Tagebuch von Birds‘ Eye View

Im Rodungsgebiet wurde vor 8 Tagen ein Baum besetzt. Die Aktivistin hat die Besetzung nun verlassen und wurde festgenommen. Hier die Übersetzung ihres Tagebuchs:

Birds Eye View

Tag 1

Nach einer aufregenden, ermüdenden Nacht, in der ich auf den Baum geklettert bin, schlafe ich wie ein Baby. Als ich aufwache sehe ich viele verwirrte Secus, die schreien, flüstern und große Holzstücke auf mich werfen. Sie belästigen mich auch sexuell. Trotzdem geht es mir gut. Ich fühle mich empowered und bin stolz darauf, einen Baum im Rodungsgebiet besetzt zu haben.

Tag 2

Ich bin frustiert darüber, dass die Rodungsarbeiten weiter gehen. Also raffe ich mich auf, den Arbeiter_innen, die sich ein Bild von der Person, die im Baum hängt, machen wollten, zuzurufen: „RWE Murderers, shame on you, we are watching you from a bird’s eye view“ („RWE, Mörder_innen, Schande über euch, wir beobachten euch aus der Vogelperspektive“). Stift und Papier wurden zu echten Lebensrettern (inklusive Toilettenpapier, aus einer Hängematte zu scheißen ist der Shit – nehmt das, Secus! Haha)

a poem to pass the time

there is hate in my heart,
where I saw no hate before,
a scar of sadness from the wound that marks this forest floor,
the birds will sing no more,
the deer will dance no more,
the boar will grunt no more,
the foxes will hunt no more,
the bat will fly no more,
the squirrels will climb no more,
the mice will scurry no more,
the insects will hurry no more.
The leaves won’t turn to flames and fall.
The plants won’t burst out green at all.
No flowers will feed the buzzing bees
because we value money over all of these.
We rather have this hole instead of trees.

Übersetzung:

Ein Gedicht um die Zeit zu vertreiben

Da ist Hass in meinem Herzen
Wo ich vorher keinen Hass sah
Eine Narbe aus Trauer von der Wunde, die diesen Waldboden prägt
Die Vögel werden nicht mehr singen
Das Reh wird nicht mehr tanzen
Das Wildschwein wird nicht mehr grunzen
Die Füchse werden nicht mehr jagen
Die Fledermaus wird nicht mehr fliegen
Die Eichhörnchen werden nicht mehr klettern
Die Mäuse werden nicht mehr vorbeihuschen
Die Insekten werden sich nicht mehr beeilen
Die Blätter werden sich nicht mehr in Flammen verwandeln und herunterfallen
Die Pflanzen werden überhaupt nicht mehr grün sprießen
Keine Blumen werden die herumschwirrenden Bienen füttern
Weil wir Geld über all das stellen
Uns ist dieses Loch lieber als ein Wald

Ich zeichne und schreibe für die 3 Hambis in den Käfigen, die sie Gefängnis nennen. An ihre Kraft zu denken gibt mir Kraft. Ich genieße die freie Zeit hier und nutze sie zum Nachdenken und Reflektieren. Bis jetzt ist mir nicht langweilig. Noch nicht.

Tag 3

Zu Vogelgezwitscher und einem Sonnenaufgang aufzuwachen ist so ein Segen (schade, dass das so schnell von den Geräuschen trauriger Männer und ihrer Macho-Maschinen, die das schöne Zuhause der Tiere zerstören, unterbrochen wird). Ich sah heute morgen sogar den gefährdeten Mittelspecht. Er ist so schön, schwarz und weiß mit roten Schwanzfedern (Mehr Information zu gefährdeten Spezies, die im Hambacher Forst leben, finden sich hier.)

Ich habe den Specht ein paar Secus gezeigt, was eine aufrichtige menschliche Konversation ausgelöst hat und zu einer Entschuldigung von dem jungen Mann führte, der mich gestern mit Holz beworfen hat und mich am Bahnhof einmal angespuckt hat. Ich schätze, er war wirklich peinlich berührt, als ihm klar wurde, dass ich nur eine normale nette Person bin. Das löste meine Angst und einen Teil meines Hasses ihnen gegenüber. Sie sagten, sie würden ihren „Chef“ fragen, ob sie mir mit einer Hebebühne Wasser bringen können. Das wäre zwar witzig, aber ich bezweifle, dass es passieren wird.

Tag 4

Ich unterhalte mich immer noch selbst mit schlechten Gedichten. Es gibt nicht viel zu berichten.

They want to stay angry, they want us to stay dumb,
they want us bored at work, or to drink to have fun,
they don’t want us to walk on the forest floor, look up at the sun,
realise we do not need anything more, they want us to think that their walls are self-defence,
enforcing their violence with more borders and more fence,
I am sick and tired of all the lies they yell, advertising you’re are not good enough, condemning you to hell,
but the only true hell that exists is the detention cell, where they lock up human beings from their war torn country,
this is their reality and they can not just look away, we are lucky enough to have the privilege, voice and language to say:
No to their violence, no to their wars, no to their mind control, fences borders and walls,
we are sick of your hatred, murder and your lies, we are going to fight you because we see through your disguise. Together we are stronger then you could ever be,
‚cause we have love on our side, and all you have is paper money.

Übersetzung:

Sie wollen wütend bleiben, sie wollen das wir dumm bleiben,
Sie wollen uns gelangweilt bei der Arbeit, oder betrunken um Spaß zu haben,
Sie wollen nicht, dass wir auf dem Waldboden laufen, zur Sonne aufschauen,
feststellen, dass wir nichts anderes brauchen, sie wollen dass wir denken, dass ihre Mauern Selbstschutz sind,
Sie erzwingen ihre Gewalt mit mehr Grenzen und mehr Zaun,
Ich bin krank und müde von all diesen Lügen, die sie schreien, bewerbend, dass du nicht gut genug bist, verdammen dich in die Hölle,
Doch die wirkliche Hölle ist die Arrestzelle, wo sie Menschen von ihrem kriegsgeschundenen Land wegsperren,
Das ist ihre Realität und sie können nicht einfach wegschauen, wir haben Glück, das Privileg, die Stimme und die Sprache zu haben, um zu sagen:
Nein zu ihrer Gewalt, Nein zu ihren Kriegen, Nein zu ihrer Gedankenkontrolle, zu ihren Zäunen, Grenzen und Mauern,
Wir sind krank von eurem Hass, euren Morden und euren Lügen, wir werden euch bekämpfen, weil wir hinter eure Maske sehen. Zusammen sind wir stärker als ihr jemals sein könnt.
Denn wir haben die Liebe auf unserer Seite und ihr habt bloß Papiergeld.

Es ist auch wirklich schwer, auf die Toilette zu gehen, wenn die Secus mich die ganze Zeit beobachten. Ich habe weniger gegessen und getrunken, um die erniedrigende Pflicht nicht öfters als einmal am Tag tun zu müssen.

Tag 5

Mehr Gedichte

the forgotten bird,

hanging here in a hammock, for a while I’m a bird, my dependency upon the trees,
my nest, my home, swaying in the wind,
waking with the sun, suddenly men with loud machines come,
the destruction begins, I am displaced, lost,
my home is destroyed, refugee of the sky,
without my wings I can not fly, without my home who am I.

Übersetzung:

Der vergessene Vogel,

Hier in meiner Hängematte zu hängen, macht mich für kurze Zeit zu einem Vogel, meine Abhängigkeit von den Bäumen,
Mein Nest, mein Zuhause, im Wind schwingend,
Wache mit der Sonne auf, plötzlich kommen Männer mit lauten Maschinen,
Die Zerstörung beginnt, ich bin am falschen Platz, verloren,
Mein Zuhause ist zerstört, Flüchtling des Himmels,
Ich kann ohne meine Flügel nicht fliegen, wer bin ich ohne mein Zuhause.

Another poem

As long as they keep on having wars with other countries to make weapons, the cutting will continue
as long people keep consuming, the cutting will continue
as long as we value the shopping mall over the forest, the cutting will continue.
as long as we value profit more than life, the cutting will continue.
as long as we value humans over non-human life, the cutting will continue.
as long as we value the shopping mall over the forest, the cutting will continue.

Übersetzung:

Noch ein Gedicht

So lange wie sie weiterhin Kriege mit anderen Ländern führen, um Waffen herzustellen, wird die Rodung weitergehen.
So lange Menschen weiterhin konsumieren, wird die Rodung weitergehen.
So lange wir das Einkaufszentrum mehr wertschätzen als den Wald, wird die Rodung weitergehen.
So lange wir Profit mehr wertschätzen als Leben, wird die Rodung weitergehen.
So lange wir menschliches Leben mehr wertschätzen als nicht-menschliches leben, wird die Rodung weitergehen.
So lange wir das Einkaufszentrum mehr wertschätzen als den Wald, wird die Rodung weitergehen.

Es ist sehr windig hier oben. Es fühlt sich an wie mit einem Schiff auf See zu sein. Der Wind hört sich an wie Wellen. Ich dachte sogar ich werde seekrank, haha. Ich hoffe, die toten Bäume werden nicht auf mich fallen. Ich sah sie nicht, als ich meine Hängematte in der Dunkelheit aufgehängt hab, weil ich versucht habe, meine Hängematte nicht an einem toten Baum festzuhängen.

Tag 6

Heute sah ich den Bagger des Untergangs, wie er sich sehr langsam in der Mine auf mich zubewegt hat. Er brachte Dunkelheit mit sich und hat den blauen Himmel in einen grauen verwandelt. Mehr für die Gefangenen zu zeichnen, hat mir geholfen, durch zu halten. Das gibt mir das Gefühl, einen produktiven Tag gehabt zu haben. Was schwer zu sagen ist, wenn mensch den ganzen Tag in der Hängematte gehängt hat (haha). „Free the Hambi T(h)ree and throw away the key“ („Befreit die 3 Hambis und werft den Schlüssel weg“)

Die Secus bringen mir immer noch kein Wasser mit einer Hebebühne, was für eine Überraschung… Als sie so gelangweilt schauten, war das einzige, was sie tun konnten, um sich selbst zu unterhalten, mich zu belästigen, mich an zu schreien, Sachen auf mich zu werfen, mich sexuell zu belästigen, ihre Lampen auf mich zu richten und immer wieder an und aus zu schalten, ihre Motoren laut aufheulen zu lassen, laut zu hupen und an dem Baum zu schütteln, an dem meine Hängematte mit Stöcken befestigt ist. Ich wünschte, sie würden etwas Nützliches oder Nettes für mich tun, wie zum Beispiel mir Wasser zu bringen oder mit mir zu reden statt mich an zu brüllen. Sie benehmen sich jetzt schon so seit 6 Tagen.

Tag 7

Mit den Bäumen fallen heute auch meine Tränen. Es gibt so viel Leid. Heute seh ich zum ersten Mal die Bäume fallen. Es schmerzt so sehr, dass so viele Leute davon nicht betroffen sind und sogar Witze darüber reißen, wie die Secus. Ich mache mir bewusst, dass sie nicht nur die Bäume, sondern auch den Lebensraum von Tieren und Pflanzen zerstören. Dieser Wald ist einer der ältesten Wälder in dieser Gegend. Sie sehen den Wald durch kapitalistische Augen. Er ist nicht ersetzbar. Ökosysteme sind nicht ersetzbar wie eine alte Jeans.

Heute war also ein sehr ereignisreicher Tag. Mir wurde bewusst, dass ich fast kein Wasser mehr hier hab und die Secus haben ihr Versprechen, mir welches mit einer Hebebühne zu geben, immer noch nicht eingelöst. Also fragte ich sie nochmal und sie sagten mir, dass ich es mir selbst holen kann, wenn ich runter komme. (die sind wirklich schlau.. natürlich bin ich sofort runtergekommen.. klar, haha!). Also sagte ich ihnen, ich habe nicht die passende Ausrüstung, um runter zu kommen.

Also gingen sie und kamen wieder mit dem Typ, den sie „Chef“ nennen und er brachte mir eine Flasche Sprudelwasser, die er mir mit meinem Seil hochschickte. Zu meiner Enttäuschung gab es keine Hebebühne. Dann sagte er, er ruft einen Krankenwagen für mich. Und bevor ich es wusste, war ein ganzes Feuerwehrteam da und mindestens drei Bullenwannen, also war ich sehr verwirrt. Sollte ich geräumt werden? Ich dachte, es müsste wohl so sein. Ich habe mit einem sehr besorgten Presse-Team geredet (sorry an alle!) und stellte fest, dass sie dachten, dass die Tatsache, dass ich Wasser wollte, auch bedeuten würde, dass ich runterkommen wollen würde. Nach einer Stunde ihrer Zeit und ihres Geldes sagte ich ihnen, dass ich nur Wasser und nicht runterkommen wollte. Sie fragten mich, ob ich mir sicher sein und als ich ja sagte wirkten sie irgendwie erleichtert und irgendwie genervt, aber sie gingen – hurra!… Vielleicht sollte ich sie morgen um Suppe bitten…

16:30 Uhr

Mehr sexuelle Belästigung. 4-6 Secus leuchten mir ins Gesicht, so dass ich sie nicht sehen kann. Wenn es dunkel wird, fühlen sie sich sicherer, weil ich sie nicht sehen kann, um mich zu terrorisieren und schwere Gegenstände auf mich zu werfen. Manche der Gegenstände treffen mich, teilweise sehr hart auf meinen Körper und einmal an meinem Kopf. Ich wurde sehr ängstlich und mir wurde bewusst, dass wenn sie mich bewusstlos kriegen würden, es lebensgefährlich für mich in meinem Klettergurt wäre. Ich bin sehr weit oben in meiner Hängematte. Sie machen meinen Körper zu einem Ziel und mein Leben zu einem Spiel. Sie haben nicht aufgehört, bis ich sie angeschrien und geweint hab. Nur das schien sie zu verschrecken. Die Tatsache, dass ich als eine Frau weinte, hat wohl irgendeinen Eindruck bei ihnen hinterlassen und sie sind lachend gegangen. Sie sagten „Schlaf schön“. Es wird ermüdend, mir den ganzen Tag ihre sexistischen Kommentare gefallen zu lassen.
Es ist schön zu wissen, dass ich nicht alleine bin und es noch viel mehr Menschen in anderen Teilen des Waldes in Hängematten gibt, mehr Menschen, denen der Wald und das Leben nicht egal ist.

Ich denke mittlerweile, wie gut es mir eigentlich geht, in einer Hängematte unter den Sternen zu schlafen, mit Sonnenlicht und Vogelgezwitscher aufzuwachen, während Menschen direkt unter dem Kapitalismus und Energiekonzernen wie RWE leiden, so wie indigene Menschen, die in Kanada gegen die Teersande kämpfen, Menschen und Tiere in Bangladesch unter den Fluten, die der Klimawandel verursacht hat, leiden und weitere indigene Menschen kämpfen. In diesem Baum zu hängen führt dazu, dass ich mich gesegnet fühle und mein Privileg reflektiere, eine Stimme zu haben, die so vielen Menschen und Tiere auf dieser Welt verwehrt wird.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Noa

    Halte durch, ich bin so stolz auf dich ;-)Danke das du mich durch deine Augen und Gedichte sehen lässt, was ich gerade nicht mit erleben kann. Noa

  2. Uwe

    Vielen, vielen Dank für Deine bewegenden Berichte und Zeilen!
    Eure Aktionen sind mit das wichtigste was mensch in dieser Zeit tun kann, in der die Menschheit aus Gewinn- und Geltungssucht einen Krieg gegen die Erde führt und sich somit buchstäblich selbst das Grab zu schaufeln scheint.

    And i told them not to dig for gold
    for if they did, the eagle would die
    They didn’t listen

    And I told ‚em if the eagle died
    There would be no keeper of the land
    They didn’t listen

    And if there was no keeper of the land,
    Machine would come and soon destroy the sky
    They didn’t listen

    And i told ‚em if they destroyed the land
    Man would have to move into the sea
    They didn’t listen

    And i told ‚em if they destroy the sea…
    They didn’t listen

    [Floyd „Red Crow“ Westerman, 1969]

    Grüße der Verbundenheit und des Respekts!

  3. Anja

    Ich habe großen Respekt vor deinem Mut und bin froh, dass es Menschen wie dich gibt! Danke!

  4. schwarzer

    Danke, Gefährtin. Danke.
    Du bist nicht allein, wir sind soo viele.
    Wir kämpfen an verschiedenen Orten mit verschiedenen Mitteln aber alle mit dem selben Ziel.
    Es wird keine weiteren zehntausend Jahre mehr dauern, denn die Zeit ist reif: wir werden siegen!

  5. mensch

    Hallo ihr großartigen Personen,
    es ist wirklich ein Zeichen von riesiger Stärke, so lange auszuharren und eine dermaßen widerliche Behandlung zu überstehen.
    Ich denke, dass die Agression der Secus auch daher kommt dass ihr ihnen vorlebt wie mensch für einen Traum kämpfen kann.
    Warscheinlich haben diese Geld-geilen Machos noch nie für einen Traum kämpfen können………………

    Ganz Herzliche grüße (und danke ans Presseteam für die aktuelle Berichterstattung!)
    Hambi bleibt!

  6. schildkröte

    Wow, ich bin total gerührt von deinen Worten. Vielen Dank für deinen Einsatz!
    Habe mir deine Gedichte zum nochmal lesen raus geschrieben. Ich finde sie sehr schön und bewegend.
    Ich hoffe, dir geht es jetzt gut und schicke dir in Gedanken ein Kraftpaket mit Sonnenstrahlen und Flügeln zum entkommen. 🙂

  7. thomas

    Einfach imponierend, Dein und Euer Durchhaltevermögen! Laßt Euch nicht unterkriegen. Gebe Euch Unterstützung, wann Ihr sie braucht!!!
    Thomas

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