Strafprozesse gegen Kohlebahn-Blockierer

Wenn Staatsdiener in Robe und Uniform Konzerninteressen
vertreten …

Die Verflechtungen zwischen Parteien, Behörden und Regierungen in Nordrhein-Westfalen und dem RWE-Konzern sind vielfältig. Das sichert den profitorientierten ManagerInnen aus der Zentrale in Essen, den vielen Nebensitzen, Kraftwerken und Kohlegruben neben ihrem faktischen Versorgungsmonopol eine ausreichende Sicherheit vor Kritik und ungeliebter Konkurrenz. Boden, Untergrund, Grundwasser, Luft und Klima werden ungehemmt zum Spielball kapitalistischer Interessen. Wer sich auf die mit Konzerninteressen verflochtenen Institutionen nicht weiter verlassen will, sondern sich dem RWE-Konzern mit direkten Aktionen entgegenwirft, bekommt es mit einer weiteren Truppe des Staates zu tun: Die in Roben und Uniformen. Auch deren Auftrag ist, Profitinteressen und ungleiche Eigentumsverteilungen zu sichern. Ob sie wollen oder nicht.

Am 8. August 2012 blockierten drei kunstvoll angekettete Personen die Gleise der Hambachbahn, also jener Zugverbindung, die täglich ca. 120.000 Tonnen Braunkohle direkt vom wachsenden Erdloch bei Hambach zum nahegelegenen Kraftwerk Niederaußem transportiert. Dass bei Abbau, Verladung und Verbrennung große Mengen Feinstäube, Radioaktivität und schließlich Verbrennungsabgase, u.a. Massen am klimawirksamen CO2 frei werden, stört AnwohnerInnen und UmweltschützerInnen, aber keine staatlichen Überwachungsstellen. Um den Wahnsinn zu stoppen, legten sich die Aktivisten also selbst wortwörtlich in den Weg. Zwei weitere Personen begleiteten sie zu der Blockadestelle, dienten der Polizei an Ansprechpartner und versorgten die Blockierer. Diesen beiden will die Strafjustiz nun den Prozess machen. Die Anklageschrift wirft ihnen vor, „den Betrieb eines für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtigen Unternehmens dadurch gestört zu haben“. Das ist ein heftiger Vorwurf und kann mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden.

Ziel Einschüchterung?
Die Gerichtsakte zum Strafprozess ist umfangreich, vor allem dank vieler Bilderserien von Seiten der Polizei und von Seiten des RWE-Konzerns. So wurden Vergleichsbildserien über Personen angefertigt, d.h. RWE verfügt offenbar über eine eigene Datei der GegnerInnen (Beispiel). Laut umfangreicher Strafanzeige des Konzerns schätzt dieser das Geschehen als Nötigung, Störung öffentlicher Betriebe und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz ein. Das ist dick aufgetragen und dient offenbar der Einschüchterung. Für einen der Angeklagten ist das schon fast Routine: Wegen einer symbolischen Feldbefreiung bei einer Versuchsanlage mit gentechnisch veränderten Pflanzen saß er sechs Monate im Gefängnis. „Genützt hat das aber nichts: Die Gentechnik ist aus diesem Land vertrieben – und zwar vor allem wegen der kreativen und militanten Aktionen“, wünscht er sich sogar eine Parallele zur Frage des Kohleabbaus. Für eine politische Auseinandersetzung vor Gericht sind die Übertreibungen von RWE und Staatsanwaltschaft vielleicht sogar nützlich. Denn RWE behauptet damit selbst, „öffentlich“ zu sein, und dass die Aktion eine Versammlung war. Im gleichzeitig laufenden Zivilprozess behauptete RWE das Gegenteil – offenbar wird hier argumentiert, wie es gerade am besten passt. Wegen dieser Unklarheiten hat einer der Angeklagten bereits die Aussetzung des gleichzeitig wegen der Blockadeaktion laufenden Zivilverfahrens beantragt, bis diese Frage im Strafprozess geklärt ist. Denn ansonsten würde das Zivilverfahren auf einer Lüge von RWE beruhen.

Vom rechtsfertigenden Notstand bis zum Widerstandsrecht
Strafe soll „die Geltung und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung für alle bekunden und behaupten“, sagt das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 64, 271). Es geht also um den Machtanspruch des Staates, nicht um die Menschen oder ein gutes Leben. Insofern taugt Strafjustiz in der Regel kaum für das Erstreiten emanzipatorischer Ziele. Dennoch gibt es Teile des Strafgesetzbuches (StGB), die für eine Auseinandersetzung mit Umweltgefährdungen nützlich sind. Das gilt insbesondere dann, wenn staatliche Stellen versagen und das auch – wegen der intensiven Verflechtungen mit einem umweltzerstörenden Konzern – zu erwarten ist. Am spannendsten ist der § 34 im StGB namens „Rechtfertigender Notstand“. Er lautet: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“ Darauf wollen sich die Angeklagten stützen – und nach einem von einem der Angeklagten selbst erstrittenen Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg vom 24.3.2013 (2 Ss 58/12) wird das Gericht die Sachlage auch prüfen müssen. Dass vom Kohleabbau eine Gefahr ausgeht, muss dabei nicht nachgewiesen werden. Denn Konzerne wie RWE benannten die globalen Zerstörung durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe ständig selbst – nämlich dann, wenn die damit die Atomkraft bewarben. Dieses wäre also, juristisch formuliert, „unstreitig“. Ob direkte Aktion auch angemessen und notwendig war, muss dann geprüft werden. Es geht um die Frage, ob Behörden überhaupt noch handlungsfähig oder nichts als Erfüllungsgehilfen von RWE sind. Summa summarum: Ein spannender Prozess steht bevor. Vielleicht gibt es am Ende nur Verlierer: Die Angeklagten wandern in den Knast, aber alle haben gesehen, dass sie Recht hatten: Der Staat – von den Bergbaubehörden über die Regierungen bis zur Justiz sind Dienstleister für Konzerne wie RWE. Eigentlich würde sich angesichts der globalen Folgen des Klimawandels eher die Frage stellen, ob neben dem § 34 StGB nicht auch der Widerstandsparagraph des Grundgesetzes gilt. Der lautet im Artikel 20, Abs. 4: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Mit der Ordnung ist das sogenannte freiheitlich-demokratische System der BRD gemeint. Bei einem globalen Klimawandel oder damit zusammenhängenden Klima- bzw. Rohstoffkriegen dürfte das wohl der Fall sein …

Wie geht es weiter?
Für den Strafprozess sind noch keine Termine angesetzt. Ob es jetzt schnell zu einer ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht Kerpen kommt oder sich die Sache noch länger verzögert, ist offen. Zeitnäher, nämlich für Freitag, den 28.6. um 11 Uhr im Landgericht Köln (Luxemburger Str. 101, Saal 0207 in der 2. Etage), ist die erste Verhandlung im Zivilprozess angesetzt. Der dort Beklagte ist auch einer der Angeklagten im Strafprozess. Er hat die Verschiebung des Zivilprozesses beantragt, bis im Strafverfahren die Vorwürfe geklärt sind. Sonst müssten zweimal die gleichen Sachen parallel geklärt werden – überflüssig und anstrengend für alle Beteiligten. Ein weiteres Verfahren ist demnächst beim Verwaltungsgericht Köln anhängig. Es soll klären, ob die Inhaftierung der Blockadegruppe im Polizeipräsidium Köln direkt nach der Aktion rechtens war. Insofern werden Gerichtstermine in der nächsten Phase des hoffentlich weiter wachsenden und bunter, kreativen sowie druckvoller werdenden Widerstandes zu einem festen Bestandteil des Protestes werden. Es wäre zu wünschen, dass sie Kraft spenden und nicht zehren.
Infoseite: www.projektwerkstatt.de/kohle

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