Liebes Tagebuch, heute habe ich einen Bagger besetzt…

Wir gleiten den kohlenrabenschwarzen Berg hinab, sinken bis über die Knöchel ein in die antiken Zeugen des Urwaldes, der er einst war. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, sozusagen durch den Hambacher Forst zu waten, der in akurat angehäuften Hügeln im Kohlebunker am Tagebau Hambach lagert. Wie Knochen, die aus einem Grab ausgehoben wurden. Ich atme diesen Geruch ein, spüre den Kohlenstaubmatsch an meinen Schuhen, Hosenbeinen, Handschuhen. Eine etwas kleinere Version eines Schaufelradbaggers bewegt sich langsam in unsere Richtung. Wir erreichen festeren, wenn auch vom feuchten Kohlestaub rutschigen Boden und gehen mit zügigen, festen Schritten auf das Stahlmonster vor uns zu. Eine Treppe lädt uns ein, hinauf zu klettern. Die Geländer sind Zentimeter dick mit weichem Kohlestaub bedeckt. Meine Handschuhe sind schon ganz verklebt davon. Es gibt viele stählerne Wege, Treppen und Leitern, wir streben aufwärts. Doch schon nach wenigen erklommenen Treppen geht es nicht weiter. Mist! Wir haben doch gesehen, dass es möglich sein muss! Hoffentlich wurden wir noch nicht entdeckt. Wir stehen in einer Sackgasse, die aussieht als würde sie wenig benutzt und überlegen was tun. Neben uns erklingt lautes Geprassel. Für eine Sekunde erschrecke ich, doch dann verstehe ich, dass es die Kohle ist, die da durch einen riesigen Trichter auf das Förderband prasselt. Einfach hier bleiben? Nein, es muss irgendwo möglich sein. Es gibt ja noch die andere Hälfte des Baggers. Also wieder runter, unter dem Monstrum hindurch und auf der anderen Seite wieder eine einladende Treppe hoch. Hier sieht‘s schon ganz anders aus. Wie gut, dass die Tür da offen steht, da geht‘s hoch. Endlich den richtigen Weg gefunden. Sie scheinen uns noch nicht entdeckt zu haben. Leiter um Leiter erklimmen wir den höchsten Punkt. Mit jeder Leiter werde ich ruhiger, mit jeder Leiter bringen wir mehr Distanz zwischen sie und uns. Sie müssen ja den selben Weg nehmen wie wir. Manche Leitern hängen etwas schief weil das Schaufelrad grad recht weit oben am Hang die Kohle scheffelt. Ich achte bei jedem Schritt, bei jedem Griff an die eisernen Sprossen der Leitern darauf, mich richtig festzuhalten und nicht abzurutschen. Einen Unfall können wir bei einer solchen Aktion nicht gebrauchen. Fast oben nehmen wir noch einmal die falsche Abzweigung, finden dadurch jedoch den Not-Aus-Knopf. Wie es sich für solche Knöpfe gehört, ist er groß und rund und rot und es steht „Not-Aus“ darauf. Wir erspähen die letzte Leiter, die uns auf die oberste Plattform bringen soll. Oben, in ca. 46 Meter Höhe, ist es etwas rutschig und die Plattform steht schief. Doch nun haben wir es nicht mehr eilig und können uns Zeit lassen.

Wir sind noch immer unentdeckt. Kurz beraten wir das weitere Vorgehen. Zuerst einmal hissen wir das Transparent („There are no Jobs on a dead Planet“, zu deutsch: „Es gibt keine Arbeitsplätze auf einem totem Planeten“ mit einem Totenkopf in der Mitte, der einen orangenen Helm trägt, auf dem RWE steht) und machen Fotos davon, dann gehe ich noch mal die soeben erklommene Leiter runter und eine andere wieder hoch, da wo der Not-Aus-Knopf ist. Als er sich eindrückt genieße ich das Geräusch des sich langsam runterfahrenden Baggers während ich mich erneut an den Aufstieg mache. Das Geräusch ähnelt fast dem eines alten Windows Computers, der runtergefahren wird (bloß dass es mit kaum einer Minute schneller geht). Als ich wieder oben bin steht das Schaufelrad still, ebenso die darunter verlaufenden Förderbänder. Ich tippe eine SMS „Beide Verladebagger im Kohlebunker am Tagebau Hambach besetzt! Aktivisterix mit Fahrradschlössern fest“. Diese Nachricht wird in Kürze auch auf dem Blog stehen. Wir richten unser Lager her, wechseln noch mal die Position. Eine Rettungsdecke unter uns isoliert von unten oder verhindert wenigstens, dass wir im feuchten Kohlestaub sitzen müssen. Zwei weitere wickeln wir uns um die nassen Beine. Unten sind seit Kurzem mehrere weiße Jeeps der Securitys zu sehen, einer schaut zu uns herauf und wir winken ihm zu. Auf den Treppen unter uns sehen wir kleine Arbeiter_innen in orangenen Anzügen.


Obwohl sie schon wissen wo wir sind, dauert es fast 2 Stunden bis der Erste zu uns hoch kommt. Wir sind erleichtert, dass er ganz freundlich mit uns spricht, denn wir haben uns auf viel aggressiveren Kontakt eingestellt. Er erklärt uns, dass er in Kürze zwei seiner „Jungs“ hochschicken wird, die aufpassen sollen „dass uns nichts passiert“ oder auch in anderen Worten, dass wir hier oben nicht unbewacht sind. Uns soll das egal sein, wir sind eh schon fest mit U-förmigen Fahrradschlössern (Stärke 8 von 9, 19,95 das Stück) um unseren Hälsen. Wir sind munter und freuen uns, dass alles geklappt hat. Der andere Bagger steht zu weit von uns weg als dass wir die anderen beiden Besetzerix sehen könnten. Doch wir wissen, auch sie sitzen da oben und per Telefon haben wir uns bereits verständigt, auch bei ihnen ist soweit alles ok.

Wir haben einige Gespräche mit den Arbeitern, die uns nun nicht von der Seite weichen, manche sind mehr, andere weniger gesprächig. Wir erklären ihnen unsere Motivationen gegen den Braunkohleabbau Widerstand zu leisten und bieten ihnen Schokolade und Erdnüsse („pikant gewürzt“) an, die zwar nicht angenommen werden aber den meisten wenigstens ein vielleicht ungewolltes Lächeln entlockt. Manche geraten in Erklärungsnot oder brechen das Gespräch einfach ab wenn es ihnen zu unangenehm wird, andere halten sich wacker. Wir fragen sie wie es ihnen hier gefällt, ob sie gern hier arbeiten, was sie eigentlich mal werden wollten und solche Sachen. Einer erklärt mir, wäre ich seine Tochter und würde tun was ich grade tue (mich mit einem Fahrradschloss am höchsten Punkt eines Baggers festketten) würde ich eine Tracht Prügel bekommen. Ich bin verblüfft, das bin ich immer wenn ich Menschen begegne, die so sehr anders sind als ich und frage ihn noch mal ob er das wirklich machen würde. Er bestätigt mit Nachdruck was er gesagt hat. Wenige Stunden später schwächt er seine Aussage jedoch wieder ab, vielleicht ist ihm wieder in den Sinn gekommen, dass seine Bosse das nicht mehr so gern lesen wenn solche Gewaltfantasien Aktivisterix gegenüber an die Öffentlichkeit dringen. Da gabs ja schon mal zu viel Wirbel drum in der Presse.

Irgendwann, ich glaube zwischen vier und fünf Uhr ist Schichtwechsel. Auch die Arbeiter bei uns hier oben werden ausgewechselt. Es sind immer zwei bis drei hier oben. Einer von den dreien, der nun bei uns ist scheint mehr zu sagen zu haben als die anderen zwei und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, nicht nur hierarchisch. Wir diskutieren lange mit ihm wobei die Diskussionen mal interessant, freundlich und ansatzweise konstruktiv, mal aggressiver und abstoßend für mich sind. Er ist tatsächlich der Meinung, der Abbau habe keine negativen Nebenwirkungen wie Bergschäden, radioaktiv- und schwermetallbelasteter Feinstaub und die damit einhergehenden gesundheitlichen Folgen für manche Menschen in dieser Region, er ist auch der Ansicht dass sich die Menschen freuen neue Häuser zu bekommen und dass die Aufforstung auf der Sophienhöhe ein vielfältigeres und besseres Ökosystem als der Hambacher Forst darstelle. Mir wird fast schlecht weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass er das tatsächlich ernst meinst, sogar richtig überzeugt davon zu sein scheint. Es sind kurze Momente wie diese in denen mich ein Ohnmachtsgefühl überkommt weil mir bewusst wird: wir leben in unterschiedlichen Welten. Natürlich hat er eher mit Menschen zu tun, die den Abbau befürworten und ich natürlich eher mit solchen, die dagegen sind. Daraus bilden sich unsere Realitäten an die wir festhalten. Bloß fülle ich meine Realität und Lebenszeit damit, mich mit der menschen-gemachten Zerstörung dieses Planeten weltweit auseinander zu setzen und darüber nach zu denken, was es für Möglichkeiten gibt, darauf Einfluss zu nehmen, sie bestenfalls auch ergreife, während er meist acht Stunden am Tag (oder Nacht) vor allem mit der Arbeit beschäftigt ist und danach vermutlich und verständlicherweise sich gern mit anderen Dingen beschäftigt und „entspannt“. Sicherlich ist er auch nicht der Einzige, der von der Macht, dem Erfindungsreichtum, den menschlichen Möglichkeiten fasziniert und überzeugt ist und sich als Teil davon versteht. Ich kann es verstehen, auf eine etwas andere Art und Weise faszinieren mich diese gigantischen, von Menschenhand geschaffenen Bauwerke ebenfalls, das alles haben sich technisch-clevere Köpfe ausgedacht, genau wie die Maschinen die zum Bau benötigt werden. Ein so ausgeklügeltes System, eine strikte, vorausschauende Planung und Organisation. Bis dahin tatsächlich faszinierend. Doch das Ende der Geschichte ist doch simpler wenn auch ebenso faszinierend, in umgedrehter Weise. Ein bisschen Kohle aus der Erde zu holen und sie einmalig zu verbrennen in Kraftwerken, in welchen mehr als die Hälfte der möglichen Energie schließlich einfach durch die riesigen Schornsteine verpufft. In meiner Kosten-Nutzen-Rechnung ein ganz klar negatives Ergebnis. Das lohnt sich vorne und hinten nicht. Immer wieder werden alle Hürden bewältigt, wird mit allen Mitteln die Wirtschaft, ein Konzern oder ne Bank gerettet selbst wenn es Einschränkungen mit sich bringt, doch der gigantische Stromverbrauch wird nicht hinterfragt, nein, es sind die Erneuerbaren die angeblich nicht mithalten können und darum ist Braunkohle alternativlos. Es ist wichtiger, weiter Waffen zu produzieren und sie durch die ganze Welt zu schiffen, immerhin sind wir viertgrößter Waffenexporteur, wichtiger Teil der Wirtschaft, genauso wie wir auf gar keinen Fall auf die Weihnachts- und Schaufensterbeleuchtung im großen Stil verzichten können, wer will denn sonst noch was kaufen? Es liegt ja alles am Verbraucher, wir können da nichts machen. „Es ist nicht mein Kind welches da geschlagen wird, das geht mich nichts an, da kann man nichts machen…“

Der selbe Arbeiter, wir nennen ihn Uwe, erklärt mir auch, ich solle die Telefonate einstellen. Hä? Warum? „Das ist egal, lass es einfach“ Wow. Er hat es wieder geschafft, ich bin extrem verblüfft. Nach einigem hin- und herdiskutieren erklärt er endlich, warum. Angeblich seien „Falsch“informationen auf dem Blog gelandet, so dass es klang als seien wir durch den „Wärst-du-meine-Tochter-würde-ich-dir-ne-Tracht-Prügel-verpassen“-Spruch bedroht worden, was der Firmenleitung sicherlich gar nicht passte. Und weil wir unerlaubt uns auf ihrem Gelände aufhielten dürfe er mir auch das Telefon wegnehmen, zumindest seiner Meinung nach. So ein Quatsch! Nur blöd, dass ich mit einem Fahrradschloss um den Hals eingeschränkt bin zu verhindern, dass er mir das Ding tatsächlich wegnimmt, Recht hin oder her. Später nehme ich trotzdem Anrufe entgegen und schreibe SMS mit den anderen und er beschränkt sich jedes Mal darauf mir zu erklären, dass ich das jetzt doch lassen solle.

Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen, wir sehen allerdings nur ihre Schatten durch die Nebelige Luft und den mit rosa Wolken verhangenen Himmel. Über Tagebau und Kohlebunker hängen dichte Staubschwaden. Was für eine Versinnbildlichung! Richtung Norden erstreckt sich der Tagebau, den wir Nachts durch die vielen Lichter erahnen konnten. Die kargen Sträucher, das bisschen grünbraun vertrocknete Gras und die jungen Birken, die eher als Lückenfüller in graden Reihen angepflanzt wurden, unterstreichen die Tristesse der menschlich geschaffenen Wunde, die in diesem Teil der Erde klafft. Stahlriesen und platte Gummischlangen bewegen Massen an Erde, nehmen sich, was sie brauchen und zerstören, was ihnen im Weg ist, ohne etwas zurück zu geben, auch wenn sie da anderer Meinung sind.

Wir sind beide etwas müde, manchmal dösen wir für ein paar Minuten doch sobald der Kopf zu tief auf die Brust sinkt. wird man geweckt durch den leichten Druck auf die Kehle. Das ist auch ok, wir sind ja nicht zum schlafen hier. Unten herrscht seit Stunden geschäftiges Treiben, Autos & Trucks fahren hin und her. Bisher kaum Polizei, nur ein Streifenwagen seit sie uns entdeckt haben. Die werkseigene Feuerwehr sowie der hauseigene Rettungsdienst sind auch am Start. Zwei Sanitäter kommen oben bei uns an und müssen erst einmal verschnaufen ehe sie uns fragen, wie es uns geht. Sie sind freundlich, wir erklären ihnen, dass bei uns soweit alles cool ist (besonders die Füße, wenn mans genau nimmt), dann machen sie sich wieder an den Abstieg.

Irgendwann kommt auch die Hebebühne angefahren. Da wir am senkrecht stehenden Teil eines Geländers befestigt sind, können wir, etwas umständlich, auch aufstehen. Somit sehen wir bald viele orangene Warnwesten auf der Plattform des anderen Baggers. Unserer wird derweil in die Waagerechte gebracht. Das geht so langsam und sanft, dass man es kaum merkt. Während unten ein Polizeibus nach dem anderen in den Bunker gefahren kommt, erklärt uns der eine Arbeiter fast schmunzelnd, wir würden mehr Aufmerksamkeit und Menschen anziehen als ein Volksfest. Ich frage die Beiden, wie das eigentlich für sie persönlich ist, wenn solche Blockadeaktionen stattfinden. Sie antworten nicht direkt sondern mit einer Gegenfrage, was ich denn vermuten würde. Ich sage, dass ich mir nicht sicher bin, deshalb fragen würde weil ich mir vorstellen kann, dass es vielleicht doch auch mal ganz interessant sein könnte, wenn der Arbeitsalltag mal anders als erwartet abläuft. Schließlich erklären sie, es sei schon lästig aber nicht der Weltuntergang. Wir machen ihnen noch mal deutlich, dass sich solche Aktionen ja nicht gegen sie persönlich richten. Währenddessen werden unsere Gefährten vom anderen Bagger in Polizeibussen zur Wache gebracht.

Schließlich kommt die Hebebühne mit Klettercops hochgefahren. Es sind doch immer die selben Gesichter, zwei von ihnen kenne ich schon. Mit der Flex werden die Fahrradschlösser geöffnet und von unseren Hälsen gelöst. Während mein Ankettgefährte runtergebracht wird, unterhalten der eine Klettercop und ich uns kurz. Dann wird mir ein Sicherungsgurt umgeschnallt und ich in die Hebebühne verfrachtet. Ich seufze, denn jetzt nach 12 Stunden Festkettaktion beginnt erst der wirklich anstrengende Part: die Auseinandersetzung mit den Cops. Unten angekommen werde ich gefragt, ob ich freiwillig gehe oder sie mich mit Gewalt dazu zwingen müssten. Für mich gehört es zur Aktion dazu, auch hier nicht zu kooperieren um das Ganze so weit es geht in die Länge zu ziehen, schließlich ist es eine Blockadeaktion. Einer der Cops dreht mein Handgelenk so nach hinten, dass ich jedoch leider zum Laufen gezwungen werde um schlimmere Verletzungen zu vermeiden. Um mich herum sind gefühlt tausend Kameralinsen auf mich gerichtet, so dass ich mein Gesicht fast die ganze Zeit gesenkt halte. Ein Cop greift mir in die Haare um meinen Kopf nach oben zu ziehen, damit irgendwelche Menschen Fotos von meinem Gesicht machen können. Ich sehe nichts, denn ich kneife die Augen fest zusammen und strecke ihnen die Zunge raus. Dann geht es weiter Richtung Polizeifahrzeug. Ich werde oberflächlich und äußerst umständlich durchsucht während mein Arm noch immer nach hinten verdreht wird. Dann rasten die Handschellen ein und ich werde in das Auto verfrachtet. Solange wir von Arbeitern umringt sind, lege ich meinen Kopf auf die Knie. damit sie keine Fotos machen können, dann endlich kann ich mich, so gut es mit hinterm Rücken gefesselten Händen geht, aufrichten. Wir helfen uns gegenseitig, uns die Nasen an der Jacke des Anderen zu kratzen und uns die Haare mit Hilfe eben dieser aus dem Gesicht zu streichen. Die Polizistin, die uns gegenüber sitzt, kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ich frage sie, was das mit ihr macht, wenn sie das alles hier sieht. Sie antwortet, dass sie das alles auch nicht schön fände, doch geht nicht weiter auf die Diskussion ein als wir darüber reden, wie fatal es doch ist, dass eigentlich so Viele das nicht gut finden, genau wie die herrschenden Verhältnisse und trotzdem nur die Wenigsten dazu übergehen, aktiv zu versuchen sie zu ändern.

An der Polizeiwache in Düren angekommen, werden wir in die Zellen geschleift, dann kommt eine beleibtere Polizistin mit schwarzem Pottschnitt, die mich schon mal bei einer anderen Festnahme ausgezogen hat und ruft eine junge Frau, die schon in unserer Wanne (=Polizeibus) mitgefahren ist, dazu ihr zu helfen. Endlich werden die Handschellen von meinen Gelenken gelöst, später hab ich an den Stellen leichte blaue Flecke. Die jüngere Polizistin ist offenbar noch in der Ausbildung und heute bin ich ihr Übungsobjekt. Ich lobe sie immer wieder, dass sie das besser machen würde als die Schwarzhaarige, denn die ist viel ruppiger und macht es sich bei vielen Kleidungsstücken komplizierter als die Jüngere. Ich meine, einen positiv überraschten Ausdruck auf ihrem Gesicht wahrzunehmen, bis ihr wahrscheinlich wieder einfällt, was von ihr verlangt wird. Die Schwarzhaarige erklärt ihr während der Prozedur, was sie zu tun hat. „Alles, womit sie sich strangulieren könnte, muss weg.“ Ich bekomme meinen Pulli und meine Thermounterhose und ein par Socken wieder und als ich sie angezogen habe, kommt ein Polizist in kariertem Hemd zu mir, um mich darüber aufzuklären, dass sie mich nun erkennungsdienstlich behandeln wollen. Ich sage, dass ich damit nicht einverstanden bin. Das hält sie leider nicht davon ab, mir eine Nummer vor die Brust zu halten und meinen Kopf wieder an den Haaren hochzuziehen, damit die Kamera mein verzerrtes Gesicht fotografieren kann, um mir dann wieder den Arm auf dem Rücken zu verdrehen weil ich natürlich nicht laufen will, um mich in den Raum zu bringen, in dem sie versuchen wollen, meine Fingerabdrücke zu nehmen und Fotos von mir zu machen.

Wegen dem auf den Rücken verdrehten Arm bin ich vornüber gebeugt, so dass ich nur jede Menge Beine und beschuhte Füße neben meinen besockten sehe. Zuerst werde ich ans Waschbecken gezerrt; meine Hände sind ganz schwarz verkrustet von der Kohle. Ein Polizist versucht sie mir zu waschen, während ich immer noch vorn über gebeugt nur einen Haufen halber Menschen um mich herum wahrnehmen kann, die sich um uns drängen, denn mehr als die Hosenbünde gelangt nicht in mein Blickfeld. Einer beschwert sich bei mir, dass es immer die Frauen seien bei uns, die Ärger machen. Das hab ich ja schon mal gehört, allerdings ist das schon ein Jahr her. Dann werde ich wieder weiter geschoben, ich soll auf den Boden gelegt werden um mir die Fingerabdrücke abzunehmen. Das elektrische Ding steht schon da unten bereit. Mehrere Cops machen es sich mehr oder weniger auf mir bequem. Der, der mir die Abdrücke abzunehmen versucht, stemmt sein Knie in meinen Oberarm. Das gibt blaue Flecken. Ich bin nicht ganz da in solchen Situationen, nehme alles nur schemenhaft wahr weil ich häufig die Augen geschlossen habe und Haare im Gesicht und weil ich mich mehr mit den Schmerzen beschäftigen muss, wenn auch nicht alle immer die Schmerzgriffe so hinbekommen, wie sie sich gehören. Ich schaffe es immer wieder, den Fingerabdruck zu verwischen aber meine Fingerspitzen sind eh so dreckig und zerschnitten, dass sie sicher nichts mit den Abdrücken anfangen können. Der eine Cop schimpft „Du blödes Mädchen!“ und ich ringe mir ein „Ach, wie niedlich.“ ab. Nach dieser Prozedur werde ich auf einen Drehstuhl gesetzt, ich nutze die Gelegenheit, mich zur Wand zu drehen, da ich grad nicht mehr festgehalten werde. Ich bereite mich auf die zweite Runde vor, während ich mir die schmerzenden Handgelenke reibe. Ich begutachte meine Hände und bin zufrieden: Das waschen hat kaum was genützt, noch immer sind sie bräunlich schwarz verkrustet, die Fingerspitzen am meisten. Ein Cop lehnt sich an die Wand, so dass er mich angucken kann und will mir grinsend erklären, dass ich mir die Schmerzen ja sparen könne wenn ich mitmachen würde. Ich antworte ihm bloß, dass das dazu gehört, denn ich hab grad nicht genug Energie ihm zu erklären, dass es mir nicht möglich ist mit einem System zu kooperieren, welches meine und die Lebensgrundlagen alles Lebewesen dieses Planeten zerstört und mir in dieser direkten Form Gewalt antut, nur weil ich nicht einverstanden bin. Sowieso, wie könnte ich mit etwas kooperieren, womit ich nicht einverstanden bin, zum Beispiel, dass sie mich einfach meiner Freiheit berauben und so mit mir umgehen, nur weil geschriebene Worte es ihnen erlauben! So etwas kann ich nicht verstehen. Ich kann also nur zwischen körperlicher und psychischer Gewalt wählen und ich entscheide mich lieber für die körperliche, hoffentlich kurzfristigere, als für die psychische, wahrscheinlich langfristige. Würde ich kooperieren, würde ich mich unterwerfen und müsste das Gefühl ertragen, frühzeitig aufgegeben zu haben. Das kann langfristige Traumata nach sich ziehen, deren Risiko sich etwas verringert, wenn man wenigstens ein bisschen kämpft.

Dennoch fühle ich mich wie eine Puppe, als sie mir heute zum dritten Mal in die Haare greifen um mein Gesicht in eine Kameralinse zu drücken. Wieder Grimassen, zusammengekniffene Augen, wieder höhnische Sprüche „Oh, das ist ja kaum auszuhalten“, (an den Kameramann gerichtet) „Ach, du holst überall was raus“ etc., dazu Gelächter, das an mir abperlt, schließlich ist das hier kein Spaß und ich habe gute Gründe, Grimassen zu ziehen. Als nächstes fotografieren sie Tattoos, auf meinem Rücken steht groß geschrieben „Niemand muss Bulle sein“, was sie auch abfotogafieren und schleifen mich dann zu einem anderen Stuhl. Normalerweise ist die Prozedur nach den Fotos erledigt, aber die Fingerabdrücke waren scheinbar so schlecht, dass sie es noch mal mit nem anderen Gerät versuchen wollen. Also gibts heute nach der 3. Runde, dem Abfotografieren der Tattoos sogar noch ne 4. .

Als ich vornüber gebeugt auf den Boden blicke, zähle ich die Fußpaare um mich herum. Sechs. Ein siebtes betritt gerade den Raum. Meine Finger der einen Hand werden so aufgedreht, dass es ziemlich weh tut. Erst wenige Wochen zuvor wurden einem Freund von mir bei einer ED-Misshandlung ein Finger gebrochen und zwei weitere geprellt. Ich hoffe, dass mir heute nicht dasselbe widerfährt. Während ich überall niedergedrückt werde und Schmerzen spüre und sich fachmännisch über Schmerzgriffe ausgetauscht und gelacht wird, wallt in mir eine Wut auf, die mir das Gefühl gibt, stark genug zu sein um sie für einen Moment abzuschütteln. Aber leider eben nur für einen Moment um im nächsten dann noch mehr Schmerzen zu spüren. Im nächsten Augeblick kullern mir einige Tränen über die Wange, doch ich zwinge mich, das nicht zuzulassen. Nicht hier, nicht jetzt. Stattdessen reiße ich mich zusammen und lobe den einen Cop, der da in meinem Rücken einen Schmerzpunkt sucht für die Massage. Einer will grad meinen Kopf zwischen seinen Beinen einklemmen, doch ich schaffe es durch eine ruckartige Bewegung nach hinten das zu verhindern, ansonsten hätte ich wahrscheinlich die Kontrolle verloren und ihm blaue Eier verpasst. Und mir? U-Haft? Er hat wohl auch kapiert, dass das keine gute Idee ist und versucht es nicht noch mal.
Ich werde noch zwei oder drei Mal hin und her gedreht, an beiden Händen versuchen sie sich zwei Mal. Sie nehmen auch Abdrücke von der ganzen Hand. Dann endlich lassen alle bis auf zwei von mir ab und schleifen mich wieder Richtung Zelle. Auf dem Weg kommen wir an der Toilette vorbei und mir wird gesagt, wenn ich die benutzen wolle, müsse ich mich schon selbst bewegen. Natürlich tu ich das, was denkt ihr denn, ihr Deppen? Ich kooperiere bloß nicht mit dem, was ich nicht will (in eine Zelle eingesperrt werden zum Beispiel). Die Tür schließt sich hinter mir. Ich versuche, etwas klarer zu werden. Ich hocke mich über die Kloschüssel und wasche mir dann die Hände und das Gesicht. Dann geht die Tür wieder auf. Ich setzte mich wieder auf den Boden mit den Worten „Und weiter im Text!“ und lasse mich in die Zelle schleifen. Ich wickle mich in die Decke und versuche, meine schmerzenden Gliedmaßen zu entspannen, endlich mal warm zu werden und zu schlafen. Hier in der Zelle hab ich nur mich selbst und die Entspannung ist eine Art, mich selbst meine eigene Solidarität spüren zu lassen. Danke, dass du durchgehalten hast, Körper. Ich bin stolz auf dich. Ich liege noch ne Weile wach, dann sinke ich in diesen Zellenhalbschlaf, mit einem Ohr immer noch alles wahrnehmend und sofort handlungsbereit wenn was passiert. Ich hab keine Ahnung wie lange und ob ich schlafe, da geht die Tür auf und ein Cop schlägt mir einen Deal vor: „Du ziehst dich jetzt selber an und dann kannste gehen, ich hab grad jede Menge Leute mit Anzeigen zu bearbeiten“. Na, das ist doch mal n konstruktiver Vorschlag, auch wenn ich eigentlich nicht dazu beitragen möchte, dass dieses System funktioniert. Dennoch schnappe ich mir nun meine Sachen, dann geht die Tür hinter mir wieder zu und ich mache mich daran, mich anzuziehen. Ich lasse mir Zeit. Zischendurch kommt einer und fragt ob ich schon fertig sei, was ich verneine. Als ich dann schließlich fertig bin, drücke ich die Klingel und kurz darauf klackern die Schlüssel im Schloss. Einer der Cops, der mich vorhin ED-misshandelt hat, begleitet mich zur Tür. Ich gehe, ignoriere sein gemurmeltes „Schönen Tag noch“, würdige ihn keines Wortes oder Blickes, bloß raus aus diesem schlimmen Gebäude.

Draußen warten schon mein Besetzungsgefährte und zwei andere tolle Menschen. Wir umarmen uns lange und es ist das schönste Gefühl an diesem Tage, einfach nur festgehalten zu werden von Menschen, die auch nur ansatzweise fühlen, was ich fühle. Ich fühle mich sicher und geborgen in diesen Armen und kann endlich die Tränen loswerden, die ich vorher noch zurückgehalten habe. Weg damit. Endlich kommen auch die letzten zwei von der anderen Baggerbesetzung raus und wir verschmelzen zu einem einzigen Ball aus Liebe und Solidarität. „Ich bin froh, dass es euch gibt“, flüstere ich in den Ball und drücke allen einen Kuss ins Gesicht. Erst eine ältere Frau, vor deren Wagentür wir stehen, reißt uns aus der zeitlosen Umarmung. Wir trotten zum Auto und fahren weg. „Bloß weg von hier. Endlich wieder unter schönen Menschen sein…“

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Skinny

    Sehr toller eintrag! 🙂
    hat mir an manchen stellen echt tränen des stolzes, der Wut, der trauer und der freude in die augen getrieben…

  2. Kater

    Worte die das Herz bluten lassen und trotzdem ein lächeln auf den Mund zaubern.

  3. Marcel

    Einfach nur beeindruckend. So viel Standhaftigkeit gegen ein übermächtiges System. Ich bin beschämt.

  4. Der kleine Schwan

    Wirklich ein unglaublich guter, bewegender Bericht! Danke dafür.

  5. MajaAlltag

    Danke für diesen Bericht.
    Mir gefällt, wie du die Gespräche mit den Mitarbeitern wiedergibst, auch deine Art sie anzusprechen (um zu verdeutlichen, dass solche Aktionen sich nicht gegen sie persönlich richtigen).
    Wenn gegen ein menschenverachtendes System vielleicht nur Menschlichkeit wirkt, wie geht man mit Polizisten um?
    Vielleicht bin ich naiv, weil ich noch nie Polizeigewalt erlebt hab und heute zum ersten mal von ED-misshandlungen gelesen habe.
    Vielleicht bin ich auch zu feige, dem gegenüber zutreten.
    Danke auf jeden Fall für deine Aktion.

  6. Noa

    Von Herzen Danke, für eure Aktion
    für euren Willen und euren Mut.
    Dein Text ist sehr bewegend und ehrlich geschrieben.

  7. Anuk

    arbeit is scheiße rwe und pozilei sint beweis dafür weil beides arbeitsplätze sint

  8. uwe

    „Er ist tatsächlich der Meinung, der Abbau habe keine negativen Nebenwirkungen … und dass die Aufforstung auf der Sophienhöhe ein vielfältigeres und besseres Ökosystem als der Hambacher Forst darstelle. Mir wird fast schlecht weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass er das tatsächlich ernst meinst, sogar richtig überzeugt davon zu sein scheint.“

    Es ist vermutlich wirklich so, dass er davon überzeugt ist. Manchmal glaube ich wirklich, diese Welt ist nur ein absurder Albtraum. Einerseits befremdet mich das zerstörerische Konsumverhalten und Gewinndenken dieser Gesellschaft, die absurden Rechtfertigungen dafür, sowie die subtilen und offenen Zwänge sich darin einzufügen. Andererseits bin ich frustriert über das Gefühl meiner eigenen Ohnmacht dagegen etwas Angemessenes tun zu können.
    Eine Möglichkeit der Erklärung, ohne sich auf das Glatteis der Frage nach „Realitäten“ begeben zu müssen, ist das Modell der „kognitiven Dissonanz“, das den Widerspruch erklärt, warum Menschen offensichtliche Umstände nicht nur komplett ignorieren, sondern für sich in ihr Gegenteil verklären können.

    Vielen, vielen Dank für Eure tollen Aktionen. Bewundernswert auch Eure Fähigkeit, trotz der Konfliktsituation mit den Arbeiter*innen dort noch zu kommunizieren.

    „wenn du die Sonne im Westen aufgehen siehst, prüfe deinen Kompass!“

  9. Elmo Elbrecht

    Gute Aktion und sehr schön geschrieben. Solche Details wie die Geschmacksrichtung der Erdnüsse, die ihr dabei hattet machen den Text lebending und Erlebbar. Da können sogar meine Geschmacksnerven was mit anfangen – und die bekommen appetit auf mehr! 🙂

    Hat jemand gefilmt? Es ist ja immer wieder schade, dass sich die Gewalt in der Polizeiwache so schweer filmen lässt, ist sie doch ein nicht unrelevanter Teil des Zeitgeschehens. Aber man kann drüber schreiben. Spätestens die Massen an von einander unabhängigen Berichten erzeugen ebenfalls ein realistisches Bild über die „Arbeit“ der Polizei die von Genüsslicher immer wieder kehrenden Mustern der Gewalt gegen Aktivisten ihr ganz eigenes Bild zeichnet.

    All Cops are Bull-shit.

  10. Geschockt

    Das ist erschreckend. So etwas hat es früher in der DDR gegen Regimekritiker gegeben. Das ist Folter und meinen Erachtens unrechtmäßig. Es kann doch Nicht durch das Gesetz erlaubt sein. Solches Verhalten habe ich bis jetzt mit dem Verhalten der Gestapo in Zusammen gebracht. Das ist eine Schande für Deutschland. Es wird Zeit die Bevölkerung gegen solches Verhalten aufzurütteln damit solche Verhaltensweisen nicht mehr möglich sind. Die Verantwortlichen sollten vor Gericht kommen. Die Aktivisten sollten das Bundesverdienstkreuz bekommen für diesen Einsatz. Es wird Zeit das die Regierung abgelöst wird

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