Flurtotalschaden: Seit gut 30 Jahren holt RWE im Tagebau Hambach Braunkohle aus der Erde, mittlerweile Deutschlands größtes Loch. Der Widerstand ist trotz Umsiedlungen, Feinstaub und Lärm gering. Selbst die Kartbahn, die einst Michael Schumacher bekannt machte, zieht geräuschlos um.
Eine Reportage von Mirjam Hauck, Hambach
Meter um Meter graben sich die Schaufeln des riesigen Rades langsam in den staubigen Sand. Rumpelnd und dröhnend tragen sie eine Erdschicht nach der anderen ab, Kubikmeter um Kubikmeter. Zurück bleibt Zerstörung. Eine ockerfarbene Mondlandschaft, über der Sandkörner wirbeln.
Das Schaufelrad steuert Heinz Klär. „Ich muss höllisch aufpassen, sonst stürzen die Böschungen ab“, sagt er und bewegt dabei den Joystick und einen dicken schwarzen Steuerungsknopf. Wenn sie abstürzen, muss er wieder von vorne anfangen.
Die Fahrerkabine ist klein und zugig, satellitengestützte GPS-Monitore zeigen Klär, wo er sein Rad ansetzen muss. Die Größe des Arbeitsplatzes und seines Arbeitsgerätes stehen in einem grotesken Verhältnis: Klär bewegt einen 13.000-Tonnen-Koloss aus Stahl, einen Braunkohlebagger. Das Fahrwerk ist 46 Meter breit. Der Oberbau aus Hebearm und massivem Schaufelrad wiegt rund 5000 Tonnen und rollt auf 280 Stahlkugeln. Bagger 291 bringt es auf mehr als 22 000 PS. Er ist zusammen mit seinen „Brüdern“ einer der größten der Welt. Und er steht in dem größten Loch Deutschlands. Die Grube misst rund acht mal zehn Kilometer und ist bis zu 400 Meter tief. Täglich schaufeln acht riesige Bagger hier 240 000 Kubikmeter Sand, Erde oder Löss aus der Grube, bis sie zur Braunkohle vordringen. Der Tagebau Hambach: Man könnte Kölns Zentrum darin versenken.
Der 52-Jährige arbeitet seit 1979 im Tagebau. Zuerst an der Bandkontrolle, jetzt als Großgeräteführer. Während seiner Acht-Stundenschicht blickt er auf die sandige Terrassenlandschaft. Auf manchen der Terrassen wachsen kleine Bäume, sie sollen den Staub einfangen.
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Ein riesiger Flurtotalschaden
Die abgebaggerte Erde schaffen kilometerlange Förderbänder fort. Am Rand der Grube schütten sie den Abraum wieder auf. Dort, wo die Kohle schon weggebaggert wurde. 200 bis 250 Meter wandert die Grube so jedes Jahr weiter. Ein riesiger Flurtotalschaden.
Früher standen hier mal Dörfer, Bauern bewirtschafteten ihre Felder. Die Menschen sind längst umgesiedelt, ihre Häuser zerstört. Gleichmäßig wie das Graben der Schaufeln scheint alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Der sandige Boden leistet den Baggern keinen Widerstand. Die Menschen auch nicht.
Klär und sein Vorarbeiter Jürgen Schläger zeigen stolz auf einen etwas entfernt stehenden Bagger. Er stammt aus dem längst geschlossenen Tagebau Fortuna in Bergheim. Der Bagger holt seit 1959 Tag für Tag Kohle aus der Erde. Das „Glück auf“ aus den Wirtschaftswunderzeiten der alten Bundesrepublik ist hier nach wie vor präsent. Viele Arbeiter der in den 1980er geschlossenen Steinkohlezechen bei Aachen fanden in den Braunkohletagebauen des Niederrheins neue Arbeit. RWE ist der wichtigste Arbeitgeber in der strukturschwachen und dünn besiedelten Region. So dünn, dass die Bundeswehr ihre Eurofighter in 800 Metern Höhe über die Gegend fliegen lässt.
Das Rheinische Braunkohlerevier zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach birgt auf einer Fläche von rund 2500 Quadratkilometern eines der größten Vorkommen des Brennstoffes in Europa. Neben Hambach fördert RWE noch in den angrenzenden Tagebauen Inden und Garzweiler rund 100 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr. Es liegt davon noch viel unter den wertvollen Lössschichten, auf denen Bauern einmal vor allem Zuckerrüben angebaut hatten.
RWE beschäftigt im Tagebau Hambach derzeit gut 1500 Menschen. Laut Konzernzahlen bietet die Braunkohle, Dienstleister und Zulieferer mit eingerechnet, mehr als 30 000 Arbeitsplätze.
Quelle Süd Deutsche Zeitung
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