Verspäteter Reisebericht von der Infotour durch Italien

Drei Wochen düste ich durch Italien, begleitet von mal diesen mal jenen italienischen Gefährt_innen und meistens von einer Freundin, die die Veranstaltungen auf italienisch übersetzte. Wir bekamen wunderschöne Orte zu Gesicht, lernten interessante, liebe Menschen kennen von denen sich einige für einen Besuch im Wald ankündigten, genossen (nicht alle) die Hitze (selten unter 27°C – 39°C) und erfuhren ein wenig über Kämpfe und Probleme an mancher Ort dort. Nach dem die erste Anfrage für eine Diskussionsrunde auf einem Camp für die Befreiung der Tiere und der Erde kamen noch weitere für Infoveranstaltungen in Venedig, Mailand, Lecce und Rom dazu. Ich hoffe es kommen nicht alle gleichzeitig die ich auf Kaffee im Baum eingeladen habe

Los ging es am 2. Juli mit einer Diskussionsveranstaltung auf einem Camp „für die Befreiung der Tiere und“, dieses Jahr zum ersten mal auch explizit „der Erde“ in der nähe von Ferrara. Es war vor allem ein Austausch und Gegenüberstellung des Kampfes im Hambacher Forst und dem der NO TAP Bewegung, die sich in Süditalien gegen den Bau einer Gaspipeline aus dem arabischen Raum kommend zur Wehr setzten. Es gibt derzeit keine Besetzung dort und die Leute die sich stark dagegen machen entwickeln momentan Strategien um gegen das unnötige Großprojekt an zu gehen.
Kurz bevor es los ging regnete es wie aus Kübeln, kurz darauf kamen noch Hagelkörner, groß wie Golfbälle dazu. In diesen zehn Minuten schien die Welt, oder zumindest das Camp unter zu gehen und die Veranstaltung (buchstäblich, ha-ha) ins Wasser zu fallen, doch dann war es schlagartig vorbei und die Sonne verabschiedete sich als wäre nichts gewesen und hinterließ einen malerischen Himmel.
Bei der Veranstaltung lauschten etwa 40-50 Personen, menschliche und nichtmenschliche (Hunde) und das Gespräch wurde akustisch aufgenommen um es in einer Broschüre ab zu drucken (zumindest teilweise).

Die nächste Veranstaltung in Venedig am 5. Juli fand im ältesten Haus das besetzt ist in Europa (von 1492) statt. Die Stimmung im Haus gefiel mir sofort. Bei der Veranstaltung waren ca. 15-20 Interessierte, nicht viel weniger als aktiv sind auf der Insel. Danach saßen wir zusammen und quatschten bis spät in die Nacht und gegen 03.30 Uhr nahm ich die Einladung zu einem Spaziergang durch die Stadt von einem der veranstaltenden Ortskundigen gerne an. In dieser Nacht in den menschenleeren Gassen von Venedig und später beim Sonnenaufgang am Kanal musste ich zugeben das es auch schöne Städte gibt…

Doch auch schöne Städte haben Gefängnisse. Die Gefangenen von außen zu unterstützen und das System Knast grundsätzlich in Frage zu stellen ist das Hauptthema der Aktiven auf der Insel. Die Gefängnisse sind weder sonderlich groß noch allzu alt, zwei wurden im zweiten Weltkrieg gebaut was vor allem interessant im Hinblick auf die Architektur ist, von außen erinnern die zinnenbekrönten hohen mauern eher an die einer Burg. In dem Knast für die männlich wahrgenommenen sind etwa 300 Leute eingesperrt, wie viele weniger es in dem für die weiblich wahrgenommenen sind weiß ich leider nicht mehr. In zweiterem leben jedenfalls auch inhaftierte Mütter mit ihren Kindern.
Ein anderes Thema welches die Aktiven dort beschäftigt hält ist der Tourismus der dafür sorgt das diejenigen, die tatsächlich auf der Insel leben, sich zum einen nicht frei bewegen können da die Stadt vor allem im Sommer, man kann es sich denken, von Tourist_innen verstopft wird und zum anderen selbst alltägliche Lebensmittel völlig überteuert sind. Auch die Leute im besetzten Haus sind genervt von zu vielen Besucher_innen.

Weiter ging es am 8. Juli in der Villa Vegan in Mailand. Eine kleine Oase in der Stadtwüste. Das verhältnismäßig viele Grün das einen empfängt wenn man durch das Tor tritt lässt einen die tobende Stadt um einen herum manchmal fast vergessen. Spielplatz, Straßenlaternen, Parkbänke und Basketballkörbe auf dem Grundstück vor der alten Villa sind schon längst Teil des kleinen Ökosystems geworden, man entdeckt sie eher zufällig zwischen Bäumen und Sträuchern. Nachts tanzen die Glühwürmchen, die hier eine andere Lichtsprache sprechen als bei uns im Wald.
Das Haus ist seit ca. 15 Jahren besetzt, als ich da war lebten auf dem Gelände 15 ehemals zur Eierlegung missbrauchte Hennen, vier teils gehandicapte Katzen, eine uralte Hündin und etwa sechs Menschen. Doch von letzteren sind tagsüber meist mehr da als nachts.
In einer so großen Stadt wie Mailand gibt es natürlich viele Themen um die sich, wie in den meisten (Groß-)Städten gekümmert werden muss. Antifaschismus, Antisexismus, Homophobie, Trans_genderthematiken, Tierbefreiung, Gentrifizierung, Antirassismus, Refugeesupport… sind einige dieser Themen.
Die Villa möchte sich in nächster Zeit umbenennen da das Wort ‚vegan‘ mittlerweile eine fast schon banale, unpolitische gesellschaftliche Bedeutung bekommen hat und die Ziele der Bewohner über die bloße Ernährungsweise hinausgehen.
Bei der Veranstaltung waren etwa 30-40 Leute (Hunde mit eingeschlossen). Vor der Diskussionsrunde legten wir eine Abendessenspause ein und das Solidaritätsbuffet für den Hambacher Forst wurde eröffnet.

Als nächstes ging es dann in den Süden, nach Lecce. Wir kamen schon 2 tage vor der Veranstaltung an und am ersten Tag wurden wir nach „la Poesia“ ge-/ent-/ver-führt, ein kleines Paradies. Azurblaues, kristallklares, warmes Wasser, natürliche Höhlen durch die man schwimmen und Felsen von denen aus man mehr und weniger von 10m Höhe ins Wasser springen kann, alten Römer_innenruinen direkt am Wasser… und genau hier wollen sie natürlich die TAP, die Gaspipeline bauen. Irgendwie gehört es ja scheinbar zum Konzept der unnötigen Großprojekten dazu das irgend ein schönes Fleckchen Natur zerstört wird. Gibt ja auch viel zu viel davon.

Auch Lecce, die historische Innenstadt ist zugegebener maßen schön. In genau der ist die „Biblioteca Anarchica Occupata Disordine“ in der wir unterkamen. Einem frisch, vor 2 Monaten besetztem Haus in der „Gasse in der man sich um sich selbst dreht“ (Via delle giravolte) weil sie U-förmig ist. Wir schliefen auf der Dachterasse und manchmal kuschelte sich die hyperaktive Hündin Amanda mit dem leicht schiefen Gebiss das ihr ein dauerhaftes, strahlendes Lächeln verlieh, zu wem von uns auf die Matratze.
Auch die Infoveranstaltung am 12. Juli fand auf der geräumigen Dachterasse statt. Aufgrund der TAP die hier gebaut werden soll waren die 20-25 Leute sehr interessiert und stellten besonders viele Fragen. Nach zweieinhalb Stunden machten wir eine Essenspause, wieder ein Solidaritätsmenü für den Hambacher Forst. Ich würde behaupten die, die hier in Italien keine Leidenschaft zum kochen und gutem Essen haben sind entschieden in der Unterzahl. Überall durften wir köstliches Essen genießen, vegan ist fast gar kein Problem.

Am letzten Tag fuhren wir an die Westküste. Auf der Fahrt dahin erfuhr ich, das ein Pilz über viele Olivenbaum-Monokultur-Plantagen herfällt weshalb einige nun gerodet werden sollen. Auf den dabei entstehenden Flächen sollen Solarparks entstehen. Die Olivenbauern finden das natürlich nicht so prickelnd, da sie von der Ernte leben. Damit dies ohne Pilzbefall funktioniert sollten sie sich vielleicht mal mit biodynamischen Anbau auseinandersetzen…
Wir kamen auch an Wassermelonenfeldern vorbei. Auf ihnen werden so manche Geflüchtete eingestellt, um dann nach der Arbeit in der sengenden Hitze in Zelten am Rande der Felder zu leben. Einmal wollte ein Geflüchteter eine Wassermelone für sich zum essen vom Feld nehmen, da hat der Bauer ihn erschossen weil er weder gefragt noch bezahlt hat.

Nach einem schönen Tag überwiegend im Meer genossen wir später die Ruhe, die die Nacht mit sich bringt. Nachdem all die Tagesbesucherinnen weg waren konnten wir die Schönheit einer kleinen Bucht im Schein des bereits sehr vollen Mondes so richtig genießen. Später machten wir es uns gemütlich zwischen den Pinien die hier angepflanzt wurden, nachdem die üppige Eichenbewaldung vor wenigen hundert Jahren nach und nach dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Als wir am Tag darauf in Rom ankamen war ich ausnahmsweise mal freudig gespannt auf eine so große Stadt. Dort gibt es, genau wie in Mailand, viele besetzte Häuser sowie viel und „das übliche“ zu tun (s. oben, „Mailand“). Wir kamen in der L38 unter, einer von acht besetzten Brücken die in den 80er Jahren als „besonders stylische“ Sozialwohnungen gebaut wurden und dann leer standen. Seit ca. 23 Jahren sind sie besetzt. Von der Stadt selbst habe ich am Ende wenig gesehen, was auch schwierig ist in zwei Tagen.
Auch die Veranstaltung in Rom war gut besucht, ca. 30-35 Leute füllten den Raum und auch hier blieb das gute Essen mit Solispende für den Wald nicht aus. Ich bekam auch ein T-Shirt und einen Siebdruck geschenkt mit dem Motiv von dem Ankündigungsplakat und den Worten „es ist nicht genug gegen unterdrückung zu rebellieren, man muss sich weigern, selbst zu unterdrücken“ („non basta ribellarsi all’opressione, bisogna rifiutarsi di essere opressori“).

Am darauf folgenden Tag ging es in die Berge um den „Improbabile squat“, ein seit 4 jahren besetztes, altes Haus zu besuchen. Allein der Aufstieg zu dem Haus ist wie aus einem Märchen-Bilderbuch. Es waren fast so viele Menschen wie Hunde da, außerdem ein Esel und ein kleines Schwein, mit einer braunen schleife um den Hals, das gerne gestreichelt wird. Am Abend wurde ausgelassen zu Gitarre, Geige und Benjo gesungen, gelacht und getrunken, ein herrlicher Tummult. Die Nacht war ausnahmsweise kalt in den Bergen doch umso heißer wurde es wieder am darauffolgenden Tag. Aus dem Dorf kamen ein Müller und zwei Frauen, sie brachten Mehl und dann wurde den ganzen Tag im Steinofen gebacken. Zuerst gab es Pizza für alle, dann ging es weiter mit Brot, Keksen und Crackern. Ich war begeistert als mir zum Abschied ein warmer Laib Brot und eine Tüte Kekse in die Hand gedrückt wurden, Reiseproviant für die darauffolgenden Tage.

Auch auf dem restlichen weg meiner Reise Richtung Norden landete ich an einigen beeindruckenden Orten und traf immer wieder Interessierte bzw. interessante Menschen. Layé* zum Beispiel, der im französischsprachigem teil der Schweiz seit einem Jahr auf eine Aufenthaltsbewilligung wartet. Dass er seit fünf Monaten in dem besetzten Haus leben kann nimmt ihm zumindest die Last der Miete. Für den Rest muss er arbeiten. Doch während alle nun irgendwo unterwegs sind hält er zeitweise allein die Stellung, fest gekettet durch seinen Aufenthaltsstatus in einem Land, dessen Sprache er grade erst lernt. Scheiße man, das ist echt übel. Vor allem wenn man selbst weiß, wie wunderbar, wichtig, förderlich und befreiend das Reisen sein kann.

Für die Befreiung von Erde, Mensch und Tier kämpfen!
Per la liberazione di terra, umana e animale!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. schildkröte

    Wow, vielen Dank für den Bericht!!
    Die Flyer sind ja mal arg schön! Boah.

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