Der Hambacher Wald ist seit 2012 besetzt, um gegen die Rodungspläne des Energiekonzerns RWE zu protestieren. Das Leben im besetzten Wald spielt sich seither vorwiegend in den Baumhäusern verschiedener Baumhausdörfer ab. Steffen Meyn dokumentierte dieses Leben und den Kampf für eine klimagerechte Welt seit 2017 im Rahmen seines Studiums an der Kunsthochschule für Medien Köln. Aus dieser Zeit stammt auch sein Waldname „Sonne“. Zahlreiche Interviews mit Waldbesetzer:innen vor Ort, Aufnahmen auch in Konfliktsituationen und der Einsatz einer 360-Grad-Kamera sollten den Betrachtenden seiner geplanten Dokumentation die Atmosphäre vom Leben und Kämpfen im Wald ganz nah bringen. 2018 dokumentierte er die oft gewaltvolle Räumung durch die Polizei. Dass er bereits klettern konnte ermöglichte ihm, die Geschehnisse vom Baumhausdorf aus zu dokumentieren. Doch während der Räumung des ersten Baumhauses in Beechtown stürzte Steffen von einer Hängebrücke und verunglückte tödlich.
Ihm zum Gedenken, wurde an Ort und Stelle eine Gedenkstätte errichtet und viele hunderte Menschen kamen, um dort gemeinsam zu trauern. Seither wird jährlich um Steffen’s Todestag herum, dem 19. September, zur offenen Gedenkfeier eingeladen. Dabei wird auch weiterer verstorbener Freund:innen gedacht. Zu ihnen zählen wir Elf, Waka, Mike, Mogli und Anna. Sie alle haben eine Zeit lang in der Hambacher Waldbesetzung gelebt und diesen Wald verteidigt.
Die Familie von Steffen Meyn, insbesondere die Eltern Elisabeth und Horst, sind regelmäßig an der Gedenkstätte und Elisabeth betont, wie sie immer wieder viel Mitgefühl für den Tod ihres Sohnes erfahren. Zugleich sei es unerträglich, dass die Verantwortlichen für diese Räumung, Innenminister Reul und der damalige Ministerpräsident Armin Laschet, noch immer im Amt seien. Als Eltern sind sie mehrfach an die Öffentlichkeit getreten, haben einen Offenen Brief an die Landesregierung verfasst, Fridays for Future Demonstrationen begleitet, auf Veranstaltungen gesprochen und stets ihre Solidarität mit dem Engagement der Waldbewohnenden und Klimagerechtigkeitsaktivist:innen an weiteren Orten ausgedrückt.
Gedenken 2022
Die Gedenkfeier dieses Jahr fand mit ca. 50 Menschen am Samstag den 17.09., zwei Tage vor Steffen’s viertem Todestag an der Gedenkstätte in Beechtown statt. Elisabeth Meyn eröffnete sie mit einer kurzen Ansprache. Die Trauer über Steffens Tod sei nach wie vor groß. Zugleich könne sie ihren Blick inzwischen weiten und auch der Tod unserer weiteren gestorbenen Freund_innen Elf, Waka, Mike und Mogli berühre sie sehr. Diese seien verbunden mit Steffen, da sie sich alle für eine bessere Welt eingesetzt hätten. Sie habe die Hoffnung, dass der Hambacher Wald und das von Räumung bedrohte besetzte Dorf Lützerath am Leben blieben. Die Koalition der Grünen mit der CDU in NRW mache sie wütend. Daher habe sie sich als Mutter von Steffen Meyn persönlich an Mona Neubaur (Grüne, Stellvertretende Ministerpräsidentin NRW) sowie die Grüne Jugend und, selbst gläubige Christin, auch an den NRW Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) gewandt, um u.a. den Erhalt von Lützerath und Konsequenzen für die rechtswidrige Räumung im Hambacher Wald zu fordern. Lediglich die Grüne Jugend antwortete auf ihr Schreiben. Doch sie werde nicht aufhören, Konsequenzen einzufordern und auf das verantwortungslose Handeln dieser PolitikerInnen und die Bedeutung von Aktivist:innen wie jenen, die Steffen begleitete, aufmerksam zu machen.
Die Geschichte des Hambacher Waldes gehe zurück auf Arnoldus, der einst durch eine Wette mit dem damaligen Kaiser erreichte, dass der Wald zu einem Bürgewald (Allgemeingut) umgewidmet wurde. Arnoldus sei nicht aus der Region gewesen, aber habe sich trotzdem für die Gesellschaft vor Ort eingesetzt. Gleiches gelte für Steffen Meyn, der dieses Jahr für seinen Einsatz geehrt wurde: Die lokale Initiative „Buirer für Buir“ verlieh ihm den Arnoldus-Preis, den die Eltern stellvertretend in Empfang genommen hatten.
Eine Freundin von „Waka“ (Șehîd Șahîn Qereçox), der 2017/18 im Hambacher Forst gelebt hatte und 2018 im Kampf gegen den IS gefallen war, berichtete von seinem Weg. Er sei ein Mensch gewesen der, wie Steffen, stets sein Bestes für die Menschen um ihn und die Natur und Tiere gegeben habe. Sein Weg führte ihn auch nach Pont Valley (England), wo er sich, auch als Salamander verkleidet, gegen die Eröffnung eines Tagebaus einsetzte und nach Schweden, wo er gegen die Wolfsjagd protestierte. Zuletzt ging er nach Rojava (im Nord- und Ost-Syrischen Teil Kurdistans), wo er ein Gesellschaftssystem, das auf Basisdemokratie, Geschlechterbefeiung, Ökologie und Pluralismus beruhte kennenlernte und half, diese gegen den IS zu verteidigen. Dort starb er im Oktober 2018. Sie machte darauf aufmerksam, dass dieses fortschrittliche Gesellschaftssystem erneut bedroht sei, diesmal u.a. durch Drohnenangriffe des türkischen Staats und es in Gedenken an Waka auch unsere Aufgabe sei, die Menschen vor Ort weiter zu unterstützen.
Die diesjährige Gedenkfeier wurde durch Gesang, Cello und Akkordeon musikalisch begleitet. Eine interaktive Darbietung der zapatistischen Geschichte „Wir späteren haben verstanden“ zeigte die Verbundenheit der Kämpfe im Hambacher Wald mit der Verteidigung der ökologischen Gesellschaft der Zapatistas in Chiapas/Südmexiko.
Wir wollen die Erinnerung an unsere Freund:innen präsent halten, kennenlernen was sie bewegte und darin Kraft und Inspiration finden, um ihre Wege mit neuem Mut weiterzugehen.
Danke.
Auch wenn ich nicht da war.
Bin im Herzen mit euch <3