Heute vor einem Jahr fing die Räumung im Hambacher Forst an. Mit einem riesigen Aufgebot Polizei hat der Staat gezeigt, dass er bereit ist die Interessen von RWE mit Gewalt durchzusetzen. Und trotzdem hat der Widerstand gegen die Zerstörung durch den Braunkohleabbau im letzten Jahr zugenommen, und der Energieriese RWE steht zunehmend in der Defensive. Ein Rückblick auf die längste Räumung im deutschsprachigen Raum, und die Weiterentwicklung des Braunkohlewiderstands
Es war am frühesten Morgen, bei Dämmerung, als das Großaufgebot Polizei sich dem Hambacher Forst näherte. Ihr Ziel: Die Aktivist_innen zu räumen, die seit April einen Teil des Hambacher Forst besetzt hielten. Ziel der Räumung war es die Abholzung und das Abbaggern des Waldes durch RWE zu ermöglichen. Aber auch dem Braunkohlewiderstand einen wichtigen Symbolischen Ort zu nehmen der zugleich eine wichtige Plattform zum Austauschen und Vernetzung war.
Hier trafen sich Anarchist_innen, Anwohner_innen, Mitglieder_innen von Bürgerinitiativen, Vereinen, Umweltverbänden, Journalist_innen und viele mehr.
Im Laufe der siebenmonatigen Besetzung waren hunderte Menschen aus nah und fern gekommen um sich die Besetzung und den direkt angrenzenden Hambacher Tagebau an zu gucken. Es bekamen somit viele einen Eindruck des Ausmaßes an Zerstörung durch RWE und etliche zeigten sich solidarisch mit Anwohner_innen und zugezogenen Braunkohlegegner_innen, oder packten sogar gleich mit an.
Ein Kristallisationspunkt des Konfliktes um die Zukunft der Region und der Erde, ein Ort an dem Menschen aus verschiedensten gesellschaftlichen Ecken und von allen Kontinenten zusammenkommen, sich austauschen, Gedanken zirkulieren lassen, jenseits eines Millieus, einer Szene, einer Schicht.
Ein Austausch der dazu führt, dass sich Menschen und Gruppen solidarisch aufeinander beziehen, und eine gemeinsame Praxis entwickeln. Das alles macht zum einen dem Staat allgemeine Sorgen, weil dadurch Räume entstehen, die eine Explosivkraft besitzen, die nicht leicht unter Kontrolle zu halten sind, in dem keine Kontrolle über Diskurse herrscht.
Zum anderen machte es natürlich RWE besondere Sorgen, dass nach jahrzehnte langer Zurückhaltung des Widerstandes nun auf einmal aus dem Nichts eine Bewegung entsteht.
The only good system is a tunnelsystem
Genügend Gründe für einen autoritären Staat und einen Konzern, die schon aufgrund der im Kapitalismus angelegten Konkurrenzwirtschaft gar nicht anders können, als die Menschen den Profiten hint’an zu stellen, nicht länger mit anzusehen, wie sich Menschen genau an dem Ort anfangen zu organisieren, dem die totale Zerstörung für den Profit zugedacht war.
Anders vorgestellt haben sich RWE und Polizei allerdings den Verlauf der Räumung. Schon die Lock-ons (Ankett-vorrichtungen) in den Baumhäusern, die Aktivist_innen in Walk-Ways (Seil-Traversen zwischen den Bäumen) und ein massiver Betonblock am Boden brachten die Spezialkräfte der Polizei an die Grenzen ihres Könnens und beschäftigte sie über 24 Stunden.
Als sie dann aber noch erfuhren, dass unter dem Gelände ein Tunnelsystem gegraben wurde, das in einem Bunker endet, in dem sich ein Aktivist aufhielt, waren sie so sehr überfordert, dass sie zwischenzeitlich die Vermutung anstellten, der Aktivist, mit dem sie durch den Lüftungsschacht kommunizieren konnten, wäre ein „intelligenter Sprachcomputer“. Was ihnen für die Tunnelräumung an technischem know-how fehlte machten sie mit fiesen Lügen in der Öffentlichkeitsarbeit wett. Der Polizeisprecher Hamacher (wie Hambacher ohne B wie Bäume) setzte den Startschuss für die Hetzkampagne indem er behauptete: „Der junge Mann ist in Lebensgefahr. Er setzt sein Leben offensichtlich bewusst aufs Spiel“ um dann nur kurze Zeit später zu ergänzen, dass er auch das Leben der Rettungskräfte aufs Spiel setzte. Tatsächlich musste der Aktivist zu keinem Zeitpunkt gerettet werden. Hätte RWE die Rodung des Waldes abgesagt, oder die Polizei die Räumung für nicht durchsetzbar erklärt, wäre der Aktivist von sich aus wieder herausgekommen. In Gefahr gebracht wurde er nur, weil die überforderte Polizei, die ständig kommunizierten Sicherheitshinweise der Aktivist_innen überging. Bis der Aktivist aus dem Tunnel geräumt war vergingen jedenfalls 3 weitere Tage, sodass die Räumung insgesamt 4 Tage dauerte und somit die längste Räumung einer Waldbesetzung aller Zeiten in Deutschland war.
Klaus der Geiger dichtete ein Lied auf die Räumung, das ihr hier den Text durchlesen könnt.
Wir kamen wieder – keine Frage
Nur eine Woche nach Beginn der Räumung wurde erneut besetzt. Und zwar eine Wiese direkt angrenzend an den Hambacher Forst. Die Wiese soll nach den Plänen von RWE ebenfalls abgebaggert werden. Die besetzte Wiese besteht ein Jahr nach der Räumung des Hambacher Forstes noch immer, Infrastruktur wurde ausgebaut und Räumungsbestrebungen von RWE und Polizei wurden bisher gerichtlich abgeschmettert (der Besitzer der Wiese, ein Anwohner, hat kein Interesse räumen zu lassen). Die Aktivist_innen die derzeit auf der besetzten Wiese leben bereiten sich auf den zweiten Winter dort vor. Zum Geburtstag der Wiesenbesetzung sind alle herzlich eingeladen, die keine grüne oder blaue Uniform und einen Revolver am Gürtel tragen.
Widerstand im vergangenen Jahr
Die besetzte Wiese war ein wichtiger Ort um die Verbindungen unter den verschiedenen, oben genannten Akteur_innen weiterzuführen, um einen Ort zu haben an dem der Widerstand vor Ort zusammenkommen kann, und der als Anlaufpunkt dienen kann, für Menschen die neu dazukommen. Leider konnte die besetzte Wiese das Jahr über nicht die Lücke schließen, die nach der Räumung des Hambacher Forstes auftrat. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass der Wiese die Symbolik fehlt, zum anderen aber auch daran, dass viele die Kriminalisierungs-story’s von RWE und Polizei geschluckt haben, und sich lieber fern hielten. Der Höhepunkt des Braunkohlewiderstandes im vergangenen Jahr war das kombinierte Klima- und Reclaim the Fields Camp. Insgesamt 1000 Aktivist_innen kamen ins Rheinland, vernetzten sich, bildeten sich weiter zu Klima-, Widerstands-, und Kleinbäuerliche Landwirtschaftsthemen, und führten zahlreiche Aktionen durch. So wurde die Hambach-Kohlebahn ein weiteres Mal blockiert, mehrere leerstehende Häuser in Manheim besetzt um ein Zeichen gegen die Umsiedlung und die Zerstörung von Wohnraum zu setzten, ein Gemeinschaftsgarten in Manheim wurde angelegt, die Parteizentrale der Grünen in Düsseldorf und das RWE-Kundenzentrum in Düren wurden besetzt. Und der Hambacher Forst wurde ein weiteres Mal besetzt…
Neue Besetzung, neues Glück
Es ist Zeit mit der neuen Besetzung wieder dort anzuknüpfen, wo der Widerstand vor der gewaltsamen Polizeiräumung vor einem Jahr war. Oder wollen wir uns durch Räumungen der Polizei und Kriminalisierungsversuche von RWE auseinander dividieren lassen, genauso wie es ihr Plan ist?
Wir wollen die neue Besetzung wieder zu einem Kraftort des Widerstandes werden lassen. Wir haben dafür Vorbereitungen getroffen, indem wir Baumhäuser in der Höhe gebaut haben um dort zu überwintern. Nun rufen wir alle Anwohner_innen und Braunkohlegegner_innen dazu auf die Besetzung wieder zu ihrem Ort zu machen. Kommt öfters vorbei, organisiert solidarische Sonntage, erzählt es weiter, dass es wieder eine Besetzung gibt, macht eigene Aktionen gegen die Rodung….
RWE am Ende?
Neben dem zunehmendem Widerstand von Klimaaktivist_innen trifft es RWE nun, dass sie all die Zeit nur auf Braunkohle und Atomkraft gesetzt haben. Aktionär_innen und Analyst_innen senken die Daumen, RWE hat die Zeichen der Zeit verpennt und kann nichts außer Dinosauriertechnologien. Auch wenn sie sich mit gesamter Lobbyarbeit ins Gewicht legen, und damit sogar die neue Bundesregierung dazu bewegen die Energiewende zu bremsen, wird es doch nicht dazu führen, dass sich Braunkohle langfristig rentiert. Das dämmert ihnen nun selber, weshalb sie in internen Szenarien die Stilllegung von Tagebauen und Kraftwerken durchrechnen. Die Stadt Erkelenz, stellt sich nun quer und stoppt alle Umsiedlungsmaßnahmen weil sie sich vom RWE verarscht fühlen. Die durch Besetzung und Räumung entstandene bundesweite Aufmerksamkeit hat große Umweltverbände wie Greenpeace auf den Plan gerufen, die Bürgerinitiativen der an die Tagebauten angrenzenden Dörfer haben sich besser vernetzt und bauen ihre Zusammenarbeit aus und auch außerhalb des Rheinischen Braunkohlereviers sind einige neue Gruppen entstanden um dem Klimakiller Braunkohle ein Ende zu bereiten. Wir glauben, dass dies gerade eine gute Situation ist um einen Riesen ins Straucheln und zum Fall zu bringen. Wenn massiver Widerstand mit ökonomischen Gegenwind zusammenkommt, dann passiert vielleicht dass, was vor Ort viele aufgrund der eigenen Resignation kaum noch zu hoffen wagen: Die Braunkohleverstromung wird deutliche früher als geplant gestoppt. Das Klima würde kräftig durchatmen, genauso wie wir, bevor wir uns Europas zweitgrößten Klimakiller zuwenden würden…