Die letzten Nachrichten aus Neuland

Eine Woche ist die Räumung der Besetzung Neuland nun her. Für alle, die nicht wissen, was, warum und wie, hier eine kurze Zusammenfassung: Anfang November, kurz nach der gewaltsamen und ereignisreichen Räumung der Besetzung Grubenblick (*1.10.14 – +30.10.14) wurde auf einer etwa 250 Jahre alten amerikanischen Eiche direkt an der Rodungskante im Hambacher Forst eine Plattform errichtet, genannt „Neuland“. Wärend ihrer Existenzzeit war sie immer besetzt, obwohl die vier von RWE angeheuerten Securityfirmen ihre Wegkontrollen mächtig intensiviert hatten. Auf diesem Wege versuchten sie uns die Aufrechterhaltung der Besetzung derart zu erschweren, dass wir aufgäben. Als dies nichts half und sie feststellen mussten, dass wir es immer wieder schafften, die Person auf der Plattform auszuwechseln, stellten sie am 25.11.14 rund um den besetzten Baum in einem Radius von 40 bis zu 100 Metern einen Bauzaun und vier Generatoren auf, um den eingezäunten Bereich bei Dunkelheit taghell zu erleuchten. Außerdem platzierten sie eine Kiste mit Obst unter dem Baum, scheinbar ein Versuch, die Person auf der Plattform runter zu locken und rechtliche Schwierigkeiten zu umgehen. Höchstwahrscheinlich wollte RWE auf diese Weise eine kostspielige Räumung durch die Polizei umgehen. Am Freitag, dem 28.11.14, fand eine gut besuchte Mahnwache in der Nähe von Buir statt, welche auf die mehr als fragwürdigen Methoden einer privaten Securityfirma aumerksam machen wollte. Schließlich zog die Mahnwache friedlich zum Bauzaun bei „Neuland“, fand ihren Weg ins innere des eingezäunten Areals und es gelang, dass eine Person hoch und der vorherige Besetzer runter klettern konnten. Die wenigen Securitys hatten nicht damit gerechnet und waren mit den etwa 30 friedlichen und unterschiedlichen Spektren zuordbaren Menschen überfordert. Ein Security schlug mehrmals mit einer Taschenlampe auf einen der Aktiven ein, welcher eine blutende Kopfverletzung davontrug. Die später eintreffende Polizei nahm etwa 20 Personen fest, ließ aber alle nach einigen Stunden wieder frei, die meisten verweigerten die Personalienabgabe und nachdem die ersten sich ihre Fingerabrdücke nicht ohne weiteres abnehmen ließen, wurde es bei den später festgenommenen gar nicht erst versucht. Somit blieben ein Großteil anonym. Sieben Nächte und sechs Tage verbrachte dann eine Aktivistin auf der alten Eiche, welche schon längst hätte gefällt sein sollen. Am 04.12.14 wurde die Besetzung dann durch die Polizei geräumt.
Die Besetzerin von Neuland berichtete von ihrer Zeit dort oben, bis am 3. Tag der Handyakku aufgab. Hier erscheinen nun die noch fehlenden Teile bis zur Räumung…

Hier die bisherigen Berichte (in leicht veränderter Anordnung):
Neuland – Ablösung, Eskalation, Chaos
Nachricht aus Neuland #1
Nachricht aus Neuland #2
Nachricht aus Neuland #3
Nachricht aus Neuland #4
Nachricht aus Neuland #5
Nachricht aus Neuland #6
Nachricht aus Neuland #9
Räumung von Neuland

Nachricht aus Neuland #7
Dienstag, 2.12.14

Weder Freund noch Feind

Wie nun jeden Morgen wird die Karre, die sich am Abend zuvor festgefahren hat, mit vereinten Kräften und mit Hilfe eines weiteren weißen Jeeps aus dem Schlamm gezogen. Die Kennzeichen sind ausnahmslos nicht im Ansatz überhaupt zu erkennen, weil sie alle mit einer dicken Schlamm- und Staubschicht bedeckt sind. Grade sind nur 12 Securitys anwesend und zwei neue Hunde; ein Schäferhundmischling (vermute ich) und ein Schafs-Teddybär-Mischling. Ersterer ist aufgeweckt, verspielt und reagiert allein auf ein Kopfnicken seiner Bezugsperson. Zweiter ist super gemächlich und wirkt verschlafen. Ein Neon schaut sich um und ruft dann grade mal so laut, dass ich es verstehen kann: „Ey Neuland, lebst du noch?“ Ich grinse ihn an, strecke beide Daumen nach oben und winke. Er lächelt mir zu und später werde ich erfahren, das ist „Mr. M“, der viele solidarische Kommentare unter den Neuland-Nachrichten hinterlässt.

Aus den Feuertonnen qualmt es ordentlich, so dass der vertraute Geruch von Lagerfeuer hin und wieder zu mir aufsteigt. Es war eine sehr feuchte Nacht. An der glatten Rinde einiger junger Rotbuchen hat sie sich unregelmäßig abgesetzt.
Von der Plane über mir tropft manchmal Wasser hinab in den Abgrund.
Nachdem zwei Securitys und ich uns gestern Abend noch ein paar Mal zugeblinkt haben, ich mit meiner Kopflampe und sie mit einer Taschenlampe und Autoscheinwerfern, bin ich mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen. Es scheint verquer, aber ich fühle mich wohl hier. Ich bin immer aufmerksam, weil ich natürlich nicht weiß, was sie als nächstes tun werden, um mich dazu zu bringen, aufzugeben, aber bisher trägt jeder vergebliche Versuch eher zum Gegenteil bei. Diese Aktion macht so unglaublich viel Sinn und ist bereits jetzt schon so erfolgreich, dass dieses erfüllende Gefühl in mir jeglichen fehlenden Komfort, wie zum Beispiel uneingeschränkte Bewegungsfreiheit, vollständig Wetter geschützter Raum, warmes Essen und so weiter, aufwiegt und ich eine tiefe Zufriedenheit fühle hier zu sein, den meistens Teil des Tages dick eingepackt in zwei Schlafsäcke, steife Arme und Beine, kaltes Essen, ein Eimer für Geschäfte und eine Horde Überwacher_innen, von denen manche mir nichts Gutes wollen. Wenn ich mir vorstelle, dass die alle wegen einer einzigen Person auf einem Baum sich die Zeit und Nacht um die Ohren schlagen, wo ich doch eh nicht von allein runter komme wie ich weiß, kann ich nur bedauernd lächeln und den Kopf schütteln. Andererseits, wer weiß, vielleicht hat die gemeinsame Zeit um die Feuertonnen einen sozialen Wert, der verloren wäre, wenn sie alle vereinzelt wie sonst in ihren Karren sitzen und sich vor allem mit ihren Smartphones die Zeit vertreiben würden. Außerdem ist der hypnotisierenden Effekt von züngelnden Flammen und heißer Glut nicht zu unterschätzen…

Meine zwei „Kumpanen“ von gestern sind wieder – oder immer noch? – da. Isco leider nicht. Ein jüngerer Neon erklärt mir, Isco sei auf nem Einsatz, ich würde ihn aber wieder sehen, wenn ich runter käme. Ich lache und sage: „Netter Versuch. Grüß ihn von mir wenn du ihn siehst.“

Ich räume auf und sortiere alles auf der Plattform. Ich will mich bereits vorbereiten auf die nächste Auswechslungsaktion. Das bleibt hier – das kommt mit – daran muss ich denken und an das die anderen. Am Telefon gebe ich meine Überlegungen zur nächsten Tausch- Aktion an die anderen weiter. Nach dem Telefonat muss ich mit Entsetzten feststellen, dass ich nur noch einen Balken von fünf in der Akkuanzeige habe. Shit. Keine Telefonate mehr, wenn nicht unbedingt nötig, also auch keine Nachrichten von Neuland für den Blog. Schade aber ich muss wenigstens bis Freitag noch ein bisschen einsparen…

Den Rest des Tages mache ich wenig, hänge sozusagen in den Seilen und meinen Gedanken nach.
Irgendwann kann ich nicht widerstehen dass Handy kurz anzumachen, denn was ist, wenn sie da ein paar ganz wichtige Fragen oder Infos haben? Nur ganz kurz, um zu kucken, ob es Nachrichten gibt. Als das Ding zur Begrüßung in meiner Hand vibriert, erschrecke ich, als ich lese: Akku fast leer. F**k. Was?! Warum geht das denn jetzt plötzlich so schnell?! Irgendwie habe ich vor nix mehr Angst hier oben, als dass der Akku zu Ende geht. Ich versuche logisch darüber nachzudenken, was es bedeuten wird, wenn das Handy nicht mehr zur Verfügung steht. Eigentlich bedeutet es „nur“, dass ich einfach für einen gewissen Zeitraum keinen Support von außen direkt wahrnehmen kann und in Situationen, in denen etwas wirklich Relevantes für alle passiert, nicht Bescheid geben kann. Die Solidarität der Leute mitzubekommen und die Stimmen geliebter Menschen zu hören (und auch ein bisschen das Durchgeben der Nachrichten) sind Balsam für meine Seele und machen mich körperlich und mental warm. Mir graut davor, wenn das nicht mehr möglich ist. Dann bin ich ganz allein.

Es gibt mehrere Nachrichten und besonders zwei von ihnen lassen mein Herz und meine Stimmung Purzelbäume schlagen. Die eine Nachricht berichtet mir von einem Kommentar unter den letzten Nachrichten aus Neuland von einem Mr.M, der heut morgen zu mir hoch gerufen hätte und sich absolut solidarisch erklärte. Aus der anderen SMS erfahre ich, dass in diesen Tagen jemand seinen Job gekündigt hat, weil diese Person das so nicht mehr kann und will, trotz des Geldes. (Ich würde gerne ins Detail gehen aber aus Sicherheitsgründen lasse ich das besser.)

Ich mache dass Scheißteil wieder aus und springe aus den Schläfsäcken. Ich muss mich bewegen, sonst platze ich vor Freude! Ich muss nicht weiter überlegen oder entscheiden, was ich tue, denn klettern und bauen sind die einzigen Bewegungsmöglichkeiten. Ich bringe dass Kletterseil an und lasse es zur Hälfte runter. Es muss etwa 16:30 sein, denn gerade werden die Generatoren angemacht. Die ersten Neons versammeln sich bereits unter mir und während ich mich erst langsam, dann schneller abseile, kommen immer mehr hinzu. Nun hänge ich genau zwischen Plattform und Erdboden in meiner Sicherung. Ich drehe mich kopfüber und begrüße die staunend-glotzenden Gesichter der Neons unter mir.
Einer fragt, ob er mich filmen darf. Ich finde es anständig von ihm zu fragen und da ich eh schon mindestens fünf Smartphone-Linsen auf mich gerichtet seh, erlaube ich es ihm. „Wow, jetzt kann ich euch alle ja mal wirklich sehen!“, grinse ich, während ich mir die Augen abschirme, um gegen das Licht der Generatoren in einige Augenpaare zu blicken. Manche Mundwinkel ziehen sich mehr oder weniger auffällig Richtung Ohren links und rechts und in den Augen leuchtet ein Grinsen, in anderen Gesichtern entdecke ich zusammengezogene Augenbrauen oder zusammengekniffene Lippen und es gibt auch welche, die sich wenig beeindruckt zeigen und bloß darauf warten, ob nun was passiert oder nicht. Jemand fragt: „Ist das ein Ablenkungsmanöver?“ und ich antworte: „Du wirst es ja sehen! Hängt ja letztlich von euch ab, ob ihr euch ablenken lasst“ und zwinkere zu ihm runter. „Aber ihr kennt mich ja jetzt schon ein bisschen, wie ich sehe, diesmal seid ihr nicht so viele.“
Ich drehe mich noch ein bisschen im Kreis und auf den Kopf, strecke und dehne mich, soweit mein Gurt es zulässt, dann erkläre ich, dass ich mich mal wieder auf nach oben mache. Auf dem Weg muss ich an einem toten Ast vorbei klettern und befürchte, ihn runter zu reißen. Besser ich breche ihn gezielt ab. Ich setzte den Fuß an, doch zwei Neons stehen direkt darunter und ich erkläre ihnen, sie sollten besser etwas zur Seite gehen, weil ich den Ast abbrechen wolle, da es sonst versehentlich passieren könne. Sie starren einfach weiter zu mir auf und scheinen zu ignorieren, was ich eben gesagt habe. „ Hey Leute, es bringt uns allen nicht viel, wenn du oder du nen Ast aufm Kopf kriegst. Also geht besser zwei, drei Meter zur Seite.“ Der eine von ihnen, es ist das Solarium, bewegt sich etwas unsicher einen Meter zur Seite doch der andere bleibt einfach stehen. Ach man, Junge. „Siehst du wie der ganze Ausläufer hier wackelt, wenn ich mit dem Fuß dagegen drücke? Ich will den Ast abbrechen und er wird in etwa da aufschlagen, wo du jetzt stehst. Ich meins schon ernst, geh einfach ein paar Meter zur Seite.“ Das Solarium hat sich mittlerweile noch weiter von dem anderen entfernt und steht nicht mehr im Gefahrenbereich. Ich fordere ihn noch ein letztes Mal auf, weg zu gehen und als er sich noch immer nicht regt, drücke ich mit dem Fuß den Ast. Es knackt, aber er bricht noch nicht. Ich warte noch einen Moment, rufe dann „Achtung, Ast fällt“ und gebe einen weiteren Stoß. Langsam bricht er und dann wirbelt er durch die Luft auf den Boden zu. Der Neon beachtet den Ast, weicht aus und der Ast landet fast da, wo er gestanden hat.

Oben wieder angekommen mache ich mich dann daran, mein Dach umzubauen. Als ich gerade mit einem Knoten kämpfe, um ihn aufzubekommen, sehe ich auf einmal kleine, weiße Puschel vor dem Licht meiner Kopflampe schweben. Überrascht und ungläubig schaue ich in den Himmel. „Hey Leute, es schneit!“ rufe ich entzückt. „Ich hab mich schon gefragt ob ich wohl hier oben den ersten Schnee erleben werde. Wie gut, dass ich grad mein Dach neu mache!“ Ich freue mich, wie wahrscheinlich viele Kinder in diesem Moment, die nun vielleicht wie ich mit einem Lächeln auf den Lippen in den Himmel blicken.
Ich wirble auf der Plattform hin und her wie die Schneeflocken durch die Luft, mal ziehe ich hier stramm, mal löse ich da einen Knoten. Auf einmal spüre ich einen Zug am Kopf, weil meine Kopflampe an einem gespannten Seil hängen bleibt und dann sehe ich gerade noch, wie sie vom Rand der Plattform fällt. „Oh Nein!“ Mist! „Kann sie wenigstens jemand ausmachen?“ rufe ich runter und einer der Securitys, mit dem ich in den letzten Tagen häufig gewitzelt habe geht zu der Kopflampe. Ich schöpfe etwas Hoffnung und lasse ein Seil direkt daneben langsam runter. Ich lasse es da hängen und entziehe mich ihres Blickfeldes, vielleicht hängt er sie ja in einem unauffälligem Moment wieder ans Seil. Als ich wenige Minuten später wieder hinblicke, bin ich verwirrt. Dass Seil hängt nicht mehr grade runter sondern schräg. Hä?! Als ich das Ende des Seiles suche, entdecke ich es angebunden an die Hebebühne. Oh man. Na toll. Er hat mein Seil festgebunden. Wenn das Seil nicht frei hängt, sondern gespannt ist, ist es nicht möglich sich mit der einfachen Abseilmethode die ich kenne, zu Boden zu lassen. „Yo, jetzt könnt ihr euch endgültig jede Hoffnung sparen, dass ich von allein runter komme!“ rufe ich runter.
Die Hebebühne wird angemacht.
Was haben sie jetzt vor?
Eine winzige Hoffnung schimmert irgendwo in meinem Hinterkopf, dass er mir die Kopflampe doch wieder gibt. Zwei fahren langsam hoch. Ich gehe ans andere Ende der Plattform, wo sie mich nicht erreichen, ich sie aber sehen kann. Ich hocke mich hin, jederzeit reaktionsbereit, wie ein wildes Tier und schaue sie einfach nur ernst an. Einer fragt, ob alles klar sei bei mir. Ich antworte nicht auf diese doofe Frage, sondern schaue sie einfach nur weiter an. Wenn sie mir die Lampe geben wollen würden, können sie das einfach tun aber ich werde nicht darum betteln.
Auf dem Weg nach unten höre ich den einen sagen: „Schneid das Seil ab.“ und als sie wieder unten sind, ist mein Seil nur noch halb so lang. Ich ärgere mich ein bisschen über meine irgendwie naive Herangehensweise. Sie sind weder Freund noch Feind. Aber sie sind halt auch weder Feind noch Freund. Egal, nun ist das so, und da ich eh nicht vor hatte, runter zu kommen, auch nicht so schlimm. Wenn die anderen kommen, kann ich einige Seilreste aneinanderknoten und zumindest die neue Versorgung hochziehen, dann bleib ich halt noch ein bisschen länger oben. Und eigentlich will ich das auch.

Zum Glück war ich schon so gut wie fertig mit den Umbauarbeiten. Ich kann mich nun ganz gut ihrer Überwachung entziehen, denn zwei von vier Seiten kann ich nun ganz einfach mit der Plane abhängen. Da ich ohne Licht nicht mehr so viel machen kann und eh noch frustriert und langsam müde bin, putze ich mir die Zähne und lege mich hin.
Ich denke noch lange über diese Menschen nach, die da unten in gelben Warnwesten teilweise Befehlen und Anweisungen folgen. Heute habe ich zwei Gegensätze kennengelernt und wieder die Erfahrung gemacht: Lass dich nicht von deinen eigenen Vorurteilen täuschen. Es sind einfache Leute, für viele von ihnen ist es einfach nur ein Job, ohne dass sie weiter darüber nachdenken würden. Sie bekommen nicht besonders viel, viele arbeiten schwarz, weil sie irgendwie über die Runden kommen müssen. Viele sind nach Deutschland gekommen, weil sie in dem anderen Land schlechten Lebensbedingungen unterworfen waren. Das rechtfertigt alles nicht, dass sie sich an der Zerstörung des Planeten beteiligen, doch primär sind nicht sie das Problem, sondern das System an sich, welches sie dazu bringt, so weit zu gehen. Sie sind Sklaven des Systems, möglicherweise ohne es zu merken.
Ich finde eine Möglichkeit, wie ich mit dieser Enttäuschung und diesem Reinfall von heute schlafen kann: Ich werde mir erlauben, mich morgen zurückzuziehen, um zu schreiben, einen Text an die Neons, und eine Art Sprechrohr zu basteln und es am Donnerstag rausschreien. Ich erhoffe mir nichts von dieser Aktion, stelle keine Erwartungen, die enttäuscht werden könnten, ich will den heutigen Tag bloß nicht unkommentiert vorüberziehen lassen.

Nachricht aus Neuland #8
Mittwoch, 3.12.14

Schnee

Ich träume wild in dieser Nacht. Mehrmals träume ich davon, wie „meine“ Leute auf verschiedenartig spektakuläre Art und Weise Sachen zu mir hochschicken. Leider waren es solche Realitätsträume, in denen du voll drin bist und dann wachst du auf und versuchst den Traum zu rekonstruieren und je mehr du dich anstrengst, desto mehr entgleitet dir die Erinnerung. Als ich dann irgendwann nicht mehr leugnen kann, dass ich nun endgültig wach bin und mir die Mütze von den Augen ziehe, stelle ich überrascht fest, dass es schon hell ist. Ich habe scheinbar doch recht lang und verhältnismäßig durchgehend geschlafen. Ich ziehe mir beide Kaputzen der Schlafsäcke über den Kopf, lehne mich an einen der tragenden Äste der Eiche, esse Müsli und stricke danach einige Runden. Es ist so kalt wie noch nie, seit ich hier oben bin, aber es geht. Nach jeder zweiten Runde muss ich zwar Pause machen, um meine Hände unter der Decke aufzuwärmen, aber ich bin doch sehr positiv überrascht, wie warm mir trotz der Kälte ist.
Dann fängt es wieder an leicht zu schneien. Doch die Beständigkeit zeigt sich schon bald in Form eines weißen Schleiers, der sich über alles legt. Mist. Ich muss noch mal umbauen, sonst werde ich eingeschneit. Glücklicherweise ist die Plane sehr groß, ich habe genug Material hier oben, um mich vor dem Wetter so gut es geht zu schützen. Ich schäle mich aus meinem Deckenpanzer und während ich arbeite, wird mir schnell warm. Ich mache mir ein bisschen Sorgen. Schnee ist schön und ich freue mich darüber, aber in meiner Lage ist er nicht das kleinste Problem, mit dem ich dealen werde müssen. Wie lange werde ich dem Wetter standhalten können? Ich mache mir weniger Gedanken um mich als lebendigem Organismus, denn die Schlafsäcke und dass Essen sind nicht von dem Wetter bedroht, aber dass Wasser! Wenn mir dass Wasser einfriert, könnte dass zu einem Problem werden und daran kann niemand außer unter Umständen ich selbst etwas ändern. Ich fülle meine Trinkflasche auf. Es sieht schön aus, wie die ersten Eisstücke darin schweben. Erinnert mich an Vodka. Ich nehme einen Schluck. Eigentlich geht’s. Solang ich warm bleibe, kann ich auch mit gefrorenem Wasser umgehen. Ich verbrauche ja auch nicht viel Energie hier oben, denn außer Atmen, Trinken, Essen, Schlafen und Stoffwechseln muss ich nicht viel machen. Und mich selbst bei Laune halten, aber darum mache ich mir keine Sorgen, das gibt sich von allein.

Als ich mit Freund_innen in Auschwitz war, es muss um diese Zeit vor zwei Jahren gewesen sein, war es eisig kalt gewesen und ich erinnere mich noch gut daran, dass ich es kaum glauben konnte, dass manche Menschen, die in eines dieser schrecklichen Lager gesteckt wurden, teilweise bis zu 6 Jahre unter extremsten Bedingungen überlebten. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs war es so unfassbar kalt gewesen und es fiel mir mit klappernden Zähnen verdammt schwer, mir vorzustellen, dass Menschen bei solch eisigen Temperaturen mit so wenig Kleidung, Nahrung, ärztlicher Versorgung und wahrscheinlich Schlaf, nicht einfach auf der Stelle tot umgefallen sind.

Ich vergleiche meine Situation nicht mit der der Gefangenen in den Konzentrationslagern zur Zeit des zweiten Weltkrieges. Die Vorstellung, dass menschliche Lebewesen unter extremen Bedingungen dennoch überleben können, gibt mir aber auf eine absurde Art und Weise das sichere Gefühl, dass noch viel kommen muss, damit ich aufgeben muss.
Außerdem bin ich gut ausgestattet. Ich werde hier bleiben, bis es mir auf den Tod nicht mehr möglich ist! Denn nun kämpfe ich hier zwei Kämpfe: Ich kämpfe gegen die Rodung des Hambacher Forstes und das Voranschreiten des größten Braunkohle Tagebaus Europas. Doch nun kämpfe ich vordergründig dafür, überhaupt Widerstand zu leisten in einem Staat, der behauptet, demokratisch organisiert und deshalb und allgemein besser zu sein, als die meisten anderen Staaten dieser Welt. Doch in Wahrheit hegt er ein Interesse daran, dass Menschen zwangsumgesiedelt und wenn nötig, zwangsenteignet werden, ein riesiges, uraltes Ökosystem einfach dem Erdboden gleichgemacht werden soll und der Erdboden gleich mit dazu. Von den Tieren ganz zu schweigen, denn angebliche Rechte haben ja fast nur solche, von denen irgendein menschliches Wesen behauptet, es gehöre ihm oder ihr. Die nicht-menschlichen Lebewesen haben am wenigsten Chancen, in diesem System Einfluss zu nehmen. Jedenfalls nicht auf den Wegen, die vorgesehen sind. Sie leben nach den Gesetzen der Natur, nicht des Menschen und können keine menschengemachten Rechte einfordern. Was ist ein Gesetz im Angesicht des Todes? Was ist, wenn der Tod erst durch ein Gesetz ermöglicht, erzwungen wird? Gesetze und Rechte stehen nicht immer automatisch für Gerechtigkeit und Fairness, wie es gern behauptet wird. Um so notwendiger wird es, sie zu hinterfragen. In diesem Falle ermöglicht ein einziges Gesetz nicht nur das Töten und Rauben und Zerstören, sondern obendrauf auch noch, dass die Ausbeuter_innen nahezu unantastbar, vom Gesetz geschützt werden.
Wie sieht das System Veränderung vor? Über lange, bürokratische Wege, wofür du nicht nur jede Menge Zeit und Geduld sondern auch Wissen und Geld und Anerkennung brauchst. Doch der Abbau wartet gewiss nicht darauf, dass alle erkennen und verstehen, wie lebensfeindlich das ganze Vorhaben ist und dass der Nutzen fürs Allgemeinwohl dagegen einen minimalen Anteil nimmt. Im Gegenteil wird der infrage gestellte Konzern eher alle Mittel und Kontakte in Bewegung setzen, um den unvermeidlichen Umbruch so lang wir möglich heraus zu zögern. Denn es geht hier schließlich um Kohle…also Geld…und das ist, was zählt in diesen Zeiten. Geld ist, was die meisten von uns erpresst, all ihre Zeit, Freude, Glück, Freunde, Familie, Liebhaber_innen und schließlich ihr Leben zu opfern, teilweise ohne es zu merken. Denn genau dazu brauchen sie das Geld ja, um sich all diese und andere künstlich erschaffenen Sehnsüchte erfüllen zu können.
Ist dass wirklich so? Diese Frage stellen sich leider bloß wenige, denn sie sind nichts anderes gewöhnt, kennen es nicht anders. Und so dreht sich das Hamsterrad immer weiter, angetrieben von Gier, Geiz und menschlicher Dummheit. Es sei denn, wir fangen an, uns aufzubäumen, aufzustehen und uns zu widersetzen, geleitet von Liebe zum Leben und der Freiheit, nicht nur tun zu können, was du willst, sondern auch zu lassen, was du nicht tun willst.
Geschichte wiederholt sich? Na, dann dürften wir ja so langsam wieder an dem Kapitel des Umbruchs angelangt sein, dann haben wir ja nichts zu verlieren als unsere Fesseln . Der Prozess ist ja schon längst im Gange! Wie müssen nicht erst noch den Anfang machen, bloß entscheiden und loslegen. Hier und auf der ganzen Welt leisten Menschen Widerstand gegen die Machtverhältnisse, die die meisten von uns versklaven, foltern, unserer Freiheit und Willenskraft berauben und schließlich auch nach und nach jegliche Lebensgrundlage zerstören.

Wäre dieses Loch hier das einzige, wäre die Abholzung dieses Waldes eine Ausnahme, dann wäre es nicht so gewichtig, wie im Angesicht der vorherrschenden Realität, in der Löcher wie dieses gegraben, Berge gesprengt, in der Erde gebohrt, Tunnel gegraben, menschenfreie Gebiete ausgetrocknet, Wälder abgeholzt, giftige Abwässer und anderer Sondermüll einfach in die Natur entsorgt werden…diese Liste ist nahezu endlos weiterzuführen, doch es ist nicht nötig! Alle wissen es, doch die Beständigkeit schläfert ein. Du hörst davon und denkst „Oh, wie schrecklich!“ und meinst es auch so, doch du spürst die Auswirkungen nicht direkt und weißt nicht wohin mit dem plötzlichen Tatendrang oder verfällst der Ohnmacht, nicht zu wissen, was du tun kannst. Doch wir müssen nicht nach Südamerika und uns dort mit den Paramilitärs rumschlagen, es gibt genug Baustellen hier, oftmals gleich vor der Haustür. Überall auf der Welt leisten Menschen Widerstand, denn es geht um unser aller Leben und Tod. Wir alle tragen Verantwortung für unser Tun und das Leben anderer, wir müssen uns dieser Verantwortung bewusst werden und verstehen, dass es auch Gewalt bedeutet, wenn wir nicht handeln, obwohl wir wissen, was passiert. Wir müssen lernen, uns nicht unhinterfragt auf Gesetze zu verlassen und ihnen zu unterwerfen, sondern nach moralisch und ethischer Einschätzung zu handeln. Das kann bedeuten, dass die von anderen gemachten Gesetze überschritten werden müssen, aber in Zeiten des Fortschritts sollte dies mitinbegriffen sein, vielleicht ist es sogar unumgänglich.
Legal ist nun mal nicht gleich legitim.

Den ganzen Tag über schreibe ich. Meine Ellenbogen tun mir bereits weh, weil ich mich oft auf sie stütze beim Schreiben und im Rücken spüre ich ein Stechen, wenn ich zu lange aufrecht sitze. Doch ich muss mich einfach nur oft bewegen, dann geht dass auch wieder weg. Den ganzen Tag über lasse ich mich nicht blicken, denn ich sitze in meiner „Höhle“, die ich nun von allen Seiten zumachen kann, wenn ich will. Es ist sogar ein leichter Temperaturunterschied zu spüren. Das Gefühl, dass ich nun selbst entscheiden kann, wann sie mich sehen und ich mich zurückziehen kann, wenn ich meine Ruhe haben will, wertet den Aufenthalt hier wesentlich auf. Es hat mich zwar noch nicht so sehr gestört, dass sie mich ständig sehen konnten, aber es fühlt sich gut an, ihnen so einfach so viel zumindest gefühlte Macht und Überlegenheit zu nehmen, indem ich entscheide. Einmal gegen Mittag kommt der Neon, der gestern meine Kopflampe genommen hat, mit der Hebebühne zur Hälfte hochgefahren und fragt, ob alles gut sei. Ich schaue ihn ausdruckslos an und mache ihn darauf aufmerksam, dass der Eimer direkt über ihm hängt. Daraufhin macht er sich schleunigst dünne.
Gegen Abend passiert dasselbe wieder. Doch ich habe mich grade schlafen gelegt und keine Lust zu antworten. Schließlich muss ich nicht mit ihnen reden.
Ich kann die Nervosität in ihren Stimmen hören, als ich immer noch nicht antworte, als sie schon auf einer Höhe mit der Plattform sind und nach mir rufen und miteinander tuscheln und in ihre Funkgeräte sprechen. Dann spüre ich eine grobe, unregelmäßige Vibration an der Plattform und erschrecke. Für einen Moment denke ich, sie würden sich an dem Gitter unter mir zu schaffen machen, dagegen klopfen oder es aufschneiden! Doch ich konzentriere mich drauf, dass zumindest Zweiteres unwahrscheinlich ist und verstehe schnell: Sie haben den Eimer abgeschnitten! Ich muss grinsen. Dass macht es nicht unbedingt angenehmer für euch Leute, weder jetzt noch später. Doch mir solls recht sein. Sie fahren wieder runter und kommen dann erneut hochgefahren. Als sie bereits nah an meiner Plattform dran sind, entschließe ich, mich ihnen doch zu zeigen, weil ich befürchte, sie könnten die Plane zerschneiden, um mich zu sehen und das wäre doof. Außerdem hatten sie ihren Schrecken schon. Also zeige ich mich. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht!“ sagt der eine halb Vermummte vorwurfsvoll. Ach, dass ist ja herzzerreißend. Meine Überwacher_innen machen sich Sorgen um mich, weil sie mich nicht mehr überwachen können.
Der eine, der auch immer die Hebebühne fährt (er hatte es am zweiten Tag vom eigentlichen Hebebühnenführer gezeigt bekommen und nun die Schlüssel) ist auch der, der meine Kopflampe genommen hat. Ich spreche ihn ruhig darauf an, frage ihn, wo sie ist und ob er sie mir wieder gibt. Er schaut mich mit großen Augen an und weiß scheinbar nicht, was er sagen soll. Ein anderer antwortet für ihn, sagt, hier ginge es nicht um eine Kopflampe, sondern um meine Gesundheit. Ich wende den Blick nicht von dem Neon, den ich angespochen hatte, ab und antworte: „Um meine Gesundheit müsst ihr euch keine Sorgen machen, mir geht’s wohlmöglich besser hier oben, als euch da unten. Ich ärgere mich bloß darüber, dass er mir die Kopflampe nicht wieder geben will.“ Der Angesprochene ringt sich nun doch ein „ich hab deine Kopflampe nicht“ ab und er redet so leise, dass ich es kaum verstehe. Ich erinnere ihn noch mal genervt, wie das gestern abgelaufen ist, beachte den anderen in Schwarz (ohne Warnweste und mit Vermummung und Kamera), der noch mal versucht sich einzumischen, gar nicht. Er hat damit nichts zu tun, das ist was zwischen dem Neon und mir. Sag ich auch so. Der Neon besteht noch mal darauf, dass er die Lampe nicht habe und ich bin wirklich ernsthaft überrascht. Er könnte mir genauso gut sagen „Hey nö, ich geb dir die Lampe nicht wieder, die liegt schon längst im Müll“ oder sowas, er hat mir gegenüber ja nichts zu befürchten, außer vielleicht meinem Stuhlgang, aber ich verstehe nicht, was er sich davon erhofft, die ganze Sache zu leugnen. Ich gebe dass Gespräch für heute auf und ziehe die Plane wieder ran, während die anderen wieder runter fahren. Sie fragen noch, ob sie mal nen Sanitäter hochschicken können, der mich mal checken solle und ich sage ok, wenns ein Unabhängiger sei.

Etwa 15 Minuten später treffen mehrere Autos und ein Krankenwagen ein. Weiter hinten im Wald kann ich auch mindestens zwei Polizeiautos erkennen. Vorsichtshalber stelle ich mich auf Räumung ein. In der Hebebühne fahren wieder derselbe Neon und derselbe Vermummte in Schwarz mit Kamera und ein Sanitäter nach oben auf meine Höhe.
Ich schiebe die Plane ganz zur Seite und setzte mich an den Rand, so dass wir gut miteinander reden können. Der Sanitäter stellt sich vor, wir schütteln uns die Hände und er fragt mich, wie es mir geht. Es fühlt sich schön anders an, mal wieder mit wem zu reden und wen zu sehen, der mit all dem nicht direkt was zu tun hat. Er fühlt nach meinem Puls, leuchtet mir in die Augen und stellt Fragen nach Jahr und Ort an dem wir uns befinden und wie lange ich schon hier sei. Er sagt, es gäbe keinerlei gesundheitliche Bedenken und fragt, ob es denn sonst was gäbe, ob ich was bräuchte. Ich schneide nur kurz das Thema Kopflampe an, will ihn da aber auch nicht mit reinziehen, sondern nur noch mal die Gelegenheit nutzen, den Neon dran zu erinnern. Wieder leugnet er, sie zu haben. Ich wünsche dem Sanitäter eine gute Nacht, er mir auch und dann fahren sie wieder runter und ich mache die Schotten wieder dicht.
Ich mache das Handy an, um den anderen eine entwarnende SMS zu schreiben. Ich kenne das furchtbare Gefühl, die ganzen Autos von Polizei und Krankenwagen vorbeifahren zu sehen und nicht zu wissen, was los ist.

Später am Abend, ich schlafe schon fast, höre ich plötzlich die Fußballtröten, die die Securitys alle haben, um Alarm zu geben. Ich bin überrascht und ein bisschen aufgeregt; passiert jetzt was? In kurzer Zeit füllt sich die Arena mit mindestens dreißig Neons und etwa fünfzehn bis zwanzig stromern um den äußeren Bauzaun herum. Die meisten haben sich mit Stöckern aus dem Wald bewaffnet und manche von ihnen haben sich vermummt. Ich ziehe die Planen soweit zur Seite, dass ich in alle Richtungen kucken kann. Dann suche ich alle Seilreste zusammen, die ich finden kann und binde sie alle zusammen an das abgeschnittene Seil. Als ich mein Schweizer Taschenmesser benutze, um ein Seil gerade abzuschneiden, habe ich plötzlich ein Licht in der Hand und leise lachend stelle ich fest, ich bin ja doch nicht ganz ohne Lampe hier oben, denn das Messer, welches mir neulich beim Trampen geschenkt wurde, hat eine ganz kleine Taschenlampe. Nicht viel aber zumindest bin ich nun nicht mehr ganz der Dunkelheit ausgeliefert. „Ätsch“ denke ich.
Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, dass Leute zu mir kommen wollen, um mir Sachen zu bringen, aber schließlich weiß ich es nicht. Mein Herz klopft, ich spüre die Nähe meiner Leute. Irgendwann lässt die Anspannung da unten nach und auch mein Herz beruhigt sich wieder. Die Grüße sind angekommen…

Nachricht aus Neuland #10
Ein Baum fällt

Donnerstag, 04.12.2014

Ich schlage die Augen auf und werfe einen Blick in den Himmel. Dämmert es schon? Ja. Langsam entwickelt sich das tiefe Dunkel der Nacht zu Tiefdunkelblau. Ich strecke mich, dann sehe ich, wie ein Polizeibus angefahren kommt. Dahinter ein Gefangenentransporter und einige weitere Polizeifahrzeuge. Für einen Moment bin ich überrascht, eigentlich kann es nur Räumung bedeuten, die Zeit stimmt, aber trotzdem schaue ich mich noch mal um, vielleicht hat sich ja unter mir etwas ereignet, was ich nicht mitbekommen habe. Sieht nicht so aus, ich bin erleichtert.
Also gut, eviction.
Gegen eine polizeiliche Räumung kann ich allein leider nicht viel ausrichten, zumindest habe ich noch nicht herausgefunden, wie. Ich seufzte und mache mich bereit. Der Versuch, das Handy anzumachen scheitert. Der Akku scheint restlos leer zu sein. Halb schmunzelnd, halb besorgt hoffe ich, dass das Ganze nicht unbemerkt von „meinen“ Leuten vonstatten geht.

Es braucht etwa 15 Minuten bevor es dann direkt um meine Person geht. Eine Frau in ziviler Kleidung mit Megaphon stellt sich unter den Baum und will mich darüber aufklären, dass nach Beschluss von irgendwelchen Leuten ich nun vom Baum runter geholt werden soll. Ich rufe, dass ich ganz gerne erst mal mit meinem Anwalt sprechen wolle. „Wir kommen zu ihnen hoch“, sagt sie durch das Megaphon. Fünf Minuten später kommt die Hebebühne dann hochgefahren. Geladen ist sie mit drei Kletterpolizisten. Wir wünschen uns einen „schönen guten Morgen“ und ich sage freundlich, dass ich ganz gern mal mit meinem Anwalt reden wolle und ob sie mir bei der Inanspruchnahme meines Rechtes freundlicherweise behilflich sein könnten, da mir sozusagen die Hände gebunden seien. Mit einem Kopfnicken deute ich dabei auf die V-geformte Metallröhre, die sich wie ein Wunder um meine beiden Arme gelegt hat, welche um einen Ast der alten amerikanischen Eiche geschlungen sind und ich lächle entschuldigend. Ich bin an den Baum gekettet. Die Cops kichern und einer fragt: “Wie bist du denn da ran gekommen?“ und ich antworte: „Weißt du, ich weiß es nicht! Heute morgen bin ich aufgewacht und da war das auf einmal so. Vielleicht werd ich so langsam eins mit dem Baum…“. Die drei lachen und einer sagt: „Das ist doch gelogen, Pinoccio!“ „Aber nein, aber nein!“ beteuere ich mit großen Augen und verstecke meine Nase unter der Decke.

Die drei machen sich daran, meine Höhle abzureißen. „Dach“ und „Wände“, sprich die Planen, werden abgenommen. Der eine sichert sich mit seinem Kletterequipment in der Eiche. Ich kooperiere insoweit, als dass ich ihnen über sicherheitsrelevante Fragen klare Auskunft gebe. Am Boden sehe ich viele Menschen mit Kameras, die Hälfte von ihnen trägt Polizeiuniform. Die Gerichtsvollzieherin kommt noch mal, zückt ihr Smartphone und richtet die Linse ebenfalls auf mich.
Die zwei, welche sich noch in der Hebebühne befinden, fahren noch mal runter, da etwas fehlt und der eine Cop, der da noch so abhängt, und ich plaudern ein bisschen. Ich erkläre ihm, wieso ich nicht einfach so hinnehmen kann, was hier passiert. Teilweise gibt er sich verständnisvoll aber manchmal argumentiert er auch dagegen. Ich erzähle ihm auch von meiner Zeit hier oben. Immer wieder muss ich meine (körperliche) Position ändern, weil es auf die Dauer unangenehm wird, mit den festgemachten Armen. Dass muss ziemlich witzig aussehen, weil ich noch in den zwei Schlafsäcken stecke und weder Arme noch Beine frei hab. Ich fühle mich wie eine Raupe. Noch dazu mache ich komische Geräusche wenn ich mich bewege. Ich kann dem Cop nicht übelnehmen, dass ihn das amüsiert, ich muss ja selbst schmunzeln bei dem Gedanken, wie das wahrscheinlich aussieht. Als die anderen zwei nach etwa 10 Minuten wieder hochkommen, fragt der eine scherzhaft: „Na, läuten da schon die Hochzeitsglocken?“ Ach herje…denke ich und lasse das unkommentiert, weil mir nix darauf einfällt. Der „Neue“ macht sich auf der anderen Seite, näher bei mir, im Baum fest und hängt dann so rum. Sie entfernen die letzten Stücke der Planen und fangen dann an, die Taschen und Wasserkanister und eigentlich alles, was nicht direkt an mir dran ist (wie zum Beispiel mein persönlicher Rucksack) auf die Hebebühne zu verladen und dann runter zu bringen. Während die sich da unten organisieren, unterhalten Mu (so heißt der erste), der andere Klettercop und ich uns eigentlich ganz nett. Die Klettercops sind in der Regel erträglich, sie sind weniger auf Stunk und Einschüchterung aus, als mehr darauf, dass die ganze Situation reibungslos und ohne Unfälle verläuft, denn dann sähen sie alt aus. Der eine, der näher bei mir in den Seilen hängt, spricht mich immer mit unterschiedlichen Namen an, weil ich mich natürlich, ebensowenig wie er, nicht vorgestellt habe. Ich bitte ihn, meinen Rucksack, den er zuvor etwas gelöst hatte, in der Hoffnung ihn mir abnehmen zu können, wieder enger zu schnallen. Auf einer Seite klappt dass auch, an die andere Seite kommt er nicht ran. Dann bitte ich ihn auch meine Mütze wieder etwas zu richten, weil mir schon überall die Haare im Gesicht hängen. Auch den Gefallen tut er mir.
Als der Korb der Hebebühne wieder hoch kommt, sind zwei neue dabei. Der eine trägt Arbeitskleidung, die ich nicht so recht zuordnen kann. Vielleicht ist er von der Forstbehörde oder so ähnlich, um den Baum zu checken…? Außerdem eine Polizistin. Sie ist freundlich und sagt, wie es nun weitergehen soll. Sie will das Metallrohr aufflexen und dann mal rein schauen. Bevor sie loslegt, frage ich sie, ob sie so freundlich wäre, mir den Rucksack auf der anderen Seite enger zu schnallen. Nachdem sie das getan hat, schiebt sie Metallschienen von beiden Seiten in die Armröhren, um meine Arme zu schützen. Sie legen eine Brandschutzdecke zwischen mich und den Baum, dann beginnt sie zu flexen. Ich soll Bescheid geben, wenn sie stoppen soll und dass tue ich mehrmals um meine Position zu ändern, wodurch sich auch immer ihre Arbeitsmöglichkeiten ändern. Während sie hier oben an meinem Lock-on arbeiten und da unten der Harvester beindicke Bäume einfach abknipst wie ein Nagelknipser, überkommt mich eine dunkle Schwermut. Wenn sie mich hier in Kürze los gemacht haben, wird dieser Baum auch gefällt werden. Und alle anderen Bäume drumherum auch. Dann steht kein Einziger mehr hinter der ehemaligen Hambachbahn.

Sie hielt mich sicher und ich blieb standhaft für Sie. Ohne Sie nicht ich und ohne mich nicht Sie…

Sie brauchen länger, als ich es vermutet hätte, denn es ist bloß blankes Metall. Manchmal schießen die Flexfunken an der Röhre vorbei auf meinen Bundeswehrschlafsack. Zum Ende hin wird es warm in der Röhre und als ich es sage, haben sie das Metall schon soweit durch, dass sie ins Innere blicken können. Aber sie kommen noch nicht ganz rein. Sie sprechen darüber, hier aufzubiegen oder da noch mal zu flexen und letzten Endes muss doch noch mal die Flex ran. Nach insgesamt ca. dreißig Minuten setzt sie den Bolzenschneider an und…kriegt das Schloss nicht durch, weil der Bolzi zu klein ist. Der andere allerdings ist zu groß und fast wären sie noch mal runter gefahren, um was Anderes zu besorgen, da klappt es dann doch mit dem kleinen Bolzenschneider. Langsam ziehe ich meine Arme aus der metallenen Ummantelung. Ich weiß erst mal gar nicht, wohin mit dem wiedergewonnenen Gliedern. Sie sind ein bisschen steif aber es geht. Die Hebebühne fährt runter, um die anderen beiden auszuladen. Währenddessen bequatscht mich der eine, dessen Namen ich ebenso wenig kenne wie er meinen, dass der Korb gleich wieder hochfahren würde und ich dann da einsteigen könne, um mich nach unten bringen zu lassen. „Naja, also, von allein werde ich da aber nicht reingehen, ist dir das bewusst?“ erkläre ich. Er stöhnt und für einen Moment habe ich das Gefühl, das Blatt würde sich jetzt wenden. „Boa ne, dass ist nicht dein Ernst, oder?“ und bevor er sich weiter beschweren kann, erkläre ich ihm ernst, dass das zu meiner Aktion und ihrem Job dazu gehöre. Dann kommt die Hebebühne wieder hoch gefahren, der Fahrer ist ebenfalls nicht begeistert, dass ich nicht kooperieren werde aber als sie mich in den Korb buxieren, scherzen sie schon wieder. Der eine fragt durchs Funkgerät, ob sie die Plattform hier oben dann abmontieren sollen oder sie den Baum so fällen wollen. Der Baum soll so gefällt werden.

Während wir gen Boden fahren, sehe ich viele Menschen: Polizist_innen in Uniform, Sanitäter_innen, Menschen mit Kameras, von RWE kann ich auch manche ausmachen und viele Neons, die gespannt die Hälse recken, um einen Blick auf diese Person zu erhaschen, die ihnen unter anderem diese unübliche Zeit beschert hat. Vielleicht haben ja ein paar mehr den Blog gelesen…
Ich werde aus der Hebebühne auf eine Trage verfrachtet, dann werde ich zu dem Rettungswagen gebracht. Bevor sie mich langsam hineinschieben, wie einen Braten in den Ofen, lächle ich die Umstehenden an und winke den Neons zu: „Bis demnächst, Leute!“. Einige lächeln und der ein oder andere nickt mir zu. Auch der eine Ältere mit dem würdevollem aber herrischen Gang, welcher immer langsam mit einem großen Knüppel, den er als Art Spazierstock nutzte, um die Arena stolzierte und von vielen anderen scheinbar als Autorität wahrgenommen wurde, steht in meiner Nähe und schaut zu, wie ich verladen werde. Ich habe ihn manchmal mit „Hallo Chef“ gegrüßt und irgendwann hat er angefangen, mir daraufhin zuzunicken. „Tschüss Chef“ grinse ich ihn an und er kann kaum verbergen, wie sich der linke Mundwinkel hebt und er nickt mir zu und schaut weg. Dann schließen sich die Türen des Rettungswagens. Ein freundlicher Mann schüttelt mir die Hand und stellt sich vor. „Leitender Arzt“ lese ich auf seiner Jacke. Er stellt mir ein paar Fragen, wie lang ich dort oben gewesen sei und wie es mir ginge. Ich erzähle, dass es mir körperlich gut ginge, ich noch nichts gegessen habe und sehr durstig sei. Mir wird versichert, ich bekäme gleich etwas. Sie schneiden die Handfesseln los, mithilfe derer ich in dem metallenen V-Rohr fest gekettet war. Der leitende Arzt entschuldigt sich mehrmals, weil er zwei kleine Löcher in mein längärmeliges Shirt schneidet. Ich lache und deute auf meinen heruntergekommenen Pullover. Darum solle er sich keine Gedanken machen, solang das Ding seine Funktion erfüllen kann, sei das doch egal. Sie testen meinen Blutdruck, meine Temperatur und picksen mir in den Finger, um mein Blut zu testen. Alles einwandfrei. Dann kommt die Gerichtsvollzieherin herein. Sie lächelt mich an und legt mir einen Haufen Papiere vor die Nase. Der Räumungsbeschluss ist geschätze zehn Seiten dick, die Unterlassungsverfügung vielleicht dreißig oder mehr. Sie verabschiedet sich und der leitende Arzt kommt noch mal herein. Er fragt, ob ich die Handfesseln eigentlich behalten wolle und ich sage, bevor sie weggeschmissen würden schon. „Oder wollten sie die haben? Sie können die hier haben!“, sage ich und halte ihm eine Fessel entgegen und er freut sich richtig. „Freundschaftsbänder wie?“ scherzt der eine der zwei anderen Sanitäter, die noch in dem kleinen Raum stehen. Der Arzt und ich grinsen uns an, schütteln uns die Hände und er geht.

Der Krankenwagen holpert über den Waldboden. Die zwei Sanitäter die noch bei mir sind, sind nicht so gesprächig aber auch nicht unfreundlich. Das Fahrzeug hält an, mein Rucksack mit persönlichen Sachen wird nach draußen befördert und einer der Sanis wird durch einen Typen in Polizeiuniform ausgetauscht. Ich erinnere noch mal an das Wasser. Ich würde gleich was bekommen. Dann geht es noch ein kleines Stück weiter. Als das Rettungsfahrzeug anhält, die Türen sich öffnen und die Trage mit mir darauf raus geschoben wird, finde ich mich in einem Zirkel aus Polizeibussen und mehreren Cops wieder. Ich werde aufgefordert aufzustehen und mich in den Gefangenentransporter zu begeben. Seit wann noch mal läuft der Knochen zum Hund? Naja, ich erkläre ihnen wieder sachlich, warum ich nicht kooperieren werde. Großes Gestöhne und ein paar beleidigende Worte, die an mir abperlen. Ich kenne ihr Spiel und für sie sollte es nichts Neues sein, was ich tue. Ich werde grob an allen Vieren gepackt und zum Gefangenentransporter getragen. Der Stapel Papier, den die Gerichtsvollzieherin mir in den Schoß gelegt hat, fällt dabei auf den schlammigen Boden. Ich werde in die winzige, vielleicht 80×100 cm große Zelle des Gefangenentransporters geschoben wie ein Sack Kartoffeln. An meiner Hüfte ratscht ein bisschen Haut ab. Dann wird die Tür verriegelt. Ich setze mich auf die Sitzbank, dann brummt der Motor. Durch ein kleines Fenster sehe ich wenigstens, wo wir lang fahren. Als wir über die Brücke fahren sehe ich zwei Aktive, die sich an das Tor gekettet haben. Leider können die Fahrzeuge an der Blockade vorbeifahren. Dann geht es nach Düren. Sie fahren einen großen Umweg.

An der Polizeistelle in Düren angekommen steigen die zwei Cops aus dem Fahrer_innenhäuschen und ich höre sie sagen: „So, wir bringen hier eine, mit der gibt’s n kleines Problem. Die kann nicht gehen“ „Wie, kann nicht gehen?“ fragt eine andere Stimme. „Ja, die will nicht.“ Dann wird die Tür meines kleinen Gefängnisses aufgeschlossen und eine junge Polizistin schaut zu mir rein. „Du willst nicht gehen?“ „Ja weißt du, es gehört halt zu meiner Aktion noch mit dazu. Ich kann ja sonst nicht viel machen…“ sage ich mit einem entschuldigendem Lächeln. „Ich kanns ja irgendwo verstehen…“ sagt sie und lächelt auch. Dann schaut ein anderer ebenfalls junger Cop zu mir rein und rollt mit den Augen: „Man, das ist doch Kinderkacke!“ Ich erwidere nichts darauf, denn ich weiß, er will, dass ich mir doof vorkomme und mich einschüchtern, sodass ich doch selber gehe. Daher macht es mir nicht viel. Er packt mich an den Armen und zerrt mich aus der Zelle und aus dem Wagen. Meine Fußknöchel werden ebenfalls ergriffen und mit dem Rücken nach oben werde ich in das Gebäude gebracht.

Zelle 6. Sie legen mich auf die Schaumstoffmatratze, die „nettere“ Polizistin ist auch dabei und bringt ein bisschen Ruhe in die Situation. Ich spreche sie noch mal gezielt an und bitte darum, etwas zu trinken zu bekommen, da ich seit heut morgen nichts getrunken hätte. Sie nickt mir zu und sagt, sie kuckt mal, dass ich was bekomme. Dann wird die Zelle leerer bis auf zwei Polististinnen, einer kleinen, strengen und einer etwas größeren, beleibten, die etwas unerfahren oder unsicher wirkt. Die Tür wird angelehnt und während sie sich die Latexhandschuhe über die Hände ziehen, sprechen sie darüber, wer mich wie auszieht. Während sie mir die Klamotten vom Leib zerren, lese ich vor mir „Hambi Chaos Crew“, eingeritzt in den Lack der Zellentür. Insider. Das Grinsen, welches sich auf meinen Lippen ausbreitet, kann und will ich gar nicht verbergen. Ich fühle mich ein bisschen weniger allein.

Schließlich liege ich nackt auf der Liege. Ich habe mit mehr Beschimpfungen und verächtlichen Worten gerechnet aber es wird sich nur einmal beschwert, dass ich etwas streng riechen würde. Meine letzte Dusche ist immerhin 8 Nächte her. Ich gebe darauf zur Antwort, dass sie das ändern und mich einfach unter die Dusche stecken könnten. Doch das wird abgelehnt. Na gut, denke ich, nicht mein Problem, ich kann auch später duschen.
Die kleinere und unfreundlichere der beiden deutet auf den Haufen meiner Unterbekleidung und sagt, wenn ich nicht so zur ED-Behandlung gebracht werden wolle, könne ich diese Sachen schon mal wieder anziehen. Während ich erst mal alles wieder auf rechts drehen muss, erklärt sie mir, was nun passieren soll. Ich höre geduldig zu während ich mir Unterhose, Strumpfhose, Socken und schwarze Jeans wieder anziehe und sage dann ruhig: „Alles klar, aber zu allererst einmal möchte ich mit meinem Anwalt telefonieren.“ Damit bricht eine bestimmt 3 minütige Debatte darüber aus, ob ich nun das Recht habe, einen Anwalt anzurufen oder überhaupt irgendwen, oder nicht. Ich bin überrascht, wie stur sie dabei bleibt, dass ich kein Recht darauf habe, denn eigentlich hat dieses Recht jeder Mensch, der festgenommen wird. Aber Rechte und Gesetzte sind halt auch nur Schall und Rauch und scheinbar beliebig anwendbar für angebliche Machthabende. Daher führe ich die Diskussion eigentlich nur theoretisch und habe gar keine Erfolgserwartungen. Zwischendurch ist sie sogar soweit, dass sie sagt, dass sie den Anwalt für mich anrufen würden aber das nehme ich nicht an, denn woher sollte ich zum einen wissen, ob sie’s dann auch tun und zum anderen kann ich es dann genauso selbst tun, wie es mir (angeblich) zusteht.
Sie geben mir nur meinen Pulli zurück, dann schließt sich die Zellentür. Fünf mal dreht sich der Schlüssel im Schloss.
Die Wände des Raumes sind vollständig gefliest, in etwa zwei Metern Höhe gibt es ein Fenster mit Milchglasscheiben und Gittern davor. Die Zellentür ist Cobaldblau lackiert. Ich hasse diese Farbe. Es stehen ein paar Sachen eingeritzt in der Tür. „No Justice, No Peace – Paint the Police“
Die Liege ist ein Holzklotz und ich sitze auf der Schaumstoffmatratze auf ihr. Auf dem Boden ist ein Fleck aus längst vergangenen Tagen, ich will gar nicht genauer wissen was da aus wem herausgetreten ist.
Ich stehe auf und klopfe gegen die Tür. „Was ist los?“ „Ich hätte ganz gerne etwas Wasser, denn ich hab seit heute Morgen nichts mehr getrunken.“, rufe ich durch das schwere Metall. Ich vertreibe mir die Minuten mit Dehnübungen. Es tut gut, mich wieder mehr bewegen zu können.
Dann wird die Zellentür aufgeschlossen und ein Polizist steht mit zwei Plastikbechern mit Wasser vor mir, hinter ihm mache ich noch eine Person aus. Endlich! Ich bedanke mich und trinke durstig ein paar Schlucke. Bevor sich die Tür wieder schließt, sage ich freundlich: „Und ach, ich würde gerne mit meinem Anwalt telefonieren.“ „Alles klar, ich kuck mal, was sich machen lässt.“, antwortet er neutral. Er scheint nichts von der Diskussion zuvor mitbekommen zu haben. Hinter der wieder veriegelten Tür höre ich ihn dann beim Weggehen sagen: „..und die Dame möchte noch mit ihrem Anwalt reden…“ Dann bin ich ja mal gespannt. Ich setze mein Dehnprogramm fort und probiere auch ein paar Kraftübungen aber merke schnell, ich habe nicht genug Energie und bleibe deshalb nur beim ausführlichen Dehnen.

Als ich etwa fünf Minuten später gerade meine Beine strecke, höre ich, wie die Tür erneut aufgeschlossen wird. Der Polizist von zuvor fragt, ob ich noch mehr trinken wolle und hält mir einen weiteren Plastikbecher, gefüllt mit Wasser, entgegen. Ich unterbreche die Übung, nehme dankend an und bevor er die Tür wieder schließt, sagt er noch, dass ich dann gleich mit meinem Anwalt sprechen dürfe. Na mal sehen.

Ich fahre fort und als ich etwa zehn Minuten später gerade im Stand meine Fußknöchel halte, höre ich wieder das Türschloss. Als es sich öffnet und ich beschuhte Füße auf der Schwelle sehe, richte ich mich auf. Ein Mann in buntem Hemd steht vor mir. Ich überrage ihn um etwa einen Kopf. Er gibt sich sehr freundlich und lächelt immerzu, während er mir erklärt, sie würden nun eine Erkennungsdienstliche (ED) Behandlung mit mir machen, um meine Identität festzustellen und dann könne ich gehen. Ich lächle ihn an und sage, dass ich damit nicht einverstanden sei, Widerspruch einlegen würde und gerne zuerst mit meinem Anwalt reden wolle. Sein Lächeln ist in seinem Gesicht festgeklebt und er sagt, den Widerspruch habe er zur Kenntnis genommen und dass ich mit meinem Anwalt ja nicht reden könne, wenn sie gar nicht wüssten, wer ich sei. Ich erwidere freundlich, dass das auch gar nicht nötig sei, um mit meinen Anwalt zu sprechen. Er geht aus dem Raum und sagt währenddessen, ich könne danach mit meinem Anwalt reden und jetzt erst mal mitkommen. Ich bleibe stehen, lächle und sage, dass da bloß noch die Sache mit dem „nicht gehen“ wäre. Einer der Umstehenden stöhnt auf und sagt: „Das darf doch wohl nicht wahr sein…“ doch der Kleine gibt sich gelassen und sagt, das sei ja überhaupt kein Problem und ich stimme ihm zu. Sie packen mich an den Armen, der eine verdreht mir das Handgelenk und ist viel schneller, als der Kleine. „Hey hey, dein Kollege kommt ja gar nicht hinterher!“ sage ich mit einem Lachen und auch der Kleine plädiert dafür, dass er nicht so schnell gehen solle. Sie schleifen mich an den Armen durch den langen, grauen Flur, mein Pullover verdeckt zumindest noch meine Brust. In einem Raum werde ich abgelegt. Ich lege die Beine übereinander, ziehe meinen Pullover wieder runter und verschränke die Hände gelassen auf dem Bauch. Der Kleine plaudert vor sich hin, während er mir zuerst mit einem Feuchttuch und dann mit einem Stück Küchenrolle die Fingerspitzen putzt. Ich wundere mich ein bisschen, was das bringen soll, sage aber nichts. „Na, die Maniküre ist auch langsam wieder fällig.“, sagt er beiläufig „Ach, legen sie da so viel Wert drauf? Mir ist das nicht so wichtig. Wenn ich jeden Tag mit anpacke, hab ich da gar keine Zeit für…“. Er wendet sich mir wieder zu und will sich gerade neben mich auf den Boden hocken. Das elektrische Fingerabdruck-Abnahmeteil steht schon bereit. Ich rolle mich gemächlich auf den Bauch und meine Arme. Auf einmal legt sich bei dem Kleinen ein Schalter um. Von einem Moment auf den anderen brüllt er mich an, dass hier seine Toleranz am Ende sei und er auf so etwas gar keine Lust habe. Auch die kleinere Frau, welche mich zuvor ausgezogen hat, steigt direkt mit ein. Sie kniet sich in meinen Rücken und fixiert meinen Kopf am Boden mit den Händen, der kleine Mann stemmt sein Knie auf meinen Oberarm und verdreht ihn mir so, dass ich ihn kaum noch bewegen kann. Meine Beine werden gegen den Tisch gepresst. Das geschieht innerhalb weniger Sekunden. Ich presse ein Lachen und: „Das ging ja schnell!“ heraus, bezogen auf das Ende seiner Toleranz. Während der Kleine an meinen Fingern zerrt, um einen von ihnen auf das rot leuchtende Kästchen zu quetschen, schimpft er: „Es sind immer die Frauen bei euch! Die Männer sind alle immer ganz unproblematisch aber die Frauen!“ Ich lache überrascht auf, denn ich weiß, das ist Bullshit und sage das so ähnlich. Immer wieder schaffe ich es, den Finger um einige Millimeter zu verschieben. Das macht ihn rasend. Nach wenigen Minuten steht er auf, um sich die Bilder auf dem Computer anzuschauen. Ich versuche ein bisschen Anspannung, da wo sie nicht gebraucht wird, abzuschütteln und mich nicht zu bewegen, um meine Kräfte zu sparen. Außerdem drückt die kleine Frau auf mir nur noch fester zu, wenn ich mich bewege. Ich höre den Kleinen verärgert und angestrengt schnaufen. „Die hat da irgendwas drauf. Die kannste alle vergessen!“, sagt der, der die ganze Zeit vor dem Bildschirm sitzt. Doch der Kleine gibt noch nicht auf. Als er sein Knie wieder auf meinen Oberarm stemmt, hat er eine Schere in der Hand. Er steckt meinen Zeige- und Mittelfinder durch die Schlaufen und will durch die Hebelwirkung auf die Fingergelenke erzwingen, dass ich sie nicht mehr bewegen kann. Doch das nützt ihm wenig, denn ich kann meine Finger dennoch bewegen, dazu kommt mir zugute, dass meine Hände feucht vom Schweiß sind und somit noch rutschiger. „Naja, nen Versuch wars wert wie?“ necke ich ihn keuchend und von allen Seiten werde ich dafür noch mehr in die Schraubzwinge genommen. Ich stöhne auf vor Schmerz, den ich erwartet habe. Er versucht es unerbittlich, doch der Mann hinter dem Computerbildschirm stellt ihn vor die Tatsachen der Situation: „Das bringt’s nicht. Die hat da irgendwas drauf. Komm, lass es. Macht Fotos und dann ist gut.“ Der Kleine steht erneut auf und schaut sich das Produkt seiner verzweifelten Mühen auf dem Bildschirm an. „Warum nehmt ihr nicht einfach die DNA?“ „Dürfen wir nicht.“ schnauft der Kleine durch (ich vermute) zusammengepresste Lippen. Ein letzter, verzweifelter Versuch: Er kommt mit der guten alten Tinte und – einem Stück Küchenpapier?! Will er darauf etwa meine Fingerabdrücke pinseln? Naja, lass ihm den Versuch. Mit einer Rolle macht er meinen Mittelfinger schwarz, doch wieder gelingt es mir, den Finger zu verdrehen. Nun gibt er auf. Sie lassen von mir ab. Langsam richte ich meinen Oberkörper auf und fühle meinen Arm. Er schmerzt da, wo der Kleine sich reingestemmt hat. Doch soweit: Punkt für mich. Ich schöpfe neue Energie aus dem eben gewonnenen Kampf. Dann geht es weiter. Auf in die zweite Runde: Fotos. Ich werde auf einen Stuhl gepackt, auf dem ich nur halb drauf hänge, denn nun konzentriere ich mich darauf, meinen Körper so gut es geht zu entspannen. Ich lasse meinen Kopf auf die Brust sinken, doch er wird hinten an den Haaren nach oben gerissen und einige Strähnen werden mir aus dem Gesicht gehalten. Ich ziehe komische Grimassen, als ginge es um alles. Die Augen kneife ich zusammen. Der Stuhl wird gedreht und nach einer halben Minute noch mal. Rechtes Profilbild, frontal, linkes Profilbild. Dann wird auch diese Aktion für beendet erklärt. Als ich vorsichtig die Augen öffne, sehe ich verschwommen, mir ist ein bisschen schummrig. Ich stehe auf, wanke ein bisschen und versuche wieder die Gelassene zu spielen. Ich nehme mehrere Zuschauer_innen wahr, doch richtig sehen tue ich sie nicht. Die kleine Polizistin schiebt mich an zwei sehr großen Männern vorbei, die mich wortlos anstarren. Beide tragen enganliegende Mützen und lange Mäntel. Ich spüre ihre Blicke im Rücken, als ich aus der Tür hinaus und durch den Gang entlang zurück zu meiner Zelle 6 geschoben werde. „So, du kannst dich jetzt anziehen und dann bin ich froh, wenn du hier weg bist.“ Sagt die kleine Frau, die schräg hinter mir läuft und ihre Finger in meinen Rücken bohrt. Inzwischen sind wir an der Zelle angekommen, vor der alle Taschen, Schlafsäcke und sonstiger Kram von der Plattform, welche es mit Sicherheit schon seit einiger Zeit nicht mehr gibt, aufgetürmt liegen. Ich drehe mich zu ihr um, blicke ihr sehr ernst in die Augen und sage: „Wissen sie, ich mache das alles hier nicht zum Spaß. Denken sie etwa, ich werde hier gerne misshandelt?! Nein. Ich mache das ganz und gar nicht zum Spaß. Ich meine es sehr, sehr ernst mit dem, was ich tue!“ ich versuche das ruhig zu sagen, doch meine Stimme wird dann doch etwas lauter weil Zorn in mir aufwallt. Ich nehme mir die Kiste mit meinen restlichen Klamotten und gehe in die Zelle. Während ich mich nun auch obenrum vollständig anziehe, lasse ich mir nicht mehr und nicht weniger Zeit, als ich brauche. Ich kämpfe innerlich mit der aufkommenden Wut und versuche, cool zu bleiben. Eine kleine Wunde am Knöchel der rechten Hand ist bei der ED-Behandlung wieder aufgerissen worden und blutet. Sie, zu der ich eben gesprochen habe, steht in der Tür, bewacht mich, bis ich fertig bin ohne ein Wort zu sagen. Ich lasse die weiße Kiste in der Zelle stehen
und stelle mich dann vor den Haufen. Wo fang ich da an? Ich stopfe ein paar lose Sachen in irgendwelche Taschen. Die Ausgangstür steht bereits offen für mich. Ich nehme zwei Taschen und ein anderer und sie packen mit an und verfrachten die ganzen Sachen vor die Tür. Dann warten sie darauf, dass ich alles wegbringe. Irgendwer drückt mir einen Zettel in die Hand, ich höre nicht, was er sagt, denn innerlich habe ich mit meinen Gefühlen zu kämpfen. Ich schmeiße den Zettel zu dem anderen Papierkram, ohne irgendwen anzuschauen. Als ich die ersten Taschen zum Tor bringe, spüre ich einen Kloß im Hals. Niemand ist da und halb bin ich froh darüber, nun nicht mit so vielen Leuten umgehen zu müssen, auch wenn es meine Leute sind, halb macht es mich noch trauriger. Als ich zum zweiten Mal zurück zum Polizeigebäude gehe, den einen Schlafsack in seine Hülle stopfe und dabei alles voll blute, fragt sie ihren Kollegen, ob es nicht irgendwo Pflaster geben würde. Ich halte ein KFZ-Erste Hilfe Set in die Höhe, ohne wen anzusehen und zische: „Die Mühe können sie sich sparen.“ Als ich erneut in Richtung Ausgangstor, bepackt mit Sachen, gehe, kommen mir die ersten Tränen. Ich ärgere mich darüber, weil ich mich so verletzlich fühle, als sie es beim nächsten Gang sehen. Doch später ist es mir egal und ich denke, es ist gut, dass sie die Wunde sehen, die sie hinterlassen haben. Dann stehe ich wieder am Ausgangtor und da springen zwei Leute, die ich sehr, sehr gern habe, aus einem Auto und begrüßen mich stürmisch. Die eine schließt mich in die Arme und ich versinke darin und in einem Meer aus Tränen. Ich strecke einen Arm nach Basti aus, der die zweite Person ist. Er schmiegt sich an uns und so stehen wir eine kleine Ewigkeit vor der Einfahrt der Polizeistelle Düren. „So schön, dass du raus bist…“ murmle ich Basti ins Ohr. „Schön, dass wir dich wieder haben.“ erwidert er.

Das Ende vom Anfang

Als wir uns voneinander lösen, trägt die kleine Polizistin und der andere gerade die letzten Sachen vor das Tor. Wir räumen alles ins Auto und fahren dann in ein Hausprojekt. Auf dem Weg kann ich meine Tränen immer seltener zurückhalten. Meine Hand wird gehalten und gestreichelt und die Nähe geliebter Menschen fühlt sich so unfassbar großartig an. In dem schäbigen Haus riecht es wunderbar nach Essen, wonach mir absolut nicht zumute ist. Ich werde von einigen lieben Menschen herzlich empfangen. Ich äußere den Wunsch, erst einmal zu duschen, bevor ich erzähle.

Allein in dem kalten Badezimmer, fließen mir die Tränen über die Wangen. Ich weiß schon gar nicht mehr, ob ich gerade aktiv weine oder es noch die Tränen von eben oder davor sind. Als ich mich ausziehe, spüre ich die Kälte kaum und betrachte meinen rechten Arm. Er ist geschwollen und rot. Unter der Dusche braucht das Wasser einen Moment, bis es warm wird. Als es mir in Strömen über das Gesicht läuft, mischt es sich mit den Tränen, der immer öfter aufkommenden und unkontrollierbaren Heulkrämpfe. Nein! Ich mache das alles ganz und gar nicht aus Spaß! Ich habe mir die ärmlichen Verhältnisse ausgesucht, weil es mir lieber ist, so zu leben, als in dieser riesen großen Lüge da draußen, die so viele arme Seelen zerfetzt und verschlingt und nach noch mehr Blut und Geld dürstet. Niemals satt, bis es nichts mehr gibt. Es ist eine Sucht, der die Menschen nacheifern, wie Rauchen- im Prinzip. Alle wissen, dass es schädlich für die einen, die Konsumierenden und tödlich für die anderen, die produzierenden Arbeiter ist, doch alle paffen weiter, als sei es das großartigste der Welt.
Ich fühle mich verletzt und misshandelt, doch ich weiß, ich habe alles gegeben und meine Würde behalten und werde somit über alles hinweg kommen. Mir war immer bewusst, in was für eine Situation ich mich begebe und was mit mir hinter den Türen der Polizeiwachen gemacht werden würde und gemacht werden könnte. Genug Menschen, die von Polzei misshandelt werden, tragen traumatische Folgen fürs Leben davon, vor allem wenn sie sich hilflos gefühlt haben. Um das zu vermeiden und sowieso, um den Kampf bis zuletzt zu führen, habe ich die Coole, Gelassene gespielt. Denn es wird nur schlimmer, wenn du weinend am Boden liegst und darum bittest, sie würden aufhören. Denn dann haben sie dich da, wo sie dich haben wollen.

Meine liebe Freundin klopft an die Tür und will sich meine Verletzungen anschauen, denn sie ist Sanitäterin. Alles nichts Ernstes, auf die Wunde am Fingerknöchel kommt ein Pflaster und der Arm wird blau werden. Die äußerlichen Schrammen sind halb so wild. Sie nimmt mich in den Arm. „Ich hab dich lieb. Du bist doch so was wie meine große Schwester.“ flüstert sie. Sie lässt mich noch mal allein.
Ich habe meinen Rucksack auf der Suche nach sauberen Socken komplett geleert, denn auf der Wache haben sie alles durchsucht und ein einziges Chaos hinterlassen. Nun sitze ich davor und es fällt mir schwer, alles wieder einzuräumen. Ich fühle mich entkräftet.
Ich höre zwei vertraute Stimmen hinter der Tür, die freudig meinen Namen rufen. Ich freue mich sie zu hören, bin aber noch nicht soweit, die Tür zu öffnen.
Als ich es wenige Minuten später dann tue, sinken wir uns wortlos in die Arme. „Ich hab was für dich“ sage ich leise und drücke ihm das Stück Rotbuche in die Hand, in das ich „T’estimo“ geschnitzt habe. Ich liebe dich.

Ich fühle mich noch immer sehr schwach und labil aber die Gespräche mit einigen Menschen geben mir wieder etwas Energie.

Ich lese die Kommentare, die ich noch nicht kenne. Wow! Noch mehr Energie! Langsam komme ich wieder zu mir, wie nach einer Ohnmacht.

Ich telefoniere mit meiner Mama. Energieschub Nummer Drei.

Als wir auf der Wiese ankommen, ist es grade dunkel geworden. Einer der Hunde, mit dem ich mich besonders gut verstehe, springt mich unerwartet an und bringt mich fast zu Boden, weil ich lachen muss und mich so freue.
Ein kleines Mädchen, 5 Jahre alt, kommt auf mich zugelaufen und schließt mich in die Arme. Wir machen den „Eskimo-Kuss“, Balsam für meine Seele.
Ein paar andere begrüßen mich strahlend und die Kleine nimmt mich an die Hand und mit den viel zu großen Gummistiefeln an ihren kleinen Füßen watscheln wir Richtung Küche. „Ich habe „Halt Bagger halt, wir bleiben im Wald!“ zu ihnen runter gerufen und an dich gedacht“ sage ich zu ihr. „Mein Spruch!“ freut sie sich.
Wir gehen ins Warme, ich begrüße alle Anwesenden und gehe kurz darauf wieder..allein. Der Kleinen war kalt gewesen. Ich wünschte, sie hätte mich noch etwas länger an der Hand geführt.
Für einen Moment komme ich mir ein bisschen einsam vor, doch da stürmen schon zwei andere geliebte Menschen auf mich zu. „Warte, warte..“ sagt die eine nach einer endlosen Umarmung und klappt ein Plakat auseinander auf dem steht: Welcome home. Willkommen zuhause.
Ich liebe euch!
Ich werde in die Küche geführt und jemand am Herd jammert, dass das Essen ja noch gar nicht fertig sei. Wiesenkost. Ich liebe es. Ich esse und wir überschlagen uns mit unseren Erzählungen.

Als wir später zu zweit im Bett liegen, erzähle ich zum ersten Mal heute über einige Details der Misshandlung auf der Wache. „Darf ich dich grade mal in den Arm nehmen?“ Ja! „Ich weiß, das klingt doof aber: Danke dass du’s machst…“

Nach einer unruhigen aber schönen Nacht, in der ich oft aufgewacht bin aber zum Glück nicht allzu schlecht geträumt habe (ich bin wieder auf der Plattform und einer der Klettercops hält mir ein leeres Weinglas entgegen und fragt, ob ich das noch haben wolle…), wache ich früh morgens mit Kopfschmerzen auf. Wow, so fühlt sich das also an. Ich habe nie Kopfschmerzen. Später am Tag lassen die Kopfschmerzen nach, dafür tut mir der Bauch dann `ne ganze Weile weh. Diese Bauchschmerzen habe ich noch zwei-, dreimal später in der darauffolgenden Woche. Ich verdaue die Räumung.

Während ich diesen Bericht schreibe, fließen wieder Tränen und ich habe geschwitzt. Doch während ich diese letzten Worte schreibe, schließe ich nicht nur einen langen Bericht schwarz auf weiß ab, sondern auch das kleine Kästchen in meinem Kopf, in das ich die Erinnerungen und Gefühle nun fein säuberlich gelegt habe und jederzeit rausholen kann wann ICH will.

Nachwort
Ich habe mir die Mühe, das alles aufzuschreiben, nicht gemacht, um mitleidige oder aufmunternde Worte zu erhaschen oder als Heldin diffamiert zu werden. Wie oben zu lesen ist sind da viele Arme und Worte, die mich aufgefangen und gehalten haben und mit dem Held_innenbegriff kann ich nicht viel anfangen. Dass klingt, als müsstest du besondere Fähigkeiten haben, um was zu bewegen. Ich kenne so viele auf dieser Welt, die vergleichbare und noch viel spannendere, mutigere, krassere, sinnvollere und schmerzhaftere Aktionen reißen und Erfahrungen machen! Es ist traurig, dass Menschen überhaupt soweit gehen müssen, sich in solche und andere gefährliche Situationen begeben müssen, um Widerstand zu leisten und andere Menschen aufzuwecken. Aber wenn es klappt habe ich es umso mehr gern gemacht. Bei mir weiß ich wenigstens, dass ich viel ertagen kann.
Viel mehr geht es mir darum, eine der vielen Geschichten über das, was in diesem angeblichen Rechtsstaat tagtäglich passiert, öffentlich zu machen für jene, die es noch nicht wissen und mitzuteilen wie es zuging für solche, die es interessiert. Außerdem hoffe ich, dass dieser Text wie ein Windstoß in die glühende Glut einiger der vielen rebellischen Herzen dieser Welt gepustet hat und dass die haunahe Übermittlung dem einen oder der anderen Flügel verleihen konnte.

Jedes Herz ist eine revolutionäre Zelle!

Dieser Beitrag hat 15 Kommentare

  1. Nina

    Mut tut gut!

    Danke an die AktivistenInnen, die so viel geleistet haben!
    Ich kann sehr nachvollziehen,wie es Euch geht. Wegen Stuttgart 21 haben wir auch sehr wertvolle uralte Bäume für ein Betrugsprojekt verloren-Bäume die nicht einmal in Kriegszeiten angepackt wurden für Feuer zum Heizen (-und da hätte man das noch verstanden!) Auch wir haben sitzblockiert oder uns zum Teil angekettet oder viele andere Aktionen gemacht. Gegen diese geballte Lobby-und Staatsmacht, die nicht mehr das Allgemeinwohl im Blick hat-ziemlich aussichtslos. Aber dennoch halte auch ich das nicht für umsonst. Dem eigenen Gewissen gegenüber, aber auch um Zeichen zu setzen zu veröffentlichen und zu „bewegen“.

    Ich bin sehr sicher-ohne Aktivisten und Zivilen Ungehorsam sähe die Welt viel schlimmer aus:-)

  2. Lügendetektor

    Wie das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 17.12.2013 treffend festgestellt hat, dient die Braunkohlengewinnung, die uns zuverlässig mit preiswerter Energie versorgt und so unsere Wirtschaftskraft und unseren Wohlstand sichert, dem Allgemeinwohl.

    http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2013/bvg13-076.html

    Für den Hambacher Forst gibt es die rekultivierte, bewaldete Sophienhöhe, die um einiges ökologisch wertvoller, weil vielfältiger ist.

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    Hambi Edit: GÄÄÄHN. Was wäre das Leben ohne Trolle?

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  3. Lügendetektor

    Was hat der Verweis auf ein aktuelles Urteil des Bundesverfassungsgerichtes mit Troll oder trollen zu tun? Auch wenn einem die Urteile nicht passen, zeigen sie doch ganz deutlich, was dem Allgemeinwohl dienlich ist.

    Das Bundesverfassungsgericht hat richtigerweise erkannt, dass eine bezahlbare, zuverlässig und unabhängig machende Stromversorgung durch Braunkohle, sowie eine ökologisch wertvolle und der Naherholung dienende Rekultivierung wie die Sophienhöhe, dem Allgemeinwohl wesentlich mehr dient, als der rudimentäre Rest des Hambacher Forstes.

  4. Johanna

    @ Lügendetektor: Wie viel bezahlen sie dir eigentlich dafür, dass du hier immer für die Sophienhöhe Werbung machst und den Abbau verteidigst?
    Wird es dir nicht langweilig, immer das selbe zu schreiben?
    Machst du auch was anderes den lieben langen Tag lang als das?
    Führst du ein Privateben?
    Bist du zufrieden mit deinem Leben?
    Bist du glücklich in deinem Leben?
    Hast du eigentlich jemals erfahren, was es bedeutet, absolut glücklich zu sein mit dem was du tust?
    Hast du jemals das Leben erlebt oder bist du eine der armen Seelen dieser Welt, die in der Schule so mundtot und seelisch totgeprügelt wurde, dass es nichts anderes gibt in deinem Leben, als das was du kennst?
    Warst du jemals verliebt?
    Hast du jemals einen oder mehrere Menschen in deinem Leben getroffen, der/die dich so inspiriert hat/haben, dass es dein Leben verändert hat oder du es verändert hast?
    Hast du jemals die Wunder der Natur und des Lebens endeckt, beobachtet, verstanden?
    Was hält dich am Leben, außer dem Geld?
    Von was bist du abhängig im Leben?
    Von was machst du dich abhängig?
    Was macht dich abhängig?
    Kannst du was dagegen tun?
    Willst du was dagegen tun?
    Hast du Freunde? Familie?
    Erinnerst du dich an deine Kindheit?
    Hattest du Träume? Oder bist du in eine RWE Familie reingeboren in der es einfach nichts anderes gibt als das Hoch auf die Kohle?
    Was ist aus Kinderträumen geworden?
    Bist du glücklich?
    Wenn du ehrlich bist zu dir selbst, kannst du dir die Frage, ob du wirklich glücklich bist, auch ganz ehrlich beantworten?
    Bist du ehrlich mit dir selbst?
    Kannst du ehrlich mit dir selbst sein?
    Kannst du dir diese Frage nach der Ehrlichkeit selbst ehrlich beantworten?

    Ich will keine Antworten auf diese Fragen, ich will dass du sie dir selbst beantwortest und daraus eventuell deine Schlüsse ziehst.
    Du wirkst auf mich sehr engstirnig und die meisten engstirnigen Menschen sind es bloß, weil ihnen der Blick in die Welt oder auf das eigene Leben fehlt. Weil sie nur kennen, mit dem sie groß geworden sind und Angst haben vor Veränderung in ihrer kleinen, heilen Welt. Mir geht es nicht darum, dich zu beleidigen oder bloß zu stellen. Ich habe nicht mal große Hoffnung, dass du durch diese Fragen dein Leben verändern wirst, was ich ja eh nur soweit mitbekommen würde, als dass sich eventuell deine Kommentare verändern oder einstellen würden. Und wenn sie das nicht tun, wenn du so weiter machst wie bisher verhärtet sich bei mir nur der Verdacht, dass du bezahlt wirst für das Kommentare schreiben.

    Grüße, Johanna

    Ps.: eine Frage hätte ich doch gern beantwortet: hast du den obestehenden, sehr persönlichen und emotinalen Bericht der Aktivistin eigentlich gelesen? Und falls ja, fiel dir noch irgendwas anderes darauf ein, als wieder mal für die Sophienhöhe zu werden?

  5. Lügendetektor

    @Johanna
    Ich versuch mal die Fragen der Reihe nach zu beantworten ohne dass die Fragen noch einmal mit angezeigt werden. Bei mehreren Versuchen blieben nur die Fragen, nicht aber meine Antworten sichtbar. Versuche die Antworten selbst zuzuordnen.
    Nichts, nicht einen Cent. Es geht nur um die Wahrheit und um eine bezahlbare, zuverlässige Energieversorgung zum Wohle aller und meiner Kinder.
    Nein, so lange es Euch nicht langweilig wird, immer den gleichen Unsinn zu verbreiten.
    Ja!
    Ja!
    Ja!
    Ja!
    Ja!
    Ich erlebe und genieße das Leben jeden Tag und ich bin keine der armen Seelen dieser Welt, die in der Schule mundtot und seelisch totgeprügelt wurden.
    Ja, mehrfach und ich liebe schon viele Jahre meine Frau und nur meine Frau.
    Ja, aber wenige. Und viel verändern mussten die auch nicht. Es war schon ganz gut so wie es war.
    Ja, und ich mache es immer noch, fast täglich.
    Meine Familie, gutes Essen, Sport, Freunde, Sex und Dinge die Spaß machen.
    Meine Familie, gutes Essen, Sport, Freunde, Sex und Dinge die Spaß machen.
    Meine Familie, gutes Essen, Sport, Freunde, Sex und Dinge die Spaß machen.
    Meine Familie, gutes Essen, Sport, Freunde, Sex und Dinge die Spaß machen.
    Warum sollte ich?
    Nein, es ist gut so.
    siehe oben
    Gerne, da ich das Glück hatte, in einen intaktem Elternhaus mit Geschwistern und Eltern die sich lieben aufzuwachsen.
    Ich hatte Träume, manche gingen in Erfüllung, manche nicht. Mit RWE habe ich allerdings nichts zu tun, auch nicht mit einer Firma, die von denen abhängig ist.
    siehe oben, manche gingen in Erfüllung, manche nicht.
    Ja!
    Ja!
    Ja!
    Nochmal ja!
    Auch wenn ich die erneute Wiederholung der Frage nicht verstehe, Ja, absolut.
    Ich habe sie aber trotzdem beantwortet.

    Ja, und er zeigt deutlich, dass die Aktivisten, sowie auch Du, sehr engstirnig bist und eindimensional denkst. Für Euch ist Braunkohlengewinnung schlecht, umweltzerstörend und mit vielen weiteren negativen Attributen behaftet. Dass es anders ist, versuche ich aufzuzeigen. So z.B., dass die Braunkohlengewinnung dem Allgemeinwohl dient und die Umwelt in der Regel aufwertet. Durch Eure Engstirnigkeit und Schlichtheit im Denkschema prallen solche Argumente allerdings ab. Aber wie oft genug deutlich wird, geht es Euch ja um einen Wechsel im System.
    Ihr könnt ja auf Eure Art leben, verlangt aber nicht von anderen es Euch gleich zu tun, denn die meistens sind glücklich mit ihrem Leben und wenn es Schwierigkeiten gibt, liegen die nicht in der Gewinnung von Braunkohle oder anderer Bodenschätze.

  6. Johanna

    Wow…ich würde gerne mal ausführlich mit dir darüber diskutieren..hier finde ich das doof, weil es wenig mit dem Bericht der Schreiberin von „die letzten Nachrichten aus Neuland“ zu tun hat und es eigentlich eine sehr krasse Geschichte ist und so eine Diskussion dem nicht den entsprechenden Respekt zollt. Was hätten wir denn noch für Möglichkeiten? Vielleicht brauchen wir mal ein Forum, in welches solche Kommentarschlachten ausgelagert werden können..

    Ich möchte trotzdem noch mal „kurz“ auf deinen letzten Kommentar eingehen.

    L.: Für Euch ist Braunkohlengewinnung schlecht, umweltzerstörend und mit vielen weiteren negativen Attributen behaftet.

    J.: Ja, das stimmt und zwar nicht nur für dieses ominöse „euch“ also „wir“ (ich denke mal du meinst damit alle Aktivist_innen von Wald- und Wiesenbesetzung, kann diese Sicht nachvollziehen ist aber schade, denn dieses „ihr/wir“ ist noch mal so schichtenreich wie anders herum ebenfalls) sondern es gibt viele Contras, ebenso wie es auch manche Pros gibt. Da beginnt dann die Verschiedenheit der Menschen. Alle haben unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche und Leben und demnach argumentieren wir ja alle. Ich zum Beispiel verstehe deine Argumente, sehe aber Contras, die in meinen Augen diese aushebeln (wie zum Beispiel ich nicht der Meinung bin, dass das Allgemeinwohl über das Wohl jedes einzelnen Menschen (und auch Tieres) steht und wenn das Verfassungsgericht beschließt dass das so sei ändert das nichts an meiner Einstellung (ich würd ja auch nicht anfangen, Leute, die mir auf Geist gehen, umzubringen, nur weil das Verfassungsgericht plötzlich beschließt, sich gegenseitig umbringen ist ok. Würdest du dadurch deine Meinung dazu ändern?))

    L.: Dass es anders ist, versuche ich aufzuzeigen.

    J.: Ich finde es unangemessen, dass du deine Auffassung mit einem „es ist so“ vertrittst. Das erweckt den Eindruck, dass du „auch“ (du wirfst es „uns“ ja auch immer vor) keine anderen Argumente zulässt und somit nicht an einer ernsthaften Problem- und Lösungsfindung interessiert bist sondern an deiner eigenen Meinung und Erfahrung festhälst. Vielleicht aus Angst, alles könnte sich ändern?

    L.: Durch Eure Engstirnigkeit und Schlichtheit im Denkschema prallen solche Argumente allerdings ab.

    J.: Woran genau machst du diese Engstirnigkeit und Schlichtheit in der Denkweise fest? Ich kenne Leute von Wald- und Wiesenbesetzung und aus diesem Umfeld und mein Eindruck ist das komplette Gegenteil; viele dieser Menschen denken alles andere als schlicht und es ist ein deutlicher (angenehmer!) Unterschied im Umgang miteinander zu merken zu der Gesellschaft in der die meisten leben. Warst du mal auf der Wiesenbesetzung? Da du so überzeugt für den Abbau argumentierst gehe ich davon aus, dass du in der Region lebst und selbst betroffen bist. Andernfalls habe ich eigentlich kein Interesse daran, mit dir zu diskutieren, weil ich es eine ganz große Unverschämtheit und Ungerechtigkeit finde, für etwas zu argumentieren, von dem man gar nicht betroffen ist. So nach dem Motto: „Solang es nicht in meinem eigenen Garten passiert…“

    L.: Aber wie oft genug deutlich wird, geht es Euch ja um einen Wechsel im System.

    J.: Da ist es wieder dieses „euch“…aber ja, mir persönlich geht es auch um Veränderung des Systems. Ich finde das mehr als angemessen und da gibt es viele. In der Regel sind es in erster Linie Reiche und Machthabende, die kein Interesse an Veränderung im System haben, warum auch, ihnen geht es ja gut. Ich finde es wichtig, ständig darüber zu reflektieren, ob gut ist, was man tut. Angefangen bei sich selbst, in der Familie, Freundeskreis, bis hin zum Staat. Sobald Menschen aufhöhren, kritisch zu hinterfragen wird es gefährlich und ebned die Wege für Machthungrige und Geldgierige. Als Hitler an die Macht kam, gab es auch schon welche die das Unheil ahnten, doch die meisten ließen die Geschichte geschehen…

    L.: Ihr könnt ja auf Eure Art leben, verlangt aber nicht von anderen es Euch gleich zu tun,

    J.: Gute Einstellung, die vertrete ich fast auch, ihr könnt ja auf eure Art leben aber verlangt es nicht von mir! Und wenn ihr mir die Möglichkeit nicht lasst, so zu leben wie ich es will dann muss ich es halt ansprechen und diskutieren und wenn ihr mich nicht anhöhrt oder sich immer noch nichts ändert muss ich eben für mein (und auch das Leben anderer) eintreten und im härtesten Falle dafür kämpfen. Ich denke es ist eigentlich ganz natürlich und logisch.

    L.: denn die meistens sind glücklich mit ihrem Leben

    J.: Ganz klarer Einspruch! 1. sind nicht die meisten Menschen glücklich mit ihrem Leben sondern das Gegenteil ist der Fall, 2. finde ich, dass es nicht darum geht, was eine Mehrheit will oder vertritt. Und wenn es danach gehen würde in diesem Staat, sähe er eigentlich schon in vielen Punkten anders aus.

    „Scheiße schmeckt gut, tausend Fliegen können sich nicht irren!“

    Tja, was machen wir nun mit dem Diskussionsproblem? Ich denke, fürs erste habe ich das wichtigste von meiner Seite aus geschrieben, wenn noch etwas vom Lügendetektor kommt werde ich mich zurückhalten, darauf einzugehen aus oben genannten Gründen. Vielleicht treffen wir uns ja mal auf einer der Besetzungen, ich würde mich ernsthaft freuen.

    Grüße, Johanna

  7. Horst

    @Johanna: Ein Diskussionsforum gibt es hier:

    http://antikohleforum.de/index.php

    Leider wird es noch zu wenig genutzt.
    Hier im Blog ginge das natürlich auch, vielleicht an anderer Stelle.

  8. Lügendetektor

    @Johanna
    J.: … Ich zum Beispiel verstehe deine Argumente, sehe aber Contras, die in meinen Augen diese aushebeln…
    L.: So ein Contra ist aber noch nicht vorgebracht worden, bzw. die vorgebracht wurden, konnten alle widerlegt werden.

    J.: … (wie zum Beispiel ich nicht der Meinung bin, dass das Allgemeinwohl über das Wohl jedes einzelnen Menschen (und auch Tieres) steht…
    L.: Auch wenn ich dieses Denken für reichlich asozial halte, empfehle ich in ein Land auszuwandern, in dem das nicht so ist, z.B. Nordkorea. Da steht das Wohl eines (bestimmten) Einzelnen auch vor dem Allgemeinwohl.

    J.: … (ich würds ja auch nicht gutheißen wenn das Verfassungsgericht plötzlich beschließen würde, sich gegenseitig umbringen ist ok. Würdest du dadurch deine Meinung dazu ändern?))
    L.: Für mich ist das Grundgesetz eines der höchsten Güter die wir haben. So etwas würde gegen das Grundgesetz verstoßen. Daher ist dieses Argument Unsinn.

    J.: Ich finde es unangemessen deine Auffassung mit einem „es ist so“ vertrittst. Das erweckt den Eindruck, dass du „auch“ (du wirfst es „uns“ ja auch immer vor) keine anderen Argumente zulässt und somit nicht an einer ernsthaften Problem- und Lösungsfindung interessiert bist sondern an deiner eigenen Meinungs und Erfahrung festhälst. Vielleicht aus Angst, alles könnte sich ändern?
    L.: Dem ist nicht so. Allerdings sind die vorgebrachten Argumente schwach und oft nicht nachvollziehbar, so dass die bei einer Abwägung der Gesamtumstände, dem Für und Wider, hinter runter fallen.

    J.: Woran genau machst du diese Engstirnigkeit und Schlichtheit in der Denkweise fest? Ich kenne Leute von Wald- und Wiesenbesetzung und aus diesem Umfeld und mein Eindruck ist das komplette Gegenteil; viele dieser Menschen denken bereits über Details in dieser Welt nach, die manchmal wie die Lösung aller Probleme wirken und es ist ein deutlicher (angenehmer!) Unterschied im Umgang miteinander zu merken zu der Gesellschaft in der die meisten leben. Warst du mal auf der Wiesenbesetzung? Da du so überzeugt für den Abbau argumentierst gehe ich davon aus, dass du in der Region lebst und selbst betroffen bist. Andernfalls habe ich eigentlich kein Interesse daran, mit dir zu diskutieren, weil ich es eine ganz große Unverschämtheit und Ungerechtigkeit finde, für etwas zu argumentieren, von dem man gar nicht betroffen ist.
    L.: Natürlich gibt es diese Leute, manchmal werden diese auch als Aussteiger betitelt (wobei die Aussteiger in der Regel nicht versuchen, anderen Menschen ihre Lebensweise aufzuzwingen). Allerdings ist das eine verschwindende Minderheit. Es ist doch bezeichnend, dass ihr nahezu den ganzen Globus abklappern müsst, um vielleicht 2 Duzend Gleichgesinnte zu finden, die Euch auf der Wiese oder im Hambacher Forst unterstützen.
    Ich habe mehrfach mit diesen Menschen diskutiert. Abgesehen davon, dass diese oft bunten Vögel sehr ungepflegt wirkten, zeigten sie sich in ihrem Denken sehr eindimensional. Man kann sagen, sie lebten in ihrer eigenen Welt, wogegen ich nichts hätte, wenn sie nicht versuchen würden durch ihr handeln, die anderen Menschen dazu zu zwingen, auch so zu leben.
    Ich komme aus der Region, bin aber leider vom Braunkohlenbergbau nicht direkt betroffen, denn auch für mich wäre eine Umsiedlung, das Beste was mir und meiner Verwandtschaft passieren könnte. Ein Umsiedler sagte mir einmal, für ihn war die Umsiedlung wie ein Sechser im Lotto (ein alter kleiner Bauernhof im Ort, der sich wirtschaftlich nicht mehr betreiben lässt; Kinder, die den Hof nicht wollen; ein inzwischen viel zu großes Haus, dass weder den persönlichen, noch energetischen Ansprüchen gerecht wird, usw.).

    J.: Da ist es wieder dieses „euch“…aber ja, mir persönlich geht es auch um Veränderung des Systems. Ich finde das angemessen und da gibt es viele. In der Regel sind es in erster Linie Reiche und Machthabende, die kein Interesse an Veränderung im System haben, warum auch, ihnen geht es ja gut.
    L.: Ich bin weder Reich noch Machthabend, wobei beides relativ ist. Wie wenige Ihr seid, siehe oben. Die Reflektion findet statt, womit wir wieder beim Abwägungsprozess sind.

    J.: Gute Einstellung, die vertrete ich fast auch, ihr könnt ja auf eure Art leben aber verlangt es nicht von mir! Und wenn ihr mir die Möglichkeit nicht lasst, so zu leben wie ich es will dann muss ich es halt ansprechen und diskutieren und wenn ihr mich nicht anhöhrt oder sich immer noch nichts ändert muss ich eben für mein (und auch das Leben anderer) eintreten und im härtesten Falle dafür kämpfen. Ich denke es ist eigentlich ganz natürlich und logisch.
    L.: Deine Freiheit hört da auf, wo die des anderen anfängt. Für das Zusammenleben gibt es Gesetze, an die man sich zu halten hat. Passen einem die Gesetze nicht, muss man Mehrheiten schaffen und die Gesetze ändern. Gelingt das nicht, muss man sich der Mehrheit beugen oder auswandern, z.B. nach Nordkorea (siehe oben).

    J.: Ganz klarer Einspruch! 1. sind nicht die MEISTEN Menschen glücklich mit ihrem Leben, 2. finde ich das es nicht darum geht, was eine Mehrheit will oder vertritt. Und wenn es danach gehen würde in diesem Staat, sähe er eigentlich schon in vielen Punkten anders aus.
    L.: Gab es schon mal eine Zeit, in der es uns besser ging? Gesundheitsvorsorge, Bildung, Meinungsfreiheit, Wohlstand, Lebenserwartung, usw. Wann war das je besser?

  9. Wurzelkoch

    Ich dachte ja erst, Johanna hätte es geschafft, mal eine Diskussion von gegenseitigen Beschimpfungen auf ein -zumindestens was Formulierungen betrifft- respektvolleres Streitniveau zu hieven.

    Aber im Ernst: „Geh doch nach drüben“ diskreditiert jedes weitere Wort. Niveaulosere Argumente fallen mir spontan nicht ein. Außerdem liegt ein gewisser Unterschied zwischen dem Wohl ‚jedes einzelnen Menschen‘ und ‚eines (bestimmten) Einzelnen‘. Fällt da was auf?

  10. Lügendetektor

    @Wurzelkoch
    Ich würde die Diskussion mit Johanna, trotz meiner Argumente, nicht als Beschimpfung bezeichnen. Das Beispiel mit Nordkorea sollte lediglich aufzeigen, wie asozial das Denken ist, dass das Allgemeinwohl nicht vor dem Einzelwohl geht. Vielleicht fehlt Dir aber auch nur die Antenne zur Erkennung der Ironie.

    Trotzdem bleibt es bei der Grundaussage. Love it (d.h. mit dem System abfinden), change it (aber mit legalen Mitteln, d.h. Mehrheiten schaffen) or leave it (… und Tschüss)

  11. Wurzelkoch

    Nein, ich bezeichne die Diskussion eben nicht als Beschimpfung, darüber war ich ja froh. Ich hatte frühere Kommentare aber immer wieder als kurz vor Beleidigung aufgefasst, übrigens von ziemlich vielen.
    Lediglich „Geht doch nach drüben“ fasse ich in jeder Formulierung als Beschimpfung auf.

    Übrigens: -in dem Wissen, dass der Vergleich mindestens fünf Klumpfüße hat, so sehr wie er hinkt- Um in der IT ein System zu ändern, muss mensch es üblicherweiße runterfahren. Und genau das ist nicht grade legal…

    @Mod: könnt ihr bitte in meinem letzten Kommentar die Kursiva auf ‚jedes einzelnen‘ und ‚eines bestimmten‘ beschränken? Ich hab da glaub ich die schließenden Tags falsch gesetzt.
    –erledigt–Mod

  12. Lügendetektor

    @Wurzelkoch
    Wo soll ich „Geht doch nach drüben“ geschrieben haben?

    Unsere Gesellschaft ist aber kein IT-System und lässt sich nicht herunter fahren, zumal das unsere Gesellschaft gar nicht will.

    So bleibt es dabei, love it, change it or leave it.

  13. Wurzelkoch

    „empfehle ich in ein Land auszuwandern, in dem das nicht so ist, z.B. Nordkorea“
    Das empfinde ich sehr klar als eine andere Formulierung von „geht doch nach drüben“ – „drüben“ ist halt nicht mehr nur über die Mauer, sondern jetzt in Nordkorea.

    Dass mein IT-Vergleich hinkt, ist mir selbst bewusst, ich wollte damit nur ausdrücken, dass mensch nicht davon ausgehen kann, dass ein (politisches) System in seinen Grundzügen ewig ist. Und vielleicht stürzt es ja mal ab, wenn bestimmte Ressourcen zur Neige gehen? Ich würde das zwar nicht herbeireden, aber ausschließen liegt mir ebenso fern.

  14. Lügendetektor

    Mit meiner Aussage und dem ironischen Beispiel Nordkorea sollte zum Ausdruck gebracht werden, wie asozial dieses Denken ist(Einzelwohl geht vor Allgemeinwohl).

    Entscheidend ist, dass wir sparsam und sinnvoll mit unseren Ressourcen umgehen. Was wir machen ist aber weder sparsam (z.B. Verhinderung von Kraftwerkserneuerungen) noch sinnvoll (z.B. Gas, einen hochwertigen und knappen Energieträger, zur Stromerzeugung zu verheizen).

  15. Wurzel

    Wer wirklich Sparsamkeit sowie soziales Denken und Handeln (kennen)lernen möchte, kann dies bestens auf der Wiese tun. Herzliche Einladung!
    Persönlicher materieller Reichtum geht immer auch auf Kosten anderer, das sollte man zumindest wissen. Es gibt Reichtümer, die wachsen, je mehr man sie mit anderen teilt.

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