerstörung unseres Zuhauses. In Oaktown. In Gallien. In Cozytown. Über brutale Räumungen von Polizei und RWE. Über Freund*innen – über uns – die wir unser Zuhause verloren. Deren Zuhause zerstört wurde (und wird).

Und dann das.

Die Minuten bis aus einem Unfall ein Todesfall wurde. Aber eben kein “Fall”, sondern ein herzlicher und geschätzter Mensch. Da war zuerst Schock. Fassungslosigkeit. Trauer. Überforderung. Es nicht begreifen können. Nicht begreifen, wieso dieser Mensch gestorben ist. Dieser Mensch, der mit uns war für so lange Zeit.
Statt durchatmen an einem Pressestatement arbeiten, um der geschmacklosen Stellungsnahme der Polizei etwas entgegenzusetzen.
Nicht glauben wollen noch am selben Abend, und noch mehr am nächsten Morgen, dass da immer noch diese blau-weißen Wagen, diese uniformierten Menschen vor, im, um den Wald standen (und stehen). Innehalten?! Müssen wir jetzt echt auch noch darum kämpfen?! Ja. Denn die Räumung hat niemals gestoppt. Trotz Tausender Zeitungsberichte über einen “Räumugsstopp” im Namen von Reul und Laschet war Polizei weiterhin aktiv hier. Blieb Polizei hier. Menschen wurden festgenommen an dem Tag nach Steffens Unfall. Menschen kamen in die GeSa an dem Tag. Wie kann mensch trauern während mensch eine Räumungserklärung vorgelesen bekommt, während mensches Freund*innen brutal weggetragen werden, während mensches Zuhause vor ihren Augen zerstört wird. In der ganzen Nacht waren in Beechtown, wo Steffen gestorben ist, Flutlichter auf die Baumhäuser und die unter Schock stehenden Menschen dort oben gerichtet. Ist das Innehalten?! Noch immer spür ich so viel Schmerz, so viel Nicht-glauben-können über das Verhalten von Polizei und Politik. Was kann eine Räumung denn sonst noch stoppen, wenn nicht der Tod eines Menschen, die Maschinerie zum Einhalt zwingt?!

Steffens Unfall war und ist schrecklich, hätte nicht passieren dürfen, hätte definitiv nicht passieren müssen. Da der Unfall im Hambacher Forst passiert ist, wurde er automatisch zu einem Politikum. Zu einem Ringen um die Deutungshoheit. Hatten wir eine Wahl diesen Tod (nicht) politisch zu machen? Wir haben versucht keine Schuldzuweisungen auszusprechen, keine politischen Botschaften in Kontext zu Steffen’s Tod nach außen zu vermitteln. Nicht auf die Presseerklärungen der Polizei und Reul zu antworten. Aber dann kam der “Räumungsstopp”. Und das machte all das unmöglich. Verwandelte all die Trauer zu Wut, zu Entsetzen. Wir versuchten die Fassung zu wahren, dem inneren Brodeln nicht all den Raum zu geben. Versuchten für Steffens Freund*innen und Eltern vorsichtig, mitfühlend zu handeln.
Und dann kamen die Angehörigen. So viele liebe, trauernde Menschen. Und all der Schmerz wurde wieder real. Die Gedenkkundgebung begann klein, aber die Menschen dort waren präsent. Die Polizei zeigte wieder, was “Innehalten” für sie bedeutete: wir wurden von einer Reiterstaffel und einem behelmten, bewaffneten Großaufgebot “bewacht”. Es war unmöglich. Unfassbar.
Wie wichtig war es in diesen Momenten den Zusammenhalt zu spüren, innerhalb unserer Reihen, zwischen den verschiedenen Aktionsgruppen in unserer diversen Bewegung, zwischen all den anteilnehmenden Menschen. Viele zu sein. Solidarität zu spüren. Gehalten werden. Umarmt zu sein. Die Tränen, als ich der Polizeikette, einem Polizist-Menschen, vor dem Wald in erster Reihe gegenüberstand. Nicht anders konnte, als so meiner Ohnmacht und unglaublichen Schmerz Ausdruck zu verleihen. Den Wald seit so vielen Tagen wieder zu betreten war ein empowerndes Gefühl, ein Glücksgefühl vielleicht, wenn nicht der Kontext so absurd tief traurig gewesen wäre. Diese Bäume sind einfach unglaublich schön.

Alle verarbeiten Schockmomente auf andere Art und Weise. Viele Freund*innen haben die Besetzung, den Wald verlassen, brauchten Abstand. Ich hatte vor allem Angst um die Menschen in Beechtown. Wie geht es ihnen in diesem ganzen Gewirr? Was brauchen sie? Die Schockstarre war noch Tage später so spürbar.
Social media zu verfolgen war keine Hilfe. Alles schien so absurd. So irrsinnig. Wieso änderte sich nichts. Die Räumungen gingen einfach weiter. Als wäre nichts passiert. Hat niemand den Aufschrei gehört? Hat niemand mitbekommen, wie falsch diese Räumung ist? Wo ist die Antwort auf unseren stillen Aufschrei? Die Antwort auf den Tod eines Menschen in einer wochenlangen Stress-, Erschöpfungs- und Drucksituation?
Es geht einfach weiter. Die Polizei räumt ohne Unterlass. Menschen kommen in die GeSa, manche wieder heraus. Viele Menschen in den Arm nehmen, die wiederkommen. Wie geht es uns? Ist da Raum… zum Atmen vielleicht?
So viele Leute, die jeden Morgen aufs Neue mit Sitzblockaden unseren Ticker füllten. Ein Zeichen setzten. Unzählige Solibilder und Kundgebungen. Und immer wieder Kopfschütteln. Ich mein, what the fuck?! Polizeigewalt, die Selektivität der Einlasskontrollen, die Repression durch Platzverweise, die unmögliche Haltung von Reul, Laschet und der Polizei Aachen, der “freiwillige” Abbau der Gedenkstätte, damit Beechtown weiter zerstört werden konnte. Und alles was du auf Twitter siehst ist die Zerstörung(swut), die Kaltblütigkeit. Es ist eine Kunst den Überblick zur Situation im Wald zu behalten, fast unmöglich.

Wo bleibt nun das Happy End? Wo ist die Kehrtwende?

Es mag einfach klingen, Reul, Laschet und die Polizei für all den Scheiß verantwortlich zu machen. Doch die Falschinformationen, die Reul und der Polizei verbreitet haben (s. Presseerklärung vom 20.09.18), sind nicht entschuldbar. “Wochenlange Räumung im Hambacher Forst” mag neutral klingen, aber bedeutet für (all) die Beteiligten eine unglaubliche Stress- und Drucksituation. Schlafmangel. Konzentrationsmangel. Gefühlschaos. Panik. 24/7. Auch wenn die Nerven bereits vor Steffens Unfall bei vielen blank gelegen haben mögen, war (und ist) die Räumung danach nur noch over the top. Nur noch ein Desaster. Nur noch Entsetzen. Unhaltbar.

Ich möchte noch einmal all euch Angehörigen für euer Hiersein danken. Für eure Worte und Präsenz danken. Euch alle Kraft, die ihr brauchen mögt!
Auf die stille Hoffnung. Auf ein herrschaftsfreies Leben. Auf uns alle, die wir zusammen auch unbegreifliche Zeiten überstehen können.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. wir

    vielen Dank für diesen berührenden Text. Ich fühle mich so verbunden, so eins mit dir, mit euch…der Schmerz, die Trauer, aber auch die Kraft, die dahinter steht, der Wille, diese Zerstörung und diesen Irrsinn nicht hinzunehmen, die Lust auf ein anderes Leben…wir sind viele und wir sind stark!!

  2. Bettina

    Dieser Text berührt mich sehr. Er lässt mich innerlich frieren und gleichzeitig wütend werden. Diese stumpfe Machtausübung der Polizisten, dieses Rohe, Empathielose…und auf der anderen Seite dieser wunderschöne alte friedliche Wald.Wir MÜSSEN es schaffen, ihn zu erhalten. Es kann doch nicht sein, dass IMMER die Profitgier siegt.

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