An den Geschehnissen im Gezi-Park können wir, und die ganze Welt, sehen was passieren kann wenn viele Menschen nach brutaler Polizeirepression solidarisch reagieren, anstatt sich abschrecken zu lassen.
Ohne die Gewalt der Polizeirepression am vergangen Dienstag gegen die Besetzer_innen der Wiese am Hambacher Forst gleichsetzten zu wollen mit der Polizeigewalt am gleichen Tag in Istanbul, wollen wir es wagen uns vorzustellen, was passieren könnte, wenn Menschen hier, gleichsam der Menschen in Istanbul wütend und solidarisch auf die Polizeigewalt reagieren würden. Wenn wie zu Beginn des Aufstandes in Istanbul jede Polizeigewalt zu einer Vervielfachung jener führt die sich der Gewalt in den Weg stellen. Dann wäre der Hambacher Forst unser Gezi-Park, indem wir dann vielleicht, so wie das im Gezi-Park derzeit der Fall ist, Erfahrungen der massenhaften Selbstorganisation machen könnten – im Gezi-Park gibt es derzeit riesige selbstorganisierte Widerstandsbibliotheken, Umsonstläden und Essensstände für alle. Weil das so gut funktioniert wird versucht im gesamten Park einen nicht geldbasierten Austausch aufzubauen. Und gleichzeitig würde der Hambacher Forst zum Taksim-Platz all jener werden, die von der Zerstörung durch den Tagebau profitieren: Zur Erfahrung der Grenzen der Durchsetzbarkeit ihrer Interessen mit Gewalt.
„Eine schöne Vorstellung, aber hier sind die Menschen viel zu angepasst um sich ernsthaft aufzulehnen“ werden „die Realist_innen“ nun sagen und vermutlich haben sie recht. Aber genauso stimmt es, dass eben diese Gewissheit mit dazu beiträgt, dass die oben beschriebenen solidarischen Effekte nicht stattfinden. Also rufen wir einfach dazu auf sich diesesmal ein Beispiel am Gezi-Park zu nehmen:
Unterstützt jetzt die Besetzter_innen aus dem Hambacher Forst! Kommt auf’s Wiesencamp! Informiert euch und andere! Haltet euch dafür auf dem Laufenden unter hambacherforst.blogsport.de! Organisiert Solidaritätsaktionen oder bekundet eure Solidarität sonstwie! Plant Solidaritätsaktionen für den Fall einer Räumung oder eines weiteren Polizeiübergriffs! Kommt regelmäßig auf der besetzten Wiese vorbei, wenn ihr in der Nähe wohnt! Kommt im Spätsommer zum Klimacamp und zum Reclaim the Fields Camp! Kommt am 1. Oktober in den Hambacher Forst um die weitergehende Rodung zu verhindern! Überlegt euch selber wie ihr RWE und Polizei einen Strich durch die Rechnung machen könnt! Seid ebenfalls solidarisch mit dem räumungsbedrohten AZ in Köln!
Am 11.06 überfiel die türkische Polizei in einer konzentrierten Aktion und mit unvorstellbar viel Tränengaß den besetzten Taksim Square, genauso wie den besetzten Gezi-Park. Beides die Symbole des aktuellen Widerstandes in der Türkei. Tausende Verletzte sind an diesem Tag zu den ohnehin schon Unzähligen der letzten Tage gekommen. Die Regierung versucht diese Aktion zu legitimieren, indem sie den Widerstand kriminalisiert und behauptet er würde von Terroristen organisiert – immer eine gute Begründung! Die deutsche Öffentlichkeit ist entsetzt und findet es auf einmal richtig, dass die Menschen sich mit Barrikaden behelfen und mit dem was sonst noch dazugehört um Polizeiübergriffe abzuwenden. Ebenso findet sie es unerhört, dass die Eliten in der Türkei einfach ein wirtschaftliches Großprojekt nach dem anderen „gegen die eigene Bevölkerung“ (heute.de) durchsetzen.
Am gleichen Tag überfiel deutsche Polizei (genauer Dürener Polizei, unter Leitung des RWE-Power Aufsichtsrates Spelthahn) die Wiesenbesetzung am Hambacher Forst, gegen das wirtschaftliche Megaprojekt Braunkohletagebau. Mit Bereitschaftspolizei, Helikopter, Hundestaffel, Pfefferspray, Schlagstöcken und viel Gewalt scheuchten sie alle im Wald befindlichen Menschen zusammen und belästigten die Campbewohner_innen auf umfriedetem Privatgelände über Stunden ohne richterlichen Beschluss. Polizei und RWE arbeiteten zusammen an der Kriminalisierung der Aktivist_innen: „Hier geht es nicht um Kavaliersdelikte“. Alles was von der Polizei aber als Beweis vorgebracht werden konnte ist ein Bild von liebevoll an eine Waldschranke gelehnten Holzstöcken – mit etwas gutem Willen als Barrikade zu bezeichnen. Die Medien die berichten übernehmen zum großen Teil einfach die Meldungen von Polizei und RWE (kleiner Tipp am Rande: Mit einem gemeinsamen Pressezentrum ließe sich vielleicht Personal einsparen).
Wir wollen mit dieser Aneinanderreihung nicht den Eindruck erwecken, dass wir nicht unterscheiden könnten im Grad der gestrigen Polizeigewalt am Taksim Platz und im Hambacher Forst. Es ist aber nicht notwendig eine gleiche Intensität zu haben um eine Parallele ziehen zu können. Denn unsere Kritik an Gewalt und Repression des Staates (oder staatliche-privatwirtschaftlicher Konglomorate wie der Dürener Polizei) ist nicht von dessen Intensität abhängig – wissen wir doch, dass immer versucht wird genau das Maß an repressiver Gewalt einzusetzen das notwendig ist um Widerstandsbewegungen marginal zu halten. Es ist immer die gewollte
Wirkung der Repression, dass die Anzahl der Aktiven zusammenschrumpft, dass nur wenige bereit sind die Möglichkeit massiver Repression gegen die eigene Person in Kauf zu nehmen. Es scheint also wie ein Naturgesetz, das die Herrschenden stets hinter
sich haben, dass mit der richtigen Dosierung von Gewalt und Repression jeder Widerstand klein zu kriegen ist. Dieses scheinbare Naturgesetz, welches in den vergangenen Jahrzehnten leider meist Gültigkeit hatte, kommt in den letzten Jahren mancherorts ins Schwanken. Tunesien, Äqypten, Vancouver … und nun in der Türkei. Überall dort war es gerade erst die massive gewalttätige Repression die zu den Massenaufständen führten.
Im Gezi Park, wo es anfangs ebenfalls gegen das Abholzen von Bäumen für ein Projekt das nur im Kapitalismus Sinn macht und den Menschen nichts nutzt, ging, waren es anfangs auch „nur“ einige Handvoll Aktivist_innen, die ihn besetzt hielten. So wie es in jedem autoritärem Staat (ob demokratisch legitimiert, oder nicht) geschehen wäre, wurden die Aktivist_innen gewaltsam geräumt: Anstatt dass das die Menschen eingeschüchtert hätte, kamen am nächsten Tag ein vielfaches der Menschen wie zuvor, und nach der nächsten Räumung wieder. Das brachte Erdogan zu seinem schon Legendären Zitat: „Und wenn sie 10 000 bringen,dann bringe ich 100 000“ woraufhin aber eine Millionen kamen um den Park zu besetzen. Seither hat Erdogan und die gesamte Machtelite der Türkei ein Problem.
Zurück zum Hambacher Forst und der Polizeigewalt hier. Ganz offensichtlich ist dies der Versuch die Aktivist_innen einzuschüchtern um den Widerstand klein zu halten. Zusammen mit den Straf- und zivilrechtlichen Verfahren, mit denen RWE und Justiz die Aktivist_innen überschütten, soll ein Klima der Angst unter den Aktiven erzeugt werden. Diese Repression funktioniert aber nur solange wie sie funktioniert. Sprich: Wenn gerade aufgrund der widerlichen Repression der quasi-privaten Dürener Polizei Menschen solidarisch werden und die Kämpfe um den Hambacher Forst unterstützen haben die Spelthahns und Lambertz’ schlechte Karten. Wenn durch jede Repressionswelle sich mehr Menschen solidarisch erklären und die Kämpfe unterstützen ist das beste was RWEs Polizei noch machen kann, sich zurück zu halten. Deswegen rufen wir dazu auf nach der Repressionswelle am 11.6. vielfältigen Widerstand gegen Braunkohleabbau zu leisten.
Wir wissen alle, was inzwischen in Istanbul passiert ist. Nun, so werden manche sagen, Istanbul ist nicht Düren. Stimmt. Düren ist kleiner. Und das gilt auch für die Waldbesetzung, die ja nicht mitten in einer Großstadt ist, wo viele Hunderttausende sofort mobilisierbar sind. Aber sonst gibt es einige auffällige Parallelen. Eine der wichtigsten: wenn Dinosaurier in die Ecke gedrängt werden, werden sie schon mal bissig. Aussterben werden sie aber trotzdem. Auch wenn sie heute noch Kreisräte nach ihrem Gusto ernennen können, Polizei aufmarschieren lassen und brutale Gewalt anwenden lassen. Lasst euch nicht klein kriegen, denn euch gehört die Zukunft!